Panorama

Vernarrt in einen Roller Die Deutsche, die als Miss Vespa die Welt eroberte

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Christa Solbach 1957 in Barcelona.

Christa Solbach 1957 in Barcelona.

(Foto: aus dem Buch "La Signora della Vespa")

Mit 16 beginnt Christa Solbach im Sattel ihrer Vespa Länder und Herzen zu erobern, am Ende landet sie in Rom. Die Erinnerungen einer betagten Saarländerin, mit Blick aufs Meer und in Gesellschaft ihrer acht Katzen.

15 Jahre ist Christa Solbach alt, als sie zum ersten Mal auf einer Lambretta sitzt. Damals noch als Beifahrerin ihrer Cousine Helga, die ein Jahr älter ist und deswegen schon den Führerschein hat. Christa lebt bei den Großeltern in der Nähe von Saarbrücken. Die zwei Mädchen haben einen enormen Spaß mit dem Roller.

Es ist Anfang der 1950er-Jahre und der Krieg gerade vorbei. Umso dringender ist das Verlangen der jungen Generation, nach vorne zu schauen, zu leben, die Menschen und die Welt zu entdecken. "Auch ich wollte das, und es ist mir gelungen", sagt Solbach rückblickend im Gespräch mit ntv.de. "Aber wissen Sie, was ich dabei gelernt habe? Dass wir uns eigentlich alle sehr ähnlich sind, gleich woher wir kommen."

Aber der Reihe nach, obwohl es nicht leicht ist, die sprudelnde Erzählung der mittlerweile 88-Jährigen zu unterbrechen. Sie erzählt von den acht Katzen, die sie in ihrem Haus in Terracina, einer Küstenstadt südlich von Rom, versorgt. Sie erzählt von ihrem schon seit Längerem verstorbenen Mann, den sie auf einem internationalen Vespa-Treffen in Wien kennenlernte. Er war damals Vorsitzender des Vespa-Clubs der norditalienischen Stadt Turin. Daher ihr Umzug 1958 nach Italien, zuerst nach Turin und später nach Rom.

Eine rote Hose in Barcelona

Solbach ist aufgeregt, gerade ist das Buch "La signora della Vespa", auf Deutsch: "Die Frau der Vespa", geschrieben von Alessandro Lanzarini (Vlg. Cld Libri di Fornacette), erschienen. Auf dem Umschlag das Foto einer schneidigen jungen Frau mit roter Hose und weißer Bluse, die auf einer Vespa mit rotem Sattel sitzt. Das ist Solbach, 21 Jahre alt. "Meine Tante hatte mir die rote Hose zu meinem Geburtstag geschneidert. Und ich hatte sie zum großen internationalen Vespa-Treffen in Barcelona angezogen. Das war 1957."

Als einzige oder eine der wenigen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts sorgte sie immer wieder für Aufsehen. Wie 1955, in Wien. Der dortige Vespa-Club hatte für seine Vespafreunde aus ganz Europa auch Karten für eine Ballettaufführung in der Staatsoper besorgt. "Natürlich musste man sich angemessen kleiden", erzählt Solbach. "Als ich dann in Abendrobe erschien, fragte mich jemand, wohin ich wolle. 'Mit den anderen in die Oper' antwortete ich. Der glaubte mir aber nicht, dass ich zu den Vespafahrern gehörte, ich war ihm zu zierlich. Ich musste einen Zeugen herbeiholen."

Sie selbst gibt zu, dass die Skepsis auch ein wenig berechtigt war. Wenn sie nämlich eingepackt in ihren geliebten Montgomery ankam, sah sie viel stattlicher aus. Es gab nur Männermodelle und die kleinste Größe war für sie noch immer zwei Nummern zu groß. Es kann also schon sein, dass man sie im Abendkleid nicht sofort erkannte.

Eine Kriegskindheit

Solbachs Vater stirbt in Russland, da ist sie sechs Jahre alt, Kindheit und Jugendjahre verbringt sie bei den Großeltern in der Nähe von Saarbrücken. Mit 16 ist es dann so weit, und auch sie kann den Führerschein machen. "Das war ein ziemliches Ereignis", erzählt sie. Die Prüfung erfolgte auf dem Hof des Polizeireviers, wo ihr Stiefonkel als Kriminalpolizist arbeitete. "Meine Mutter hatte nämlich wieder geheiratet."

Die Prüfung besteht sie mit Bravour, weswegen sie der Stiefonkel dem Vespaklub von Völklingen vorstellt. Den Mitgliedern sagt er mahnend: "Das ist meine Nichte, dass ihr mir schön auf sie aufpasst."

Christa Solbach hat ihre Erinnerungen in dem Buch "La Signora della Vespa" niedergeschrieben.

Christa Solbach hat ihre Erinnerungen in dem Buch "La Signora della Vespa" niedergeschrieben.

(Foto: "La Signora della Vespa" )

Solbach muss bei dieser Erinnerung ein wenig schmunzeln. "Meine Mutter hatte mir schon früh eingetrichtert, wie ich mich zu benehmen hatte. Wenn mich zum Beispiel beim Tanz einer etwas fester drückte, sollte ich sagen, 'Tut mir leid, aber ich leide an Klaustrophobie'."

Berlin und die versteinerten Russen

Von den vielen Erlebnissen, die ihr durch den Kopf gehen, gibt es eines, das ihr damals eine höllische Angst einjagt. Auch deshalb erzählt sie es immer wieder. "Das war 1956, die Tour nach Berlin, ganze 700 Kilometer." Die Mauer gibt es noch nicht, Berlin ist aber schon aufgeteilt, "und am Ende des sogenannten Niemandslands standen die Russen zur Kontrolle. Sie befahlen uns anzuhalten und alles auszupacken. Sogar meine harten Eier, die zusammen mit etwas Brot mein Proviant waren, wurden aufgeschlagen. Was ich beängstigend fand, war ihre versteinerte Miene, kein Anflug eines Lächelns." Normalerweise hätten sie Grenzposten freundlich behandelt. "Sie hielten uns für eine etwas verrückte junge Bande, die mit dem Roller die Welt erobern wollte. Als wir dann weiterfahren durften, packte mich eine irre Angst, die könnten mir in den Rücken schießen." Und dann endlich Berlin. Am Funkturm wartet auch eine Journalistin auf sie: "Ihre Fotos gehören zu denen, die ich am schönsten finde."

Als junge Frau auf der Lambretta sorgt sie für Aufmerksamkeit. Sie fährt damit sogar nach Paris zu einem internationalen Vespa-Treffen, muss den Roller aber kurz davor in einer Garage unterbringen, weil nur Vespas erlaubt waren. Eines Tages bestellt sie Ludwig Kunz, Direktor der Ford Auto Industrie in Saarbrücken, zu sich. Dass sie mit einer Lambretta unterwegs war, gefällt ihm nicht, denn er ist auch offizieller Piaggio Importeur fürs Saarland. Er schlägt ihr also vor: "Sie geben mir ihre Lambretta und bekommen dafür eine Vespa GL 125. Was halten Sie davon?" Natürlich schlägt Solbach ein. Und so kommt es, dass sie 1955, gerade einmal 19 Jahre alt, auch zu Miss Vespa Saar ernannt wird.

Von der attraktiven jungen Frau wird bei der Miss-Wahl auch technisches und allgemeines Wissen gefordert. "Und ich hatte großes Glück. Es kam die Frage zur Vespa 400. Ich war die Einzige, die wusste, dass es sich in diesem Fall um ein Automodell von Piaggio handelte. Ich hatte es zufällig kurz davor gelesen. Und so kam ich zu dem Miss-Titel."

Die rote Plastik-Vespa

Bis zu ihrer Hochzeit ist sie mit der Vespa kreuz und quer in Europa unterwegs, nach Italien kommt sie aber erst danach. Und das, obwohl das Land die Wiege der Vespa ist. Die Modelle, die im Saarland verkauft wurden, kamen jedoch aus einer französischen Fabrik. "Außerdem gab es bei uns nur die Vespa 150 GL, das letzte Modell, das ich mir zugelegt habe. In Italien gab es stattdessen die Vespa GS 150, deren Leistungen besser waren", erklärt sie fachkundig.

Die Vespa begleitete Solbach ihr ganzes Leben.

Die Vespa begleitete Solbach ihr ganzes Leben.

(Foto: aus dem Buch "La Signora della Vespa")

Heute fährt sie nur noch ab und zu und nur in Terracina mit dem Roller, Rom ist ihr zu gefährlich. Weder ihre zwei Kinder noch ihre Enkelkinder haben ihre Leidenschaft geerbt. Aber wer weiß, vielleicht der Großenkel. Dem hat sie zu seinem zweiten Geburtstag eine rote Vespa aus Plastik geschenkt, mit der düst er stolz durch die Wohnung.

In ihrer späteren Funktion als Vorsitzende des Bündnis Fédération Internationale des Vespa-Clubs trifft sie auch auf zwei Päpste, den deutschen Benedikt XVI. und den polnischen Johannes Paul II. "Ihm verdanke ich eine rührende Begegnung mit Mönchen auf dem Montserrat. Der Papst wusste von unserer Tour nach Barcelona und hatte mich gebeten, den dortigen Mönchen, bei denen er Jahre zuvor Gast gewesen war, seine Grüße auszurichten. Ich tat es und war über die Reaktion unglaublich bewegt. Einer der Mönche zeigte sich zutiefst gerührt, dass sich der Papst an sie erinnerte."

Sie hätte noch viel mehr zu erzählen, muss sich aber um Katzen und Garten kümmern. Zum Abschied wiederholt sie noch einmal: "Was für ein schönes, volles Leben ich doch gehabt habe!"

Quelle: ntv.de

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