Panorama

Lage in Slowenien besser1,3 Millionen Kindern in Deutschland fehlt es am Nötigsten 

12.11.2025, 12:06 Uhr IMG-7408Sarah Platz
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Vielen Kindern mangelt es an täglichen vollwertigen Mahlzeiten. (Foto: picture alliance / ZB)

Mahlzeiten, Schuhe, Heizung: Ein beträchtlicher Anteil der Kinder hierzulande hat das nicht oder nicht regelmäßig. Die Armut schränkt ihr Leben massiv ein und gefährdet ihre Entwicklung, wie ein neuer Unicef-Bericht belegt. Damit steht Deutschland auch im internationalen Vergleich schlecht da.

Fast ein Zehntel aller Kinder in Deutschland leidet im Alltag unter den Folgen von Armut. Laut einem Bericht der Kinderhilfsorganisation Unicef schränkt die prekäre finanzielle Lage das Leben von rund 1,3 Millionen Kindern in Deutschland ein, das entspricht neun Prozent aller Minderjährigen. Für einen beträchtlichen Anteil der Jüngsten hierzulande bedeutet das, dass grundlegende Bedürfnisse nicht gestillt werden können.

Vielen Kindern fehle es beispielsweise an vollwertigen Mahlzeiten oder einem zweiten Paar Schuhe, heißt es in dem Bericht. Auch die Finanzierung eines einwöchigen Urlaubs oder einer beheizten Wohnung gehören zu weit verbreiteten Problemen. Generell sei die Wohnsituation besonders besorgniserregend: 44 Prozent der armutsgefährdeten Kinder leben in überbelegten Wohnungen. Noch prekärer sei die Situation für die rund 130.000 wohnungslosen Kinder, die kommunal untergebracht werden, sowie die vielen Tausend Kinder in Unterkünften für geflüchtete Menschen.

Wie alarmierend der Trend ist, machen die Autorinnen und Autoren auch mit Blick auf andere Länder deutlich. "Bei den Armutsfaktoren schneidet Deutschland im europäischen Vergleich nicht gut ab." Bessere Ergebnisse verzeichnen demnach wirtschaftlich starke Länder wie Norwegen oder Finnland. Allerdings sei die Lage für Kinder in Bezug auf Armut auch in wirtschaftlich schwächeren Ländern wie Slowenien oder Portugal besser.

Defizite in der Freizeit

Das Deutsche Jugendinstitut hat die Lage von Kindern in Deutschland gemeinsam mit Wissenschaftlern und Jugendlichen im Auftrag von Unicef untersucht. Ihr Ergebnis zeigt, dass sich die prekäre finanzielle Lage auf nahezu alle Lebensbereiche der Kinder auswirkt. Damit habe ein beträchtlicher Anteil der Kinder in Deutschland kaum Chancen auf eine gute Entwicklung.

Schon jetzt zeigt sich laut dem Bericht ein deutlicher Unterschied zwischen Kindern in finanziell stabilen Verhältnissen und jenen in prekärer Lage. Armutsgefährdete Kinder lesen dem Bericht zufolge seltener Bücher (33 Prozent) als nicht-armutsgefährdete Kinder (42 Prozent), sie treiben seltener Sport (52 Prozent versus 60 Prozent) und treffen seltener Freunde (42 Prozent versus 48 Prozent).

Zudem mangele es Kindern aus ärmeren Haushalten öfter an grundlegenden Fähigkeiten. Ein essentielles Beispiel ist die Gesundheitskompetenz, also die Fähigkeit, gesundheitsrelevante Informationen einzuordnen, Risiken einzuschätzen und danach zu handeln. Hinzu komme, so die Autoren, dass Kinder aus materiell benachteiligten Familien schlechtere Ernährungsgewohnheiten zeigen: 17 Prozent der Jungen und 20 Prozent der Mädchen aus benachteiligten Familien konsumieren täglich zuckerhaltige Getränke. Sie essen seltener Obst und Gemüse, dafür häufiger Süßigkeiten, und haben insgesamt ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Adipositas.

