Panorama

Nicht erst seit Corona Die lange Geschichte der Impfgegner

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Denk drüber nach, wer die wahren BeschützerInnen der Gesundheit sind! (Illustration aus einem Buch mit dem Titel "Impfung")

Denk drüber nach, wer die wahren BeschützerInnen der Gesundheit sind! (Illustration aus einem Buch mit dem Titel "Impfung")

(Foto: imago images/AAP)

Ende des 18. Jahrhunderts wurden zum ersten Mal Menschen gegen die Pocken geimpft. Und schnell meldeten sich andere Menschen, die Bedenken hatten. In Bamberg wirft eine Ausstellung einen Blick auf die Impfgegner zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Diesen Erfolg hätte Kevin Beesk nicht erwartet. Der 28-jährige Oberpfälzer will Diplom-Archivar werden. Im Rahmen seines dualen Studiums muss der Anwärter des Stadtarchivs Augsburg eine Ausstellung zu einem bestimmten Thema erarbeiten. Durch die Demonstrationen der Impfgegner während der Corona-Pandemie kommt er auf die Idee: Warum nicht etwas zu diesem Thema machen? Er recherchiert und findet heraus: Impfgegner gibt es, seit es Impfungen gibt. Einer der bekanntesten lebte in Bayern.

Die Idee für die Ausstellung "Impfgegner in Bayern zu Beginn des 20. Jahrhunderts" ist geboren - und noch bis zum 29. September im Staatsarchiv Bamberg zu sehen. Rund 30 Exponate enthält sie, und man braucht etwa eine Stunde, um sich ein umfassendes Bild zu machen. "Für mich war die historische Komponente wichtig", sagt Kevin Beesk im Gespräch mit ntv.de. "Ich wollte zeigen: Impfgegner gibt es nicht erst seit Corona, ganz im Gegenteil."

Mit der Lebendimpfung fing es an

Edward Jenner war ein englischer Landarzt, der die moderne Schutzimpfung gegen Pocken entwickelte.

Edward Jenner war ein englischer Landarzt, der die moderne Schutzimpfung gegen Pocken entwickelte.

(Foto: imago images/H. Tschanz-Hofmann)

Die ersten Impfungen soll es schon vor mehr als 1000 Jahren gegeben haben. Angeblich wurden schon zu Beginn des 11. Jahrhunderts in China Menschen gegen Pocken geimpft. Dazu nutzte man Lanzetten, das sind kleine Messer. Damit stach man in die Pustel eines Menschen, der sich von den Pocken erholt hatte, und injizierte den so gewonnenen Pustelinhalt einem gesunden Menschen.

1796 gab es dann die erste Impfung heutigen Stils. Da impfte der englische Chirurg und Landarzt Edward Jenner einen achtjährigen Jungen mit dem Kuhpockenvirus. Das Ergebnis war ein voller Erfolg: Der Junge bildete Abwehrkräfte gegen das Virus - und steckte sich auch nicht mehr mit den verwandten (Menschen-)Pocken an. Die waren damals weit verbreitet, fast jeder Dritte der Erkrankten starb.

1894: Die Angestellten des Pariser "Hotel de Ville" (Rathaus) werden gegen Pocken geimpft, direkt von der Kuh.

1894: Die Angestellten des Pariser "Hotel de Ville" (Rathaus) werden gegen Pocken geimpft, direkt von der Kuh.

(Foto: IMAGO/Gemini Collection)

Von dem Erfolg war man auch in Bayern und Hessen beeindruckt. Beide Monarchien führten bereits 1807 eine Impfpflicht für Säuglinge ein - und riefen damit die ersten Impfgegner auf den Plan. Kevin Beesk erklärt: "Sie hatten verschiedene Gründe. Die Menschen waren skeptisch, weil sie nicht wussten, was da mit ihnen passiert. Manch einer sah darin einen Eingriff in Gottes Schöpfung; vor allem aber fürchteten sich viele vor gesundheitlichen Folgen durch die Impfung." Tatsächlich gab es vor mehr als 200 Jahren das Gerücht: Wer sich mit den Kuhpocken impfen lässt, dem wachsen Hörner und er verwandelt sich in ein Rind.

Bekanntester Impfgegner war ein Lehrer

Beesk hat sich in seiner Ausstellung mit der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Damals führten die zuständigen Bezirksämter Listen über die Menschen, die geimpft worden waren, und über die, die der Impfung entzogen blieben. In den Akten fanden sich Flugblätter von organisierten Impfskeptikern und Impfgegnern, die oft einen regen Briefverkehr mit den zuständigen Stellen pflegten.

Plakat zu Beesks Ausstellung.

Plakat zu Beesks Ausstellung.

"Einer der bekanntesten Impfrebellen ist Heinrich Molenaar, der auch in meiner Ausstellung einigen Raum einnimmt", sagt Beesk. Der in Zweibrücken geborene Molenaar lebte von 1870 bis 1965. Er scheint eine recht zwielichtige Person gewesen zu sein. So lehnte er das Impfen und den Tabakkonsum ab, war Generalsekretär des Internationalen Impfgegnerbundes. 1919 gründete er einen "Bund der weißen Rasse", kurz nach dem Zweiten Weltkrieg rief er den "Weltbund der Mütter gegen den Krieg" ins Leben. "Von Molenaar gibt es sehr viel Material, denn er war Gymnasialprofessor, also Beamter, unter anderem in Bayreuth. Er hat eine ziemlich große Personalakte. Als Beamter war es natürlich sehr problematisch, sich gegen geltendes Recht aufzulehnen", erklärt Beesk.

Molenaar stand mehrmals vor Gericht: 1914 wurde er in einem Gutachten als eine "constitutionell erregte psychopathische Persönlichkeit" charakterisiert - ausgerechnet von einem gewissen Ernst Rüdin, der gut 20 Jahre später das Gesetz, mit dem die NS-Regierung die Sterilisation und später den Mord an vielen behinderten Menschen gestattete, als "die humanste Tat der Menschheit" bezeichnen sollte.

Die Impfgegner von damals

Impfung von Passagieren nach Frankreich in der Hauptverwaltung der Firma Cook, 1929.

Impfung von Passagieren nach Frankreich in der Hauptverwaltung der Firma Cook, 1929.

(Foto: imago/United Archives International)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stammten die Impfgegner aus allen Schichten der Bevölkerung. Ihre Ziele waren ebenfalls unterschiedlich. Die Forderungen reichten von der Abschaffung der Impfpflicht bis zu einem grundsätzlichen Impfverbot. "Und auch die Gründe waren sehr unterschiedlich", sagt Beesk. "Molenaar setzte zum Beispiel auf das Recht der Unversehrtheit des eigenen Körpers. Dann gab es die Lebensreformbewegung, die sämtliche Eingriffe von außen ablehnte. Ein großer Teil der Impfgegner war überzeugt, Impfen sei unnötig, weil die Zahl der Erkrankten allein wegen der verbesserten Hygiene zurückgehe. Schließlich gab es die, die gegen die Impfung waren, weil diese die Anstrengungen für mehr Hygiene ihrer Ansicht nach unterlaufen würde."

Mit der Verbreitung ihrer Agenda hatten es die Impfgegner zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich schwerer als heute. Radio, Fernsehen und Internet gab es nicht. "Man setzte damals vor allem auf drastische Bilder, die emotional aufrütteln sollten", erklärt Beesk. So ziert eines der bekanntesten Bücher über angebliche Impfschäden aus jener Zeit ein großer Totenkopf. "Das findet sich auch in der Ausstellung, ebenso eine Ausgabe der Zeitschrift 'Der Impfgegner', die monatlich erschienen ist. Ich zeige Flugblätter, Briefe, Postkarten, sogar ein Preisausschreiben."

Was Beesk vor allem herausgefunden hat: An den Grundüberzeugungen der Impfgegner hat sich in den vergangenen 120 Jahren kaum etwas verändert. Damals wie heute vertrat man die Position, dass die Impfung nutzlos und mögliche Impfschäden weit schwerwiegender seien als die Krankheit, die mit der Impfung verhütet werden sollte. Damals gab es jedoch mehr Impfgegnervereine: Um 1910 waren es deutschlandweit mehr als 40.

Wenn die aktuelle Ausstellung zu Ende ist, soll sie möglicherweise noch in weiteren Städten zu sehen sein. Doch schon jetzt ist sie ein Erfolg: Das Medienecho habe ihn sehr gefreut und beeindruckt, sagt Beesk.

Quelle: ntv.de

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