Leid der silbergrauen Giganten Apulierin kämpft stur gegen tödliches Olivenbakterium


Chiara Paladini in einem ihrer Olivenhaine, der bisher verschont geblieben ist.
(Foto: Andrea Affaticati)
Seit zehn Jahren wütet in der süditalienischen Region Apulien ein Bakterium, das bereits Millionen Olivenbäume ausgerottet hat. Ein Mittel dagegen gibt es nicht. Chiara Paladini kämpft seit Jahren um die Olivenhaine ihrer Familie. Aufgeben ist für sie keine Option.
Die erste Begegnung mit Chiara Paladini ist zwar virtuell, aber trotzdem berührend. Im Dokumentarfilm "Il tempo dei giganti" (Die Zeit der Giganten), der im März erschienen ist, erzählt sie, wie sie vor einigen Jahren alles stehen und liegen ließ, um zumindest den Versuch zu unternehmen, die Olivenbäume ihrer Familie zu retten. Damals lebte sie in Berlin. Die Giganten im Film sind die majestätischen, oft mehrere Jahrhunderte alten Bäume, die vor allem die Landschaft des Salento, des südlichsten Zipfels der Region Apulien, prägen.
Oder besser gesagt prägten. Denn seit zehn Jahren werden diese Giganten von einem Bakterium angegriffen, das sie buchstäblich von innen ausdörren, andere sagen ausbrennen lässt. Die Rede ist von Xylella fastidiosa, einem Bakterium, das sich irgendwann über eine importierte Kaffeepflanze aus Costa Rica hier eingenistet hat. Im Film wechseln sich Szenen intakter Olivenhaine mit denen, die total verwüstet sind, ab. Szenen, die auch für jene, die noch nie in dieser Gegend waren, diese mächtigen Patriarchen noch nie in natura gesehen haben, schwer zu ertragen sind. Den Regisseuren Davide Barletti und Lorenzo Conte ging es bei den Aufnahmen nicht um Ästhetik. Sie wollen vielmehr durch besonders ergreifende und erschütternde Aufnahmen die Aufmerksamkeit für dieses Drama wachhalten beziehungsweise wachrufen.
Schätzungen zufolge belaufen sich die durch Xylella verursachten Schäden auf über zwei Milliarden Euro. Bis jetzt sollen an die 15 Millionen Olivenbäume zugrunde gegangen sein. Ein Mittel gegen das Bakterium gibt es nicht, weswegen vor allem nach resistenten Olivenbaumsorten gesucht wird. Und auch diese Forschungsarbeit wird durch den Film gefördert. Der Produzent Dinamo Film hat beschlossen, für jede Eintrittskarte einen Euro der NGO "Save the Olives" zu überweisen. Zu den Unterstützern dieser Hilfsorganisation zählt auch die preisgekrönte britische Schauspielerin Helen Mirren.
Olivenbäume sind Familie
Chiara ist 39 Jahre alt, eine typische Südländerin mit pechschwarzem, wallendem Haar, dunklen, lebhaften Augen und einem temperamentvollen Auftreten. Die Entschlossenheit, die man bei ihr sofort spürt, hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass das Geschick ihrer Familie seit mehreren Generationen in Frauenhänden liegt. Während der Fahrt von Lecce, dem barocken Kunstschrein des Salento, nach Erchie im Landesinneren, wo die Olivenhaine der Familie sind, erzählt sie ntv.de ihre Geschichte.
Eigentlich hatte Chiara nicht vor, sich mit der Landwirtschaft zu beschäftigen. Sie studierte Geschichte der mittelalterlichen Philosophie, machte dann ein Doktorstudium in München und bekam danach ein DAAD-Stipendium an der Humboldt-Universität in Berlin. Erchie und die Oliven waren weit weg und doch auch immer präsent. "Ich spielte mit dem Gedanken an eine akademische Laufbahn. Gleichzeitig verspürte ich aber auch eine gewisse Sehnsucht". Außerdem vermisste sie als "waschechte Apulierin" das Olivenöl von zu Hause. "Ich kann mit nichts anderem kochen." Das hatte zur Folge, dass in Berlin die Hälfte des Stipendiums für italienisches Olivenöl draufging.
Ausschlaggebend für die Heimkehr waren aber letztendlich die immer dramatischeren Nachrichten über die vom Bakterium angesteckten Bäume. Sie seien wie von innen verbrannt, wie der Schriftsteller Daniele Rielli in seinem gründlich recherchiertem Buch schreibt. Daher auch der Titel "Das unsichtbare Feuer". Chiara beschloss also Ende 2016, nach Hause zurückzukehren. Wer im Schatten dieser Bäume aufgewachsen ist, wer deren Stämme als Kind auch als Versteck genutzt hat, für den sei ein Olivenbaum ein Familienmitglied, dem man zur Hilfe kommen muss, sagt sie.
