Experte zur Frachter-Havarie "Der Kurs im Kanal war natürlich eigenartig"
28.03.2021, 17:50 Uhr
In dem schmalen Kanal steckt die "Ever Given" mit Bug und Heck im Sand am Ufer fest.
(Foto: imago images/ITAR-TASS)
Eines der größten Frachtschiffe der Welt steckt seit Tagen quer im Suezkanal. Ein deutscher Experte für maritime Bergungseinsätze erklärt, vor was für einer Mammutaufgabe das nach Ägypten eingeflogene Bergungsteam steht. Fragen wirft auch der Unglückshergang selbst auf.
Nach der folgenschweren Havarie der "Ever Given" im Suezkanal gestaltet sich nicht nur die Bergung des riesigen Containerschiffs extrem schwierig, auch die Unglücksursache wirft möglicherweise Fragen auf. Die örtlichen Behörden hatten darüber informiert, am Unglückstag habe es in der Region einen Sandsturm gegeben. Die Betreiber des Schiffs sprachen von einem Stromausfall und daraus folgender Manövrierunfähigkeit des Schiffes.
Eyk-Uwe Pap, der in Rostock selbst ein global agierendes Unternehmen für maritime Bergungen leitet, weist gegenüber ntv.de auf Satellitendaten der "Ever Given" hin, die zeigten, wie das Schiff mehrfach von der Ideallinie abgewichen sei. "Der Kurs im Kanal war natürlich eigenartig", sagt der Unternehmer. Eine genaue Bewertung müsse aber durch Nautiker und Schifffahrtsexperten erfolgen. Ebenso werde es eine eingehende Prüfung der Manöver geben, die der Kapitän schon vor Einfahrt in den Kanal im Golf fuhr. Die Kurven und Kreise hatten bereits in den vergangenen Tagen Aufmerksamkeit erregt, Pap hält diese aber für nicht außergewöhnlich, da so die Position des Schiffes ungefähr beibehalten werden konnte.
Bei dem Unglück sollen auch die Wetterverhältnisse eine Rolle gespielt haben. So soll am Unglückstag ein Sandsturm in der Region gewütet haben. Wetterdaten zeigen, dass die Windgeschwindigkeit in der Region am fraglichen Tag fast dreimal so hoch war, wie in den Wochen zuvor. Die sogenannte "Windlast" entwickle bei einer Seitenfläche des Frachters von weit über 10.000 Quadratmetern "unglaubliche Kräfte", die auf das Schiff wirkten, erklärt Pap. "Da muss man als Kapitän viel Erfahrung haben, um in diesem sehr engen den Kurs Fahrwasser zu halten." Sichtverhältnisse - etwa durch einen Sandsturm - hingegen seien "keine Ausrede", die Schiffe hätten ohnehin alle Radar.
"Eine der besten Truppen der Welt"

Eyk-Uwe Pap gründete die Baltic Taucherei- und Bergungsbetrieb Rostock GmbH vor 28 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder Jens.
Dass das Schiff der taiwanischen Betreibergesellschaft Evergreen Marine Corporation auch nach fünf Tagen noch nicht geborgen ist, wundert den Rostocker hingegen nicht. Wie lange genau es noch dauern wird, ist Pap zufolge schwer einzuschätzen. Es könne nun in zwei Tagen erfolgreich sein, kann sich aber auch noch um einige Wochen handeln.
Sicher ist: Das Unterfangen ist auf mehreren Ebenen eine große Herausforderung. Allein die Aushandlung der Verträge mit einem Bergungsunternehmen könne Tage dauern, weil die Angelegenheit hochkomplex sei, erklärt Pap. Die beauftragten Experten von Smit Salvage aus den Niederlanden und Nippon Salvage aus Japan seien aber "eine der beste Truppen der Welt, darüber geht kaum noch etwas." Hinzu komme auch, dass sich die Bergungsleitung erst ein sehr genaues Bild der Umstände vor Ort machen mussten: Bodenbeschaffenheit, Böschungswinkel, mögliche Hindernisse wie Steine und die Frage, ob Wasser ins Schiff eingedrungen sei, müsse vor dem Einsatz geklärt werden. Insbesondere der aktuellen Eintauchtiefe über die gesamte Schiffslänge kommt zentrale Bedeutung zu, da sie Rückschlüsse über die Gefahr möglicher Spannungsrisse in der Schiffsmitte zulässt.
Nach Auffassung des Chefs der Baltic Taucherei- und Bergungsbetrieb Rostock GmbH wird das Bergungsteam im Suezkanal nun jedoch nicht drumherum kommen, die "Ever Given" jedenfalls teilweise zu entladen. Allerdings könne man nur nach vorheriger genauer Berechnung überhaupt Container vom Schiff nehmen. Einen entsprechend großen Kran an Land zu platzieren, sei jedoch "eine große Herausforderung". Andererseits müsse ein schwimmender Spezialkran einen enorm langen und drehbaren Arm haben, um die Container jenseits einer Hafenanlage vor Ort von dem 60 Meter breiten Schiff zu entladen - ein solcher Kran könne das Schiff vom Wasser aus auch nur von einer Seite erreichen.
"Der kleine Bagger reicht bei weitem nicht"
Das Schiff müsse dann an mindestens einer Seite frei gebaggert, beziehungsweise gesaugt und anschließend wieder in fahrbares Gewässer geschleppt werden, erklärt Pap. "Wir reden da von bis zu 20.000 Kubikmetern Boden", die weggeschafft werden müssten. "Der kleine Kettenbagger, der auf den Fotos zu sehen war, ist natürlich bei weitem nicht ausreichend", wenngleich die Größe der Maschinen nicht entscheidend sei. Viel wichtiger sei, dass man das genau richtige Gerät zur Verfügung habe. Einen hochgenau arbeitenden Saugbagger oder Schneidkopfbagger an diese Stelle "mitten im Nirgendwo" zu kriegen, sei jedoch ein Riesenproblem, allein logistisch.
Ein Großteil des Gewichts des Schiffes konzentriere sich nun außerdem auf die Bugspitze und in Teilen auch am Heck, die beide im Sand feststecken. Man braucht also eine ungeheure Kraft, um das Schiff zu bewegen. Wenn man aber "mit einem Haufen Schleppern einfach nur an dem Schiff zieht", könne man dadurch zusätzlichen Schaden anrichten, warnt Pap. Auch beim Baggern rund um das Schiff sei höchste Vorsicht geboten, Taucher müssten immer wieder überprüfen, ob Risse oder Beulen am Schiffsrumpf entstehen. Der Einsatz von Luftkissen oder Hebesäcken, um das Schiff anzuheben, ergibt Pap zufolge bei einem Frachter dieser Größe jedoch keinen wirklichen Sinn.
Entscheidend sei nun, das Schiff kontrolliert in Bewegung zu kriegen. Sobald es sich bewegt, erklärt Pap, ist die sogenannte "Mantelreibung" aufgehoben, danach ginge alles leichter. Jeder Tag, den das dauert, kostet jedoch Unsummen. Allein der wirtschaftliche Schaden durch die Verzögerung der inzwischen mehreren Hundert im Stau stehenden Schiffe beläuft sich Berechnungen zufolge auf mehrere Milliarden Euro pro Woche.
Quelle: ntv.de