Panorama

Virologe Streeck bei ntv "Bei 2G gebe ich zwei Punkte zu bedenken"

Hendrik Streeck ist dagegen, Ungeimpfte unter Druck zu setzen.

Hendrik Streeck ist dagegen, Ungeimpfte unter Druck zu setzen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Für viele ist die breite Anwendung der 2G-Regel der Königsweg in der angespannten Corona-Lage. Der Bonner Virologe Streeck plädiert dagegen für 3G. Im ntv-Interview erklärt er zudem seine Haltung zu einem möglichen neuen Lockdown.

ntv: Es wird von immer mehr Experten und Politikern gefordert, flächendeckend 2G einzuführen. Muss das wirklich sein?

Hendrik Streeck: Ich kann vollkommen verstehen, dass man jetzt 2G bundesweit haben möchte - vor allem auch bundesweit einheitliche Regeln. Bei 2G gebe ich aber zwei Punkte zu bedenken. Erstens: Geimpfte haben dann das Gefühl, sie sind nicht mehr Teil der Pandemie. Die Pandemie ist ihnen mehr oder weniger egal. Und wir sehen ja deutlich auch Übertragungen unter Geimpften, auch wenn es etwas reduziert ist. Aber auch sie können sich infizieren und das Virus weitergeben. Und jetzt stellen sie sich einen Pfleger vor, der unter 2G-Bedingungen feiert, nächste Woche dann zur Arbeit geht und das Virus in ein Altenheim reinträgt. Hier müssen wir in jedem Fall auch mit Tests dagegen arbeiten.

Welches Problem sehen Sie noch?

Man darf nicht annehmen, dass Ungeimpfte bei 2G zu Hause bleiben und überhaupt nichts mehr machen. Sie haben natürlich auch ein Sozialleben und kommen dann miteinander zusammen. Dann kriegen wir unkontrollierte, unerklärliche Ausbrüche unter Ungeimpften. Und die werden noch nicht einmal mehr über Tests erkannt. Von daher bin ich wirklich für eine 3G-Regel, und dass wir auch viel mehr testen und vielleicht auch, bei Ungeimpften zumindest, mit PCR-Tests arbeiten.

Es werden immer mehr Medikamente gegen das Virus entwickelt. Ist da aktuell etwas Vielversprechendes dabei?

Ja, Molnupiravir, das ist in England schon zugelassen. Und das hat wirklich eindrückliche Ergebnisse gezeigt, vor allem wenn man das sehr früh anwendet. Wenn man in den ersten Tagen nach der entdeckten Infektion Molnupiravir gibt, quasi als eine Postexpositionsprophylaxe, dann hat es eine Reduktion der Hospitalisierung um 50 Prozent gezeigt. Und es senkt sogar die Todesfallrate: In einer Placebo-Gruppe gab es acht Tote, in der Molnupiravir-Gruppe keinen. Das ist bei der EMA gerade im Rolling-Verfahren, sodass ich hoffe, dass es auch bald bei uns zugelassen sein wird.

Wenn es wirkungsvolle Medikamente gibt, könnte man dann nicht doch ein wenig den Druck aus der Impfkampagne herausnehmen?

Generell glaube ich, dass wir keinen Druck brauchen, sondern mehr Überzeugung und mehr Erklärung zum Impfen. Die Cosmo-Studie hat deutlich gezeigt, dass Druck nicht wirklich zu mehr Impfungen führt, sondern dass man gute Aufklärung und niedrigschwellige Angebote braucht. Vor allem auch in Bereichen von den Menschen, die man im Moment noch nicht erreicht hat. Mit 2G wird ja eher eine Spaltung angetrieben, die ich in so einer Phase nicht sinnvoll finde. Natürlich können wir auf die Medikamente hoffen und dass es dadurch einen leichteren Umgang mit der Erkrankung gibt. Aber wir wollen ja gar nicht, dass die Menschen erst ins Krankenhaus kommen.

Kurzer Ausblick auf Weihnachten: Ihr Kollege Christian Drosten hat wieder Kontaktbeschränkungen ins Spiel gebracht. Könnte es jetzt pünktlich zu den Feiertagen also doch wieder richtig problematisch werden?

Wir haben deutlich gesehen, was für andere Effekte ein Lockdown hat - etwa für die Schüler, für die Kinder, aber auch auf die Psyche der Menschen und nicht zu sprechen von der Wirtschaft oder anderen Faktoren. Ich glaube, wir brauchen einen pragmatischen Umgang mit der Situation. Was unbedingt eingeführt werden muss, ist deutschlandweit die kostenfreie Testung. Dass man hochfrequent testet und Infizierte wieder schnell herausfiltern kann, dass wir wieder über das Abbrechen der Infektionsketten sprechen können. Im Moment haben wir so eine hohe Dunkelziffer, dass wir überhaupt nicht mehr nachvollziehen, wo sich die Menschen infizieren.

Mit Hendrik Streeck sprach Marie Kristin Görz

Quelle: ntv.de

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