Tödlicher Pakt mit der Wiesenschaumzikade
Es heißt, das Bakterium sei über eine Kaffeepflanze aus Costa Rica nach Italien gekommen und habe besonders im Salento das ideale Klima und eine besonders anfällige Olivensorte gefunden. Eine erhebliche Rolle haben aber auch die nicht mehr bewirtschafteten Olivenhaine gespielt, in denen sich die Wiesenschaumzikade ungestört vermehren kann. Das Xylella-Bakterium braucht nämlich einen Überträger, in diesem Fall die Wiesenschaumzikade. Sie saugt mit ihrem kleinen Rüssel am Baum, kann sich so infizieren und das Bakterium weitertragen.

Viele Olivenbäume der Familie sind inzwischen vom Xylella-Bakterium gezeichnet.
(Foto: Andrea Affaticati)
"Dass der Baum von innen verbrennt, ist auch der Grund, weswegen man oft die Infektion erst bemerkt, wenn es zu spät ist", erklärt Chiara. Selbst wenn der Baum nur wenige vertrocknete Blätter aufweist, könnte die Infektion weitaus verbreiteter sein. Sie spricht aus eigener Erfahrung. Ihre Familie besitzt 27 Hektar Olivenhaine, auf drei Grundstücke aufgeteilt. Auf ihnen ist zu sehen, wie unterschiedlich sich die Plage verbreitet. Der erste Hain wurde bis jetzt verschont. "Als ich den Betrieb übernommen habe, bin ich auf Öko-Anbau umgestiegen", erzählt Chiara. Was eine doppelte Herausforderung war. Es bedeutete eine weitaus akkuratere Pflege von Baum und Boden mit Nährstoffen wie Stickstoffbakterien, Kupfer, Orangensaft und einer besonderen Algensorte. Eine Bodenpflege, die von Fachleuten im Moment auch als einzige wirklich wirksame Maßnahme im Kampf gegen das Bakterium gilt, denn wenn man die in Schaum gebetteten Eier der Wiesenschaumzikade vernichtet, reduziert sich auch die Verbreitungsmöglichkeit der Infektion.
Die zweite Herausforderung stellten die Landarbeiter dar. "Hier in der Gegend war es Usus, die Oliven auf den Boden fallen zu lassen und erst mit einem Rechen zu sammeln", erzählt sie. "Damit macht man aber kein Öl, das den heutigen Qualitätserwartungen entspricht." Früher wurde das aus diesen Oliven gewonnene Öl vor allem nach Großbritannien für die Beleuchtung verschifft. Die Oliven vom Baum zu ernten bedeutet natürlich mehr Arbeit und dagegen sträubten sich die Landarbeiter. Am Ende hat sie sich durchgesetzt.
Die Köpfung als letzter Rettungsversuch
Beim zweiten Grundstück ist der Anblick schon ein wenig beklemmend. Auf dem Feld sind viel mehr Stummel zu sehen. "Sobald die ersten braunen Blätter und ausgedörrten Äste zu sehen waren, haben wir die Bäume capitozzati, also geköpft." Das Bakterium tritt nämlich über die Blattkrone in den Baum ein. Je schneller und drastischer man agiert, desto größer die Chance, dass der Edelreis einer Xylella-resistenten Olivensorte auf dem Baumstumpf anwächst. Ermutigend ist das Ergebnis bisher jedoch nicht. Von 33 Zusammenfügungen hat es bei weniger als 10 geklappt. Deswegen hat Chiara beschlossen, dieses Grundstück wieder zu einer Waldfläche zu machen und dann für die Trüffelzucht zu nutzen.
Das letzte Feld bietet den traurigsten Anblick. Vor einigen Tagen wurden die abgestorbenen Olivenbäume gefällt und das Holz zum Teil schon weggebracht. Was noch zu sehen ist, genügt aber, um sich ein Bild von den angerichteten Schäden zu machen.
Die Verwüstung ist den zurückliegenden zehn Jahren vom Salento bis hinauf nach Bari geschritten, berichteten italienische Medien vor ein paar Tagen. Chiara aber kämpft stur weiter. Was nicht heißt, dass "ich mich nicht manchmal frage, ob ich vor sechs Jahren die richtige Entscheidung getroffen habe, ob der ganze Aufwand wirklich was bringt". Man hört ihr bei diesen laut ausgesprochenen Zweifeln zu, kann sie auch nachvollziehen, hat aber gleichzeitig das Gefühl, dass diese Fragen eher ein Ventil als ernst gemeint sind.
Quelle: ntv.de