Muss der Youtuber in Haft?"Drachenlord" gesteht Angriffe "aus Wut"

Zwischen dem "Drachenlord" und zahlreichen Internetnutzern tobt ein jahrelanger Streit. Sogenannte Hater provozieren den Youtuber immer wieder vor seinem Haus, der 32-Jährige reagiert mitunter mit Gewalt. Ein Berufungsprozess rollt den Fall neu auf.
Auf den Handy-Videos sind Männer zu sehen, die sich aggressiv beschimpfen. Dann schlägt einer der Männer zu. Szenen wie diese gehören zum Polizei-Alltag. Doch ungewöhnlich an diesen Videos ist, dass sie deutlich zeigen: Auf einer Seite steht immer ein stark übergewichtiger, großer Mann, auf der anderen Seite mehrere junge Männer - und diese provozieren den anderen, bis er austickt. Der Mann ist der Youtuber "Drachenlord". Dieser muss sich deshalb unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzungen vor dem Landgericht in Nürnberg verantworten.
Die im Prozess gezeigten Videos zeigen jedoch nicht nur seine Angriffe. Auf ihnen ist auch zu hören, wie die Provokateure triumphierend rufen, dass sie den Youtuber nun anzeigen und in den Knast bringen könnten. Denn zu dem Zeitpunkt ist dieser schon zu einer Bewährungsstrafe wegen einer Pfefferspray-Attacke verurteilt - und wer in der Bewährungszeit weitere Straftaten begeht, muss in der Regel mit Gefängnis rechnen. Das scheinen die jungen Männer in den Videos auch zu wissen.
Im vergangenen Oktober hatte ihn das Amtsgericht in Neustadt an der Aisch wegen dieser Fälle und anderer Straftaten aus den Jahren 2019 bis 2021 zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Dagegen hatten Staatsanwaltschaft und Verteidigung Berufung eingelegt. In hellgrauem Kapuzenpulli, Jogginghose und Schlappen kommt der "Drachenlord" zur Berufungsverhandlung in den Gerichtssaal. Sein Gesicht verbirgt er nicht wie sonst oft im Gericht üblich hinter einer Aktenmappe. Dieses kennen schließlich Tausende aus dem Internet - nicht nur wegen seines Youtube-Kanals, sondern auch wegen der vielen Filme, die sich über ihn, sein Aussehen und seinen Dialekt lustig machen.
Eine Welt der "Mobbing-Wallfahrten"
Diese Menschen folgen ihm, weil sie ihn verachten. Sie sind quasi Anti-Fans, sogenannte Hater. Und sie begnügen sich nicht damit, ihn nur im Internet zu beschimpfen. Vor einigen Jahren nannte der Youtuber in einem Video seine Adresse. Seitdem tauchten die Hater regelmäßig vor seinem Haus auf, um Selfies zu machen, ihn zu beschimpfen oder am Zaun zu randalieren. "Mobbing-Wallfahrten" nennt der Kölner Internetanwalt Christian Solmecke dieses Phänomen. Aber auch der Youtuber befeuert den Streit, in dem er in seinen Videos immer wieder auf die Hater eingeht.
Im Prozess gibt der 32-Jährige zu, dass er unter anderem einen der Schaulustigen mit einem Stein beworfen, einen anderen mit einer Taschenlampe geschlagen und einen weiteren in den Schwitzkasten genommen habe - aus lauter Wut, sagt er. An alle Details könne er sich nicht mehr erinnern. "Es sind so viele Fälle über die Zeit, dass sie verschwimmen. Manche Personen kommen auch öfter." Immer wieder musste die Polizei wegen Ruhestörung, Hausfriedensbruchs und anderer Anzeigen in den vergangenen Jahren in das normalerweise beschauliche Dorf Altschauerberg ausrücken, wie ein Beamter der zuständigen Polizeiinspektion vor Gericht erzählt.
Auch einige der Hater wurden bereits wegen Vergehen verurteilt. Auch der junge Mann, den der Youtuber mit der Taschenlampe angegriffen hatte, gab vor Gericht zu, betrunken zum Haus des Youtubers gegangen zu sