Eine sehr amerikanische GeschichteDer Diren-Prozess steht vor dem Ende

War es Notwehr oder Schießwut? In wenigen Tagen geht der Prozess um den Tod des deutschen Austauschschülers Diren Dede zu Ende - doch er wird manche Fragen offen lassen.
Am 27. April, kurz nach Mitternacht, dringt der Hamburger Austauschschüler Diren Dede in eine offene, aber fremde Garage in der US-Stadt Missoula in Montana ein. Der 17-Jährige wird vom Besitzer überrascht. Vier Schüsse gibt der Schütze aus nächster Nähe mit seiner Schrotflinte ab. Zwei Schüsse treffen Diren, er stirbt wenig später im Krankenhaus.
Jetzt neigt sich der Prozess dem Ende zu - es ist ein Prozess, wie er wohl nur in den USA denkbar ist. Die Staatsanwaltschaft hat den 30 Jahre alten Markus Kaarma angeklagt, weil er nach zwei Einbrüchen zur Selbstjustiz übergegangen sein soll. Für Staatsanwältin Jennifer Clark gibt es keinen Zweifel: Er habe Diren regelrecht in die Falle gelockt, ihn in der Garage beobachtet, sogar Fotos gemacht. In der Sekunde, bevor die Schüsse fielen, soll Kaarmas Lebensgefährtin Janelle Pflager "Showtime" gerufen haben. "Notwehr ist absurd", lautet Clarks Schlussfolgerung.
Genau das macht die Verteidigung geltend: Der Mann behauptet, er wähnte sich, seine Lebensgefährtin und den nicht einmal ein Jahr alten Sohn in Gefahr. Als er in der dunklen Garage eine plötzliche Bewegung bemerkte und einen metallischen Klang hörte, habe er aus Angst geschossen. "Woher sollten sie wissen, dass der nächste Einbrecher nicht bewaffnet war?" Die Verteidigung will Freispruch.
Nur die Geschworenen entscheiden
Nach den Schlussplädoyers werden sich die zwölf Geschworenen zurückziehen. Die acht Frauen und vier Männer wurden aus einer großen Gruppe von Bürgern aus der Umgebung sorgfältig ausgewählt, um eine Jury zu bilden, die nicht voreingenommen ist. Die Geschworenen entscheiden ganz allein über Schuld und Unschuld. Der Richter legt später nur das Strafmaß fest. Ob die Beratung nur ein paar Stunden oder mehrere Tage dauern wird, ist unklar. "Es ist ein schwieriger Prozess", sagt die Gerichtssprecherin Katie Quam. Das Strafmaß soll ohnehin erst später verkündet werden.
Für die Eltern von Diren wird das Warten zur Folter. "Das ist die härteste Zeit unseres Lebens", sagte der Vater bereits zum Prozessauftakt. Es ist eine sehr amerikanische Geschichte, ein sehr amerikanischer Prozess. Montana - das ist der Westen der USA, den sich die weißen Siedler mit der Waffe in der Hand erobert haben. Montana ist noch heute ein stark ländlich geprägter Staat, 57 Prozent der Einwohner besitzen Schätzungen zufolge eine Waffe - für die Jagd oder eben auch zur Selbstverteidigung.
Kaarma zeigte keine Reue
Und dann gibt es in Montana noch die umstrittene "Castle Doktrin". Diese erlaubt es Hausbesitzern, tödliche Gewalt gegen Eindringlinge allein aufgrund eines Gefühls der Bedrohung anzuwenden. Doch die Frage ist: War der Angeklagte in dieser Nacht im April wirklich bedroht? Es gibt berechtigte Zweifel. Nur Tage vor den tödlichen Schüssen habe Kaarma gegenüber Zeugen ausgesagt, dass er "ein paar Jugendliche abknallen" wolle. "Er war total laut und wütend", berichtete eine Friseurin. "Er sagte, er habe drei Nächte nicht geschlafen, weil er mit einer Schrotflinte auf der Lauer liege, um ein paar Kids zu töten."
Auch danach gab sich der Ex-Feuerwehrmann alles andere als reuig. Im Prozess wurde den Geschworenen der Mitschnitt eines Telefonats vorgespielt, das Kaarma aus dem Gefängnis mit seiner Lebensgefährtin führte. Darauf brüstet er sich geradezu mit dem Tod des Jungen aus Hamburg: "Alle sollten froh sein, dass sich unsere Nachbarn jetzt sicherer fühlen können, verdammte Idioten."
Sollte Kaarma für schuldig befunden werden, kann er theoretisch zum Tode verurteilt werden. Diese Strafe wird in Montana aber nur sehr selten und bei besonders grausamen Verbrechen verhängt. Wahrscheinlicher wäre eine lange Haftstrafe - möglicherweise von bis zu 99 Jahren.