
Carlos Lehder saß 33 Jahre in den USA in Haft.
(Foto: AP)
Ex-Drogenbaron Carlos Lehder ist nach jahrelanger Haft gerade in Deutschland angekommen, um in Ruhe alt zu werden - schon holen ihn die Schatten seiner Vergangenheit ein. Weil er einst den Mord des kolumbianischen Justizministers gerechtfertigt hat, will dessen Sohn nun die Auslieferung Lehders erreichen.
Sein Anwalt Oscar Arroyave hatte vergangene Woche gegenüber ntv.de von der "verdienten Freiheit seines Mandanten in Deutschland" gesprochen. Und Carlos Lehder selbst mag es für eine Form der Gerechtigkeit halten, dass er 33 Jahre in US-Haft verbringen musste, aber noch lebt - ganz im Unterschied etwa zu Pablo Escobar, seinem einstigen Partner und Rivalen, der 1993 am Stammsitz ihres gemeinsamen Drogenkartells erschossen wurde: im kolumbianischen Medellin.
Doch nun droht Carlos Lehder erneut ein Prozess. Dabei könnte ihm zum Verhängnis werden, dass er vor laufender Kamera mit einem Mord geprahlt hat, der vor 36 Jahren verübt wurde. 1984, auf dem Höhepunkt des Drogenkriegs zwischen der kolumbianischen Regierung und dem Medellin-Kartell, war der damalige Justizminister Rodrigo Lara Bonilla in seinem Dienstwagen ermordet worden. Während ein Attentäter vor Ort erschossen wurde und ein anderer festgenommen werden konnte, galten Escobar und Lehder stets als Drahtzieher hinter dem Attentat.
Angesprochen auf den Mord an Lara Bonilla, hatte Lehder in einem Interview erklärt: "Bonilla wurde vom Volk hingerichtet, weil die Hand des Volkes die Hand Gottes und die Stimme des Volkes die Stimme Gottes ist." Auf die Frage, ob er den Mord rechtfertige, antwortete er: "Natürlich rechtfertige ich ihn."
Neue Ermittlungen gegen Lehder
Rodrigo Lara Restrepo, Sohn des Opfers und Mitglied im kolumbianischen Senat, hat nun bei der Staatsanwaltschaft in Bogota ein Ermittlungsverfahren gegen Carlos Lehder beantragt und darum gebeten, alle notwendigen Schritte für eine erneute Haft einzuleiten - gegebenenfalls auch die Auslieferung nach Kolumbien. Im offiziellen Antrag seines Rechtsanwaltes bezieht sich der 46-jährige Politiker auf die Nachricht aus der vergangenen Woche, dass Lehder nach Beendigung seiner Haft in den USA nach Deutschland gereist ist. In Kolumbien soll Lehder Taten verübt haben, die bislang nicht bestraft wurden.
Der Fall ist kompliziert, darin sind sich die Experten einig. Während kein Zweifel daran besteht, dass Lehder 1987 nach seiner Auslieferung an die USA für Drogenhandel, nicht aber für Gewaltverbrechen angeklagt und verurteilt wurde, ist es unwahrscheinlich, dass ihn Deutschland ausliefern würde, da er im Besitz eines deutschen Passes ist. Kai Ambos, Professor für Straf- und Völkerrecht an der Universität Göttingen hält dies gegenüber ntv.de mit Verweis auf Artikel 16 im Grundgesetz für ausgeschlossen und betont: "Eine Auslieferung ist nur innerhalb der EU und vor einen internationalen Gerichtshof möglich."
Allerdings, so Ambos, könnten Lehder Ermittlungen und sogar ein Prozess in Deutschland bevorstehen. Die Voraussetzung dafür wäre, dass Kolumbien eindeutige Beweise "für verfolgbare und nicht verjährte Straftaten" zutage fördert. Ein selbst verübter Mord würde darunter genauso fallen wie ein vorsätzlich beauftragter.
Lehder nicht schuld- und prozessfähig
Lehder selbst mag einwenden, dass er zur Tatzeit - und während des TV-Interviews - unter starkem Einfluss des Produkts stand, mit dem er zur selben Zeit die USA überschwemmte: Kokain. Sein eigener Drogenkonsum und der daraus resultierende Übermut hatten ihm nicht nur den Spitznamen "Crazy Charly" eingebracht, sondern sollen auch zum Zerwürfnis mit Pablo Escobar geführt haben.
In den Untersuchungen, die Lara Restrepo jetzt beantragt hat, wäre nicht nur zu klären, ob die Schuldfähigkeit Lehders eingeschränkt war, sondern auch, ob er in seinem heutigen Zustand überhaupt prozess- und straffähig ist und ihm ein Verfahren noch zuzumuten wäre. Lehder ist an Prostatakrebs erkrankt. Hinzu kommt, dass seine Haftzeit in den USA bereits weit über dem Strafmaß lag, das eine Verurteilung wegen Mordes in Deutschland nach sich ziehen würde.
Strafrechtsexperte Kai Ambos erklärt: "Aus deutscher Sicht sind 33 Jahre Haft ziemlich lang, dazu in einem US-Gefängnis mit normalerweise schlechteren Haftbedingungen als hierzulande. Nach deutschem Recht kommt selbst bei einer lebenslangen Freiheitsstrafe eine vorzeitige Aussetzung nach 15 Jahren in Betracht. In der Praxis erfolgt sie regelmäßig vor 20 Jahren, außer es liegt eine besondere Schwere der Schuld vor oder die Person wird aufgrund besonderer Gefährlichkeit in die Sicherheitsverwahrung überführt."
Unterdessen wird in und außerhalb Kolumbiens spekuliert, ob Lehder in einem finalen und palliativen Stadium krank ist und sich im Angesicht seines bevorstehenden Todes im Moment mit einer Art politischem Testament beschäftigt, das er bald bekannt geben könnte. Fest steht, dass sein Anwalt bereits in der vergangenen Woche gegenüber ntv.de eine "gemeinsame Pressekonferenz" angekündigt hat - in Deutschland.
Quelle: ntv.de