Mädchen deutlich öfter psychisch krank

Auch haben Kinder in Armut dem Bericht zufolge niedrigere digitale Kompetenzen als Kinder aus Haushalten mit einem höheren sozioökonomischen Status. Die Autoren weisen allerdings auf einen ungewöhnlichen Trend hin, der alle Gruppen der Minderjährigen betrifft. "Obwohl sich das Leben der Jugendlichen immer mehr in der digitalen Welt abspielt, steigt der Anteil der Jugendlichen, die lediglich über rudimentäre und basale digitale Kompetenzen verfügen." So haben 41 Prozent der Jugendlichen unzureichende Kenntnisse im Umgang mit digitalen Medien.

Wie essenziell gerade auch die Medienkompetenz ist, machen die Autoren an einem anderen Punkt deutlich. Demnach gaben in einer Befragung 8 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren an, Opfer von Cybermobbing zu sein. 9 Prozent berichteten von regelmäßigen Mobbing-Erfahrungen. Mädchen mit Migrationshintergrund sind dabei besonders gefährdet: 17 Prozent von ihnen haben bereits Mobbing erlebt.

In-armen-Familien-fehlt-das-Geld-fuer-den-Schwimmbadbesuch-mit-Freunden-oder-fuer-Geschenke-bei-einer-Einladung-zum-Kindergeburtstag
In armen Familien fehlt das Geld für den Schwimmbadbesuch mit Freunden oder für Geschenke bei einer Einladung zum Kindergeburtstag.

Generell fällt die Entwicklung bei Mädchen an verschiedenen Punkten der Untersuchung auf. Das Autorenteam beleuchtete etwa auch Gesundheitsbeschwerden und mentale Störungen der Kinder in Deutschland. Insgesamt seien psychische Störungen die am häufigsten behandelten Diagnosen bei den stationär behandelten schweren Verläufen. Besonders oft trifft dies den Daten zufolge auf Mädchen in der Pubertät zu. Bei den 14- bis 19-jährigen Mädchen lag 2023 die stationäre Diagnoserate für psychische und Verhaltensstörungen bei 2673 Fällen je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern - etwa doppelt so hoch wie bei gleichaltrigen Jungen.

Sieben-Punkte-Plan

Einen ähnlich deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern zeigen die Daten zu Einsamkeitsgefühlen. Fast jedes dritte 15-jährige Mädchen (32 Prozent) gibt an, sich die meiste Zeit oder immer einsam zu fühlen. Bei den Jungen sind es im selben Alter 11 Prozent. Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang mit dem Wohlstand der Familie. Kinder aus materiell besser ausgestatteten Elternhäusern berichten seltener von Einsamkeit.

Das Autorenteam schlägt Verwaltung und Politik einen Sieben-Punkte-Plan vor, um die Lage von Kindern und Jugendlichen in prekären Lagen systematisch zu verbessern. Dazu gehört etwa die Stärkung von Familien, eine bessere Interessenvertretung der Kinder und das Vermitteln von Gesundheitskompetenzen in der Schule. Vor allem aber müssten die am stärksten benachteiligten Kinder besonders gefördert werden, heißt es im ersten Punkt. Orientieren könne man sich beispielsweise am regional bereits eingeführten "Startchancen-Programm", das über einen Sozial-Index gezielt in die Schulen mit einer sozioökonomisch benachteiligten Schülerschaft investiert.

"Die öffentliche Hand sollte Investitionen insbesondere dort tätigen, wo wirksam und nachhaltig die besonders benachteiligten Kinder erreicht werden", betont das Autorenteam. "So trägt sie dazu bei, dass möglichst jedes Kind die Chance auf ein gutes Aufwachsen hat."

Quelle: ntv.de

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