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Wettquoten und Orakel Bekommt ein Phantom den Literaturnobelpreis?

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Diese Tür öffnet sich für die Bekanntgabe des Preisträgers oder der Preisträgerin auch in diesem Jahr.

Diese Tür öffnet sich für die Bekanntgabe des Preisträgers oder der Preisträgerin auch in diesem Jahr.

(Foto: picture alliance/dpa)

Wer bekommt am Donnerstag den Literaturnobelpreis? Diese Frage diskutieren Verlage genauso leidenschaftlich wie Leserinnen und Leser. Bei den Wettbüros stehen einige bekannte Namen ganz oben, das kann jedoch auch ein Ausschlusskriterium sein.

Am vierten Tag der Nobelpreisverkündigungswoche ist traditionell der Literatur-Nobelpreis dran. Und während bei den wissenschaftlichen Preisen meist vorher klar ist, dass die Namen der Preisträgerinnen oder Preisträger nur Eingeweihten bekannt sein werden, schauen Lesende und Literaturinteressierte auf den Donnerstag mit einer gewissen Neugierde, ob sie den Autor oder die Autorin kennen oder sogar gern lesen.

Im vergangenen Jahr ging der Preis an die Koreanerin Hang Kang, was für viele eine Überraschung war. Denn bei den Buchmachern wurde ihr gerade mal eine rechnerische Gewinnchance von drei Prozent zugetraut, was mit Außenseiterchancen noch freundlich umschrieben ist. In vielen Favoritenlisten tauchte sie gar nicht auf.

Das lässt für die derzeitigen Wettfavoriten nicht unbedingt das Beste hoffen. Die Quotenvergleichsseite Nicerodds hat die Wetten bei verschiedenen Buchmachern ausgewertet und würde nach dieser Logik gleich mehrere Favoriten zu Fall bringen. Denn an der Spitze dieser Auswertung steht gerade der Inder Amitav Gosh, gefolgt vom Ungarn László Krasznahorkai, dem Australier Gerald Murnane und dem japanischen Dauerkandidaten Haruki Murakami und schon etwas überraschend der US-Amerikaner Thomas Pynchon, der als literarisches Phantom durch die Lesewelt geistert und eine glühende Anhängerschaft hat. Weiter hinten auf der Liste tauchen noch bekannte Namen auf wie Salman Rushdie, Colm Toibin, Karl Ove Knausgård oder Isabel Allende. Gerüchten zufolge schließt die Jury all jene aus, die bei den Buchmachern auf den ersten zehn Plätzen liegen. Insofern haben diejenigen die besten Chancen, die bei den Wettbüros gar nicht vorkommen oder denen maximal Außenseiterchancen eingeräumt werden.

Aus 200 mach 5 mach 1

Man könnte in der Vergabepraxis des Nobelpreiskomitees in den vergangenen Jahren zudem eine gewisse Logik vermuten. Nachdem Autorinnen lange bei der Vergabe des Preises stark unterrepräsentiert waren, gibt es seit 2018 ein Muster: In einem Jahr gewinnt ein Mann, im kommenden dann eine Frau. 2018 war mit Olga Tokarczuk ein Frauenjahr, es folgten Peter Handke, Louise Glück, Abdulrazk Gurnah, Annie Ernaux, Jon Fosse und schließlich Hang Kang. Demnach wäre wieder ein Mann dran. Oder aber das Komitee macht sich daran, das noch immer eklatante Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen weiter abzuarbeiten und wählt erneut eine Frau?

Zuzutrauen ist es dem Gremium, das alljährlich etwa 200 Vorschläge für den Preis zusammenträgt. Sie kommen von früheren Preisträgern, Mitgliedern der Schwedischen Akademie sowie Literatur- und Linguistikprofessoren und Präsidenten von Schriftstellerverbänden. Daraus entsteht eine Liste mit fünf Kandidatinnen und Kandidaten für die finale Entscheidung. Deren Werke werden von den Akademie-Mitgliedern gelesen und diskutiert, bis schließlich über den Preisträger oder die Preisträgerin abgestimmt wird. Der Sieger muss mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen bekommen und wird inzwischen in einem Livestream bekannt gegeben. Die Namen der übrigen Nominierten bleiben 50 Jahre lang geheim.

Die Anforderungen für den Sieg hatte der Stifter des Preises, Alfred Nobel, stark interpretierbar formuliert. Der Preis soll demnach an jene Personen verliehen werden, die "das Vorzüglichste in idealistischer Richtung geschaffen haben". Nominiert werden können nur lebende Autorinnen oder Autoren, eine Selbstnominierung ist ausgeschlossen. Oft werden Kandidaten erst nach Nominierungen in mehreren Jahren berücksichtigt. Gerüchten zufolge gibt es eine interne Altersgrenze von 50, um ein gewisses Werk überblicken zu können und zu verhindern, dass nur noch Schlechtes oder gar nichts mehr kommt.

Nicht politisch, nicht unpolitisch

Thematisch standen die Literaturnobelpreisträger der zurückliegenden Jahre für Feminismus, Postkolonialismus oder Ökologie, wobei es nicht so sehr um eine eindeutige politische Positionierung geht. Vielmehr wird häufig die literarische Qualität von Texten in Verbindung mit sozialen oder gesellschaftspolitischen Fragestellungen von allgemeiner Gültigkeit zur Begründung herangezogen.

Häufig ließ sich die Entscheidung des Nobelpreiskomitees so interpretieren, dass es den Blick auf besonders interessante, aber nicht unbedingt sehr bekannte Autorinnen und Autoren lenken wollte. Mathilde Montpetit, Doktorandin an der New York University, die vier Jahre in Folge den Nobelpreis-Tipp ihres Buchclubs gewonnen hat, sagt: "Ich habe das Gefühl, dass sie versuchen, die Leute dazu zu bringen, jemanden zu lesen, den sie sonst nicht lesen würden." Die Bücher von Abdulrazak Gurnah, des Preisträgers von 2021, wurden nach dieser Ehre weltweit hunderttausendfach gelesen. Auch seine Auszeichnung kam für die Buchmacher unerwartet.

Für Amerikaner sieht es schlecht aus, sie haben bei der Jury in Schweden meist keinen guten Stand, waren dafür aber auch mit Louise Glück 2020 und Bob Dylan 2016 in den vergangenen Jahren fast überproportional vertreten. Nach einer Preisträgerin aus Asien im vergangenen Jahr könnten also in diesem Jahr Europa oder Afrika zum Zuge kommen. Oder ein Teil Asiens, der lange nicht berücksichtigt wurde. Oder doch Thomas Pynchon?

Quelle: ntv.de

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