Panorama

Dresden? Essen? Kentridge!"Dem Echo zu lauschen, bedeutet, offen zu sein"

19.12.2025, 18:45 Uhr jul_picVon Juliane Rohr
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Keine Angst vor dem eigenen Körper: William Kentridge im Museum Folkwang neben einem Selbstporträt. (Foto: Museum Folkwang, Sebastian Drüen)

Immer leicht zu verstehen, nicht immer leicht verdaulich - so sind die Animationsfilme, Zeichnungen, Theater- und Puppenspiele von William Kentridge. Wie das geht, können Sie in Dresden und Essen erleben, wo eine Doppelausstellung seinen 70. Geburtstag feiert.

Ein regnerischer Dienstagvormittag in Essen, auffallend viele Besucher sind im Museum Folkwang. Sie sitzen fasziniert vor schwarz-weißen Trickfilmen. Die erzählen in Stop-motion-Technik humorvoll und poetisch, kurze absurde, teils brutale und dunkle Geschichten. Nichts dabei ist verkopft. Alles ist ohne Vorkenntnisse begreifbar. Musik ertönt. Immer wieder tauchen neben den Figuren riesige Flüstertüten, einzelne Nashörner und italienische Espressokocher auf. Die Ausstellung "Listen to the Echo" ehrt William Kentridge, einen der wichtigsten Künstler der Gegenwart, und zieht Menschen an.

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Amüsant und klug: der doppelte William Kentridge im Gespräch mit einem anderen Ich. (Foto: Courtesy Kentridge Studio © William Kentridge, 2025)

Das Besondere: "Listen to the Echo" läuft unter diesem Titel nicht als Wanderausstellung hintereinander, sondern gleichzeitig. Nämlich in Essen und in Dresden, dort sogar an drei Orten der Staatlichen Kunstsammlungen. Der Südafrikaner Kentridge ist weltweit von New York über London bis nach Wien ein gefeierter Superstar. Welche Rolle spielt Deutschland? "Meine Verbindung zu Deutschland ist über Jahrzehnte gewachsen", erzählt der 70-Jährige ntv.de mit einer persönlichen Sprachnachricht aus seinem Atelier in Johannesburg. Dreimal nahm er an der Documenta in Kassel teil, stellte unter anderem in Berlin oder Düsseldorf aus. Die Einladung zur aktuellen Doppelschau sei eine Bestätigung dieses guten Verhältnisses, so Kentridge.

Begeistert bewegt sich das Publikum im Essener Museum Folkwang durch die verschiedenen Räume. Schlendert über schallschluckende Kork- und Teppichböden. Bleibt vor Kohlezeichnungen, Tapisserien, Skulpturen und in Holzboxen voller kunstvoller Überraschungen à la Kentridge hängen. Es gibt reichlich zu sehen, zu lächeln, nachzudenken. Vieles, um diesem titelgebenden Echo nachzuspüren. "Dem Echo zu lauschen, bedeutet, offen zu sein, für das, was auf einen zukommt“, ist der Künstler überzeugt. Das könne auch ein visuelles Echo sein. Ein nicht genau zu verortender Impuls, den im man im Körper spürt.

"Sich nichts auf das Weißsein einbilden"

1955 wird William Kentridge in Johannesburg geboren. Seine Eltern, Felicia und Sydney, sind zu dieser Zeit Rechtsanwälte und Aktivisten, kämpfen gegen das Apartheitsregime. Ende der 50er Jahre bekommt sein Vater in einem Prozess um Landesverrat mit 156 Angeklagten unter anderem Nelson Mandela frei. In der Folge dieses sogenannten "Treason Trial" gibt es in Europa zum ersten Mal Solidaritätsbekundungen mit der südafrikanischen Anti-Apartheits-Organisation. Die Familie Kentridge ist weiß und privilegiert. William und seine drei Geschwister merken dennoch früh, dass ihre Eltern sich gegen Rassismus stellen und sich für Schwarze einsetzen.

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Bewegende Bilder voller lustiger Ideen trotz dunkler Geschichten (Filmstill aus More Sweetly Play The Dance). (Foto: © William Kentridge)

Das mag auch an seinen familiären Wurzeln liegen, sie sind jüdisch-litauisch. "Die Geschichte der Juden in Deutschland im 20. Jahrhundert ist kompliziert", sagt er. Andererseits gebe es viele wichtige deutschsprachige Schriftseller, Maler und Musiker. Franz Kafka, Max Beckmann oder Mozart sind wiederkehrende Ankerpunkte. William Kentridge verknüpft Vergangenheit und Gegenwart, persönliche Erzählungen mit globalen Themen. Seine bewegenden Bilder und bewegten Geschichten haben einen hohen Wiedererkennungswert. Nicht nur wegen der lustigen Idee mit wiederkehrenden Flüstertüten, Nashörnern oder Espressokochern.

Für seine Animationen zeichnet er mit Kohle, radiert mit Schwamm und Fingern einzelne Bereiche aus. Das Vorherige bleibt dabei teilweise sichtbar – wie ein visuelles Echo aus vergangenen Zeiten. "Ich erstelle eine Zeichnung auf Papier", erklärt Kentridge. "Ich gehe zur Kamera, mache ein, zwei Aufnahmen, gehe zurück zum Papier, verändere die Zeichnung ein bisschen, gehe zurück zur Kamera und so weiter." Drei Jahre lang wurde für die Doppelschau recherchiert. Anhand selten gezeigter Zeichnungen aus Privatsammlungen kann das Publikum in Essen das "Making-of" seiner Filme nachvollziehen.

Kentridges einzigartige Bildsprache packt emotional und intellektuell. So leichtfüßig die Arbeiten des 70-Jährigen daherkommen, so sehr sind sie in ihrem Resonanzraum politisch aufgeladen. Seine Kunst regt zur Auseinandersetzung mit schweren Themen an – vom Scheitern gesellschaftlicher Utopien über die Folgen von Kolonialismus und Apartheid bis hin zur Migration. "Seine politisch engagierte Juristenfamilie im Südafrika der Apartheid hat ihn gewissermaßen imprägniert, sich nichts auf das Weißsein einzubilden", sagt Kurator Tobias Burg ntv.de bei dem Rundgang durch die Essener Ausstellung.

Elefant oder was mit Kunst

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Gut, um sich Gehör zu verschaffen: die Flüstertüte, das Megafon oder auch Sprachrohr genannt. (Foto: © Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Oliver Killig)

Setzt Kentridge die Themen der angesehen Eltern mit anderen Mitteln fort? Als Kind will er Elefant werden, später Schriftsteller, Dirigent, vielleicht irgendwas mit Kunst. Burg glaubt, es ging ihm darum, einen eigenen Weg zu finden. Seine Kunst kippe nie in Aktivismus, so der Kunsthistoriker weiter. Kentridge studiert in Johannesburg, Politikwissenschaft und Afrikastudien. 16 Jahre lang arbeitet er mit einem Theaterkollektiv als Plakatmaler, Bühnendesigner, Regisseur und Schauspieler. In Paris besucht er sechs Monate eine Schauspielschule. Schließlich setzt er noch ein Kunststudium obendrauf. 1984 veröffentlicht er seinen ersten Kurzfilm, der beim American Filmfestival in New York ausgezeichnet wird.

Mit Erfolg bringt William Kentridge alles zusammen, was er gelernt hat. Der Kindertraum, ein Elefant zu werden, könnte dabei für seine endlose Fantasie stehen. Vielleicht macht seine Vielseitigkeit den Zauber in seiner Kunst aus? Der Reiz bei "Listen to the Echo" liegt für ihn und die Ausstellungsmacher darin, Werke zu zeigen, die zu der jeweiligen Geschichte der Städte passen. In der Residenzstadt Dresden dreht sich viel um Repräsentation von Macht und Triumphzüge. In Essen hingegen treten Kolonialismus und Bergbau in den Dialog mit dem Goldabbau und der Unterdrückung in Johannesburg. Interessant, wie selbstverständlich Kentridges südafrikanische Arbeiten sich mit der Historie dieser deutschen Orte verzahnen.

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Der Espressokocher ist eine kleine Maschine und ersetzt bei Kentridge gerne mal den Kopf. (Foto: Thys Dullaart © William Kentridge, 2025)

Abi mit dem Espressomann

Kentridge und sein Werk sind in Nordrhein-Westfalen seit diesem Jahr Teil der Abiturvorbereitungen und des Lehrplans. "Das hat mich überrascht", erzählt William Kentridge ntv.de. Er entschuldige sich bei allen Schülerinnen und Schülern, die nun seine ganzen Arbeiten betrachten und Texte lesen müssten. "Hoffentlich sind meine Arbeiten direkt genug und ich hoffe, sie haben Spaß, das Making-of meiner Filme zu ergründen." Eine Schülerin, die gerade seine Filmreihe "Selbstporträt als Kaffeekanne" gesehen hat, ist begeistert: "William Kentridge lässt Raum für eigene Interpretationen, man kann um die Ecke denken und vor allem ist seine Kunst nicht überperfekt."

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Eigene Interpretationen sind erwünscht. (Foto: Thys Dullaart ©William Kentridge, 2025)

Apropos um die Ecke gedacht: Die kleine Kanne zum Espressokochen erinnert Kentridge an eine menschliche Figur. Das bekommt man nach der Ausstellung nicht mehr aus dem Kopf. Stets mit weißem Hemd und schwarzer Hose bekleidet nahm er während der Corona-Lockdowns in seinem Atelier neun Videos mit dem Titel "Self-Portrait as a Coffee-Pot" auf. Darin erscheint er teilweise gedoppelt oder vervierfacht und lauscht dem Echo seiner selbst.

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Listen to the Echo
38,00 €

"Listen to the Echo", bis zum 18. Januar im Museum Folkwang in Essen sowie in Dresden im Albertinum (bis 4. Januar), Kupferstich-Kabinett (bis 15. Februar) und in der Puppentheatersammlung (bis 28. Juni)

Quelle: ntv.de

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