Panorama

Deutscher Arzt in New York "Das Ausmaß wäre vermeidbar gewesen"

Das Mount Sinai Krankenhaus in New York ist mit Covid-19-Patienten total ausgelastet.

Das Mount Sinai Krankenhaus in New York ist mit Covid-19-Patienten total ausgelastet.

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Nils Hennig behandelt in einem New Yorker Krankenhaus seit Wochen Covid-19-Patienten. Im Interview mit ntv schaut er auf extrem anstrengende und frustrierende Tage zurück. Aus seiner Sicht muss die US-Politik schnell aus den bisherigen Fehlern lernen, denn die Pandemie sei noch lange nicht vorbei.

ntv: Wie ist die aktuelle Lage bei Ihnen im Krankenhaus?

Nils Hennig: Die Lage hat sich leicht entspannt, wir haben jetzt 1600 positive Covid-19-Patienten. Am 9. April war der Höchststand, da hatten wir 2200 Fälle. Die Zahl ist rückläufig, aber das ist noch immer auf einem sehr hohen Niveau. Denn normalerweise haben wir hier 1000 Betten – und die 1600 sind nun ausschließlich Covid-19-Patienten.

Von Normalität kann also keine Rede sein?

Von Normalität sind wir noch ganz weit entfernt. Alle andere medizinische Versorgung ist so gut wie eingestellt. Die meisten unserer Patienten sind Corona-Patienten. Das liegt auch daran, dass die anderen Patienten Angst haben und deshalb zu Hause bleiben. Wenn es machbar ist, nutzen wir auch Telemedizin, um sie zu betreuen.

Wie ist denn die Stimmung unter den Mitarbeitern?

Wir sind natürlich erfreut, dass die Zahlen sinken und sich stabilisieren, auf der anderen Seite ist man erschöpft. Das Personal hat lange rund um die Uhr gearbeitet und die Stationen sind auch immer noch überfüllt. Und so langsam lässt man sacken, was man in den letzten Tagen erlebt hat. Bei uns hier im Mount Sinai sind seit Anfang März über 1400 Menschen an Covid-19 verstorben.

Sind Sie auch ein bisschen frustriert?

Ja, das hat natürlich damit zu tun, dass das Ausmaß der Epidemie schon vermeidbar gewesen wäre. Das fängt natürlich auf den höheren Ebenen an und hört hier in New York City und State auf. Man wusste eigentlich, was auf einen zukommt, denn es gab genug Warnungen. Die WHO spricht schon seit Jahren davon, dass so etwas mal auf uns zukommt. Es gab Sars 2003 und auch der Nationale Sicherheitsrat wusste das. Es gibt ein Handbuch für solche Fälle, das 2016 nach der Ebola-Pandemie fertiggestellt worden war. Aus irgendwelchen Gründen ist diesem Szenario aber nicht gefolgt worden. Das war darin beschrieben und dafür lagen auch Pläne vor. Hier in New York hatten wir am 1. März den ersten bestätigten Fall. Bundesstaat und Bürgermeister versprachen daraufhin, dass getestet werden und Kontakte nachverfolgt werden sollen – um einen größeren Ausbruch zu vermeiden. Das hat damals aber leider nicht stattgefunden.

Haben Sie das Gefühl, dass das medizinische Personal das nun alles ausbadet?

Ja, viele Kollegen haben schon das Gefühl, dass wir jetzt diese Versäumnisse ausbaden, weil woanders nicht früh genug gehandelt wurde. Die Zahlen, die wir nun sehen, hätte man durch eine frühe Intervention sicher verhindern können. Es geht jetzt einfach darum, aus den Fehlern zu lernen. Die Fehler müssen zugegeben werden – und man muss sehen, was falsch gelaufen ist. Die Pandemie ist noch lange nicht zuende. Solange wir noch keinen Impfstoff haben, wird das auch so weitergehen und deshalb ist es umso wichtiger, dass wir ehrlich aussprechen, was wir besser machen können.

Wie sehen Sie, dass es in den Vereinigten Staaten schon Proteste für Lockerungen gibt?

Das ist nicht nur in den USA so. Das ist frustrierend. Dadurch, dass es nicht ernst genommen wird, trägt es dazu bei, dass mehr Menschen angesteckt und mehr Krankenhausbetten belegt werden. Letztendlich werden dadurch auch mehr Menschen an Covid-19 sterben.

Wir müssen die Fähigkeiten haben, alle Verdachtsfälle zu testen, alle Positiven zu isolieren und alle Kontaktpersonen in Quarantäne zu schicken. Hier in New York ist das noch nicht der Fall und es könnte sein, dass das Schlimmste in anderen Teilen des Landes noch auf die Menschen zukommen wird. Manchmal wünsche ich mir, dass die Leute in anderen Landesteilen sehen könnten, was wir hier in New York jeden Tag erleben.

Welchen Verlauf beobachten Sie bei den Patienten?

Wenn das Virus in den oberen Atemwegen bleibt, dann ist die Erkrankung nicht so schlimm. Aber wenn der Erreger tiefer in die Lunge eindringt, dann führt das zu schweren Krankheitsbildern – auch in Kombination mit Vorerkrankungen.

Gibt es denn trotz dieser Pandemie positive Erlebnisse?

Es sind nicht nur die Ärzte und Krankenschwestern, die sich um die Patienten kümmern, sondern auch Studenten. Es ist auch bewundernswert wie auch unsere Studenten in den letzten Wochen mitgeholfen haben. Häufig sind Ärzte und Pfleger so mit den medizinischen Dingen beschäftigt, dass die Studenten oft die einzigen sind, die sich mit den isolierten Patienten unterhalten und sie unterstützen. Sie sorgen beispielsweise dafür, dass, wenn ein Patient intubiert werden muss, die Person letzte Worte mit dem Ehepartner und Kindern wechseln kann. Sie sind in Situationen zur Stelle, wo wir als medizinisches Personal häufig keine Zeit haben.

Mit Nils Hennig sprach Janina Beck

Quelle: ntv.de

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