Nach Luke-Mockridge-Skandal Behinderte Menschen sind in erster Linie Menschen


Mockridge fand es witzig, andere Menschen herabzuwürdigen.
(Foto: IMAGO/Bonn.digital)
Nachdem sich Comedian Luke Mockridge in einem Podcast über Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Paralympics lustig gemacht hat, stellt sich die Frage: Gehen Witze über behinderte Menschen? Unser blinder Mitarbeiter sagt: ja. Aber …
Immer wieder werde ich gefragt: Darf man Witze über behinderte Menschen machen, wenn man selber nicht behindert ist? Ich finde: Wenn sie gut sind, unbedingt.
"Der erste Gag eines Comedy-Programms muss sein wie ein Rollstuhlfahrer: Er muss sitzen." Mit diesem Gag begann Comedian Felix Lobrecht früher seine Shows. Das ist ein schönes Wortspiel, finde ich. Es beschreibt eine Tatsache, stellt niemanden bloß, beleidigt niemanden, und ist noch dazu ein recht guter Kalauer. Zugegeben: Auch hier werden sich vereinzelt Menschen angegriffen fühlen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind - jeder Mensch ist anders. Aber im Großen und Ganzen wird diesen Satz niemand übel nehmen.
Auch Chris Tall pflegt sich in seinen Shows über behinderte Menschen lustig zu machen. Aber auch er macht das sympathisch, beleidigt niemanden. Und der Comedian, der bekanntlich eine Figur hat, aus der man zwei machen könnte, macht sich eben auch über dicke Menschen lustig, besonders über sich selbst.
Der Fall Luke Mockridge ist aber anders. Hier werden behinderte Menschen verächtlich gemacht, nicht nur behinderte Sportler. In der Podcast-Episode wird suggeriert, behinderte Menschen seien unfähig zu sportlichen Höchstleistungen, weil sie behindert sind. Das ist die Grenzüberschreitung: Menschen wegen ihrer Behinderung herabzusetzen. Witzig war die Szene auch nicht.
Mockridge weiß das, wie aus seiner sogenannten Entschuldigung vor einigen Tagen hervorging. Nur: Es ist genau wie mit dem Vogelschiss-Satz von Alexander Gauland: Sowohl dessen Aussage als auch das Nachäffen der Bewegungen von behinderten Menschen waren vorher geplant. Genauso wie das teils höhnische Gelächter, das diese "Comedy" geradezu ekelhaft machte. Und es ist eine einfache Regel: Willst Du Dich nicht wegen einer Grenzüberschreitung entschuldigen müssen, dann überschreite keine Grenze.
Wie ist das im Alltag?
Aber wie ist das eigentlich im normalen Leben? Darf man im Gespräch mit einem behinderten Menschen alles sagen? Ich würde sagen: ja, aber Sie müssen sich auch über die Konsequenzen klar sein. Behinderte Menschen reagieren wie Menschen. Menschen mit Behinderung können sensibel oder tough sein, einen guten oder einen schlechten Tag, gute oder schlechte Laune haben. Behinderte Menschen sind in erster Linie Menschen.
Tun, sagen oder fragen Sie also nichts, was Sie selbst stören würde. Fassen Sie einem wildfremden Menschen ohne Arme nicht auf die Schulter, wenn Sie selbst nicht wollen würden, dass jemand auf Sie zukommt und Ihnen die Hand streichelt. Springen Sie nicht auf einen blinden Menschen zu und fassen ihn fest am Arm, weil Sie glauben, dass er Hilfe braucht, wenn Sie nicht wollen würden, dass sich ein fremder Mensch in Ihrem Arm verkrallt. Nicht okay wäre es allerdings, wenn Sie sich sicher sind, dass Ihr Gegenüber vielleicht wirklich Hilfe braucht. Bedenken Sie, dass der blinde Mensch Sie nicht sehen kann. Sprechen Sie ihn an, er wird reagieren: positiv, negativ, locker, gestresst. Das kommt ganz auf die Umstände an.
Wie Sie sich mit einem behinderten Menschen im Gespräch verhalten, ist eigentlich auch recht einfach: Akzeptieren Sie, dass Sie einen Menschen vor sich haben. Machen Sie keine Bemerkungen, die Sie von anderen als beleidigend empfinden würden. Stellen Sie keine Fragen, die Sie selbst nicht gestellt bekommen möchten. Wenn Sie zu weit gegangen sein sollten, werden Sie das am Gesicht Ihres Gegenübers schon sehen.
Grundsätzlich schlage ich vor: Seien Sie neugierig. Die Zahl der behinderten Menschen geht dank immer besserer medizinischer Leistungen zurück. Wenn Sie die Möglichkeit haben, mit einem behinderten Menschen ins Gespräch zu kommen, sollten Sie sie nutzen. Sie werden viel lernen.
Darf man das Wort "behindert" sagen?
Menschen mit Behinderung bezeichnen sich selbst häufig als "behindert" oder nennen ihre Behinderung: querschnittsgelähmt, gehörlos, blind. "Behinderung" ist ein neutrales Wort, das einen Zustand beschreibt. Ich zum Beispiel habe eine Körperbehinderung, die meinen Körper daran hindert, sich hinters Steuer eines Autos zu setzen und loszufahren. Meine Behinderung sieht man. Ich kann und will sie nicht verstecken. Sie ist mir nicht peinlich. Das Wort "Behinderung" ist nicht das Problem. Das Problem ist, was Leute sich darunter vorstellen.
Wichtig ist aber: Die Sprache verändert sich. Das bedeutet, dass der Mensch immer mehr in den Mittelpunkt rückt. War es noch vor zehn Jahren völlig okay, von "dem Behinderten" zu sprechen, sollte man heute "der behinderte Mensch" sagen.
Wichtig ist mir: Ich habe nicht nur eine Behinderung, ich werde auch behindert. Das geht allen behinderten Menschen so, egal, welche Behinderung sie haben: Hier fehlt der Gebärden-Dolmetscher, da ist die Toilette für einen Menschen mit Rollstuhl nicht zugänglich, dort hat das Hotel ein für einen blinden Menschen nicht zu überwindendes Frühstücksbüfett. Um klarzukommen, werden Menschen mit Behinderung Lösungen suchen, zum Beispiel einen Hotelangestellten um Hilfe am Büfett bitten.
Immer wieder finden Menschen Wörter, um das Wort "Behinderung" zu vermeiden. Das ist nett gemeint, aber meiner Ansicht nach eher unnötig. Ein gern gewählter Begriff ist das Wort "Handicap". Das hat aber einen eher negativen Touch, selbst in England und den USA wird es immer weniger benutzt. Das Wort bedeutet richtig übersetzt "Einschränkung". Durch technische Hilfsmittel, moderne Gesetze und eine immer zugewandtere Gesellschaft ist das Leben von Menschen mit Behinderung aber immer weniger "eingeschränkt".
Fakt ist: Auch wenn der Weg zu völliger Normalität noch lang ist, sind wir schon recht weit. Das zeigt der Shitstorm gegen den Podcast mit Luke Mockridge. Verächtlichmachung von behinderten Menschen kommt nicht an. Was langsam in der Gesellschaft ankommt, ist: Wir sind alle normal.
Quelle: ntv.de