Auszeit mit Aussicht Balsam für die Seele - happy in Heidi-Land


Wie die Autorin sich auf dem Weg zur Besinnung in der Schweiz gefühlt hat ...
(Foto: IMAGO/Gemini Collection)
Die Kolumnistin brauchte eine Auszeit von News, Nerds und vor allem von sich selbst. Sie fuhr in die neutrale Schweiz, von der man ja denken kann, was man will, die aber voll funktioniert hat. In Adelboden ist die Welt noch in Ordnung, und deswegen ist sie nun wieder bereit für den Rest der Welt. Von Sabine Oelmann
Das hat neulich mal jemand zu mir gesagt, dass etwas "Balsam für die Seele" ganz gut täte - was für ein schöner Gedanke, sich Balsam auf die Seele zu schmieren und schon wird es leichter. Mir ist durchaus bewusst, dass Texte, in denen es um etwas Aufregendes, Ekliges, Gemeines, Kriminelles oder Bedrohliches geht, vordergründig mehr Interesse wecken. Texte, in denen man sich darüber aufregt, dass Donald Trump sich als Papst verkleidet, zum Beispiel. Ich möchte Ihnen aber, bevor auch Sie aufgrund der Weltlage vollkommen durchdrehen, raten, sich um sich selbst zu kümmern. Ich habe das in jüngster Vergangenheit getan und bin äußerst glücklich mit dem Ergebnis. Dafür bin ich nach Adelboden in die Schweiz gereist. Kein Muss, aber eine Empfehlung.
Ein persönlicher Tiefschlag, ein Todesfall im engsten Kreis beispielsweise, zwingt einen ja dazu, die Dinge neu zu denken, zu reflektieren, sich auf sich selbst zu besinnen und neue Wege zu gehen. Ich brauchte mal Abstand, weil ich nun, zugegeben im hohen Alter, zur Vollwaise wurde. Ich hätte nicht gedacht, dass das so viel mit mir macht. Ich dachte, ich hätte mich an den Tod schon bis zu einem gewissen Grad gewöhnt. Nun also ein weiterer toter Elternteil, und ich dreh' innerlich latent am Rad. Nach außen vielleicht nicht auffälliger als sonst, ich wahre die Fassade, meist, würde ich behaupten, außer, wenn mich einer auf dem falschen Fuß erwischt, aber es gehen mir Gedanken durch den Kopf, die ich nicht kenne. Ich bin ängstlicher als sonst und hinterfrage jedes Ziepen am Körper. Nun bin ich grundsätzlich nicht besonders hypochondrisch veranlagt und renne deshalb auch nicht gleich zum Arzt, aber ich beobachte den Fleck auf der Haut, das Zucken am Auge, den Schmerz im Rücken viel mehr als sonst. Meine Gedanken drehen sich um "hätte ich mehr ..." und "hätte ich öfter ..." oder "hätte ich früher ...". Ich gehe mir selbst total auf die Nerven, vor allem mit dieser Ängstlichkeit, was die Lage der Welt angeht, das kenne ich so gar nicht von mir.
Also, ab ins Flugzeug nach Basel, dann Bahn und Bus, allein die Anreise ist schon anders als sonst. In Adelboden angekommen richte ich mich in meinem wunderschönen Zimmer im Park Hotel Bellevue mit großer Terrasse und Aussicht auf die Berge ein und weiß bereits beim Zähneputzen und dem Blick aus dem Badezimmerfenster, dass es richtig war, hierherzukommen. Ich hatte mich ein wenig davor gegruselt, mit mir allein zu sein. Wenn etwas besonders schön ist, dann will ich es normalerweise teilen. Ich will mich auch immer gern mitteilen, etwas nur für mich allein zu haben, kommt mir übertrieben luxuriös vor. Ich sollte sehen - ich würde mich schnell daran gewöhnen.
Ich will mich
Und geredet hab' ich letztendlich wirklich viel - mit mir selbst. Ich bin eine super Zuhörerin, etwas huschig manchmal, okay, aber doch aufmerksam. Ich frage mich, wo ich mein Handy hingelegt habe oder das Portemonnaie, ich denke etwas, dann gleichzeitig noch was anderes, dann verliere ich den Faden und fange wieder von vorn an. Laufe von einem Zimmer ins andere und vergesse, warum ich losgelaufen bin. Jetzt finde ich zum Glück den Zettel mit meinem Programm auf dem geschmackvollen Schreibtisch und sehe: Ich werde in den nächsten Tagen Coachings haben, Massagen, Kraniosakral-Therapie und Meditation. Ich werde schwimmen und wandern und sehr gut essen. Ich werde nicht fernsehen, wenig aufs Handy schauen, ich werde ein Buch lesen, ein ganzes, relativ dick, und ich werde fertig werden damit. Ich werde es mit Absicht etwas langsamer lesen, denn es gefällt mir zu gut. Ich bin zu den Mahlzeiten allein, und das finde ich weniger seltsam, als ich es mir vorgestellt habe, ich bin einfach auch eine echt gute Tischdame. Ich werde in den kommenden Tagen niemanden zu lange anschauen, denn ich will kein Gespräch außerhalb meiner gecoachten Gespräche führen. Ich will mich.
Meine Coachin Tanja Frei treffe ich in der Lobby, es gibt Kuchen und Panorama, ich möchte eigentlich nicht los, aber im Laufen lässt sich leichter über Schweres plaudern. Ich darf alles, sagt die 41-jährige Adelbodenerin zu mir, ich darf mir ein Ziel setzen oder keins, ich dürfte weinen, schreien und lachen oder schweigen. Ich bin aber eher der Erzähler. Ich kann kaum aufhören, so viel fällt mir ein. Mein Gegenüber macht sich Notizen (im Kopf) und nickt mir aufmunternd zu, also weiter mit dem Laberflash. "Ich schreibe eigentlich lieber", sage ich, und fange irgendwann an, ihr Fragen zu stellen. Alte Berufskrankheit, das bin ich gewohnt (beruflich), das lenkt ab (privat) und es ist eh immer gut, mehr über den oder die anderen zu wissen. Ihr Schweizer Akzent lässt mich an frühere Skiferien mit meinen Eltern denken, die nun nicht mehr da sind und doch einen großen Teil meiner "Mental Health"-Woche einnehmen werden.
Ich erkläre Tanja, dass ich auch gern im abendlichen Zwielicht eine leicht getönte Sonnenbrille trage, weil ich schon zweimal schneeblind war, dass mir das in St. Moritz passiert ist und dass ich den Mercedes, mit dem wir damals dorthin gefahren sind, heute gern hätte. Dass ich eventuell eher ein sogenanntes Papa-Kind bin, meiner Mutter aber immer ähnlicher werde. Dass mein Bruder und ich uns mit den Vornamen unserer Eltern anreden, wenn wir diese Ähnlichkeiten beim anderen beobachten. Uns sofort erschrecken, dann aber lachen. Warum nicht werden wie die Eltern, sie waren schließlich meist super. Mein Leben ist ein einziges "Früher und Heute".
Tanja Frei weiß jetzt, dass ich mich für eine gute Skifahrerin halte (wenn Berliner das überhaupt sein können), denn ich will natürlich ein wenig angeben vor ihr, sie war mal Skirenn-Profi. Es ist nicht alles blöd in meinem Leben, will ich dringend senden. Normalerweise bin ich eine glückliche Frau mit allem Drum und Dran und brauche keine Hilfe, schon gar nicht mental, nur momentan hat es mir eben ein wenig die Füße weggezogen. Oder, wie der von mir verehrte Joachim Meyerhoff es formuliert: "Mir war es in den letzten Jahren unmöglich gewesen, den Stecker zu ziehen. Ich hatte das auch nie gewollt. Ich hatte mich so weit beschleunigt, dass ich das Tempo nicht mehr wahrgenommen hatte. Stillstand kam mir bereits wie Rückwärtsgang vor. Meine Überheblichkeit gegenüber jeder Art von Schonungs- und Achtsamkeitsgelaber war grenzenlos."
Einfach mal sein lassen
Nicht, dass mein Vater überraschend gestorben wäre. Nicht, dass das im besten Fall nicht allen so geht - also Eltern sterben vor ihren Kindern, andersrum ist falsch - aber das Ding mit der Endlichkeit so dermaßen aufs Brot geschmiert zu bekommen über die letzten Jahre, den Verfall des Geistes und die Abnahme der körperlichen Fähigkeiten, das ist gar nicht so einfach zu verstoffwechseln. Also für mich war es das anscheinend nicht, die Regalbreite für Ratgeber in Buchläden spricht zudem ihre eigene Sprache.
Am Abend esse ich auf Sterne-Niveau, ich trinke ein Glas Wein, alles ist vom Feinsten, Küchenchef Jiri Urban wird mich an keinem Tag enttäuschen und das Team um ihn herum auch nicht. Dass ich kein Schweinefleisch essen kann, wird vollkommen selbstverständlich berücksichtigt, und dass somit die Gerichte, die mit Gelatine hergestellt werden, für mich nicht infrage kommen, durchgehend beachtet. Ich kenne das Zucken in den Augen, wenn ich sage: "Kein Schwein bitte." "Woran glaubst du?", "Wie empfindlich bist du?", "Wie nervig bist du?" steht dann oft in den Gesichtern. Hier nicht. Hier werden die genauso bekocht, die die "Diet & Walks"-Woche gebucht haben, die "Mental Health"-Variante oder die "Gourmet"-Packung. Hier wird jeder sein gelassen - ein gutes Gefühl. Und man ist nicht einsam, auch wenn man allein am Tisch sitzt.
Am nächsten Morgen gehe ich zum Meditieren. Krass, ausgerechnet ich, die nicht stillsitzen kann, die immer was denkt, die immer was tun muss. Der Blick durch die raumhohen Fenster auf die Berge macht mich augenblicklich ruhig, es duftet nach Holz und Kräutern. Die Anleitung, wieder bei Tanja Frei, ist freundlich, professionell, wirkungsvoll. Ich spreche danach mit ihr über das Element Feuer. Die anderen Elemente interessieren mich sonst mehr, aber Feuer habe ich gerade vor mir, denn mein Vater hatte vor seinem Tod bestimmt, verbrannt zu werden, und ich empfinde das nur als eine semi-gute Idee. Ich bin nach der Meditation und dem Gespräch auf jeden Fall gelassener, denn ich habe gelernt, dass Feuer Transformation, Reinigung, Energie und das Göttliche bedeutet, dass es als Symbol für die innere Flamme steht. Auch für Lebenslust und Tatendrang, dass es als Kraftquelle dient, und am allerwichtigsten für mich: als Befreiung von irdischen Bindungen.
Ich bin leicht und hüpfe ins Sole-Bad. Dort soll man nur 20 Minuten bleiben, ich übertreibe aber, wie so oft, und bleibe länger. Viel länger. Die Massagedüsen auf den integrierten Liegen, der Blick aufs Gebirge, das Blubbern, die Wärme des Wassers um den Körper herum, die kühle Luft am Kopf – wo könnte man besser abschalten?
Am Nachmittag dann eine Behandlung, die ich noch nie hatte: Kraniosakraltherapie. Helga Eckhof Hauser streicht den Stress aus mir heraus, anders kann ich es nicht sagen, ich fühle mich leichter, beschwingter und trotzdem ganz verankert in mir. Die Ruhe, die hier ausgestrahlt wird, angefangen beim Ambiente des Hotels bis zu den Mitarbeitenden, ist phänomenal. Es überträgt sich auf die Anwesenden.
Happy in Heidi-Land
Ich faste dieses Jahr ohnehin. Allerdings heißt das in dem Fall: keine neuen Klamotten, außer im Urlaub. Ich räume auf, ich schmeiße weg, ich verschenke, ich verkaufe, ich will leichter werden, insgesamt, und ich habe bereits ein paar Tage Darm-Detox hinter mir. Auf alles zu verzichten ist jedoch nichts für mich, und die Detox-Drinks lassen einen nach einer Weile gefühlt zahn- und ratlos zurück. Not my cup of tea, denke ich noch, während ich den wahnsinnig guten Tee schlürfe, der nachmittags und morgens hier angeboten wird.

Dass sie ihren Job liebt, spürt man zu jeder Tages- und Nachtzeit: Franziska Richard.
(Foto: Bellevue Parkhotel)
Am Abend treffe ich mich mit der Hoteldirektorin Franziska Richard, die mir mehr über ihr familiengeführtes Haus erzählt. Es wird in Zukunft nicht einfacher, ist das Resümee, denn wer wird in die Fußstapfen der Schweizerin treten? Jeden Abend vor Ort, mit den Gästen plaudern, tagsüber die Menüs besprechen, die Angebote überlegen, das Personal finden und leiten – eine berufliche Herausforderung, auf die nicht mehr allzu viele Menschen Lust haben. Denn dort, wo andere Ferien machen, besonders, wenn sie so gut sind wie hier, steht ein riesiger Apparat dahinter, der alles so wirken lässt, als wenn nichts ein Problem darstellen könnte. Genau deswegen bin ich hier. Und genau das habe ich bekommen.
Nach einer Massage von Marlena Mikolajczyk – einer Massage, die wirklich ihren Namen verdient – starte ich zu einer Bergtour. Die Natur gibt mir den Rest – im positiven Sinne. Und ja, die Sinne funktionieren wieder, Freude stellt sich ein, das Gespür, dass die Welt grundsätzlich ein guter, wunderschöner Ort ist. Und keiner, der nur aus schlechten Nachrichten und krassen Überschriften besteht (die sich auch als geschwungene Leuchtstoffröhren gut machen würden, geklaut bei Meyerhoff, Seite 86).
Adelboden ist kein Schicki-Micki-Örtchen. Hier suchen Sie vergebens nach den üblichen Fast-Fashion-Ketten oder Edel-Boutiquen. Aber einen richtig guten Schuhladen gibt es, einen echten Metzger und eine Käserei, eine Bio-Drogerie mit Düften und Ölen, die helfen, das gute Gefühl nach Hause zu transportieren. Und eine Bergbahn, die nur alle halbe Stunde fährt. Entschleunigung! Das ist das Zauberwort, das ich als mein Souvenir mitnehme.
Ist so ein Retreat nicht irre teuer, kann man sich fragen. Nun ja, es kommt darauf an, was Sie sich wert sind. In einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, die akut bedrohlicher als noch vor ein paar Jahren wirkt, wären ein paar Frustkäufe weniger und besser statt viel zu essen, weniger Alkohol, weniger Zigaretten, weniger Fleisch, weniger Stress, vielleicht ganz sinnvoll. Und dann kann man sich das leisten, solch eine Investition in sich selbst. Falls es Sie neugierig gemacht hat - die Saison im Park Hotel Bellevue beginnt wieder am 23. Mai. Und falls nicht, dann haben Sie jetzt einen Text gelesen, der keine negativen Nachrichten transportiert hat.
Quelle: ntv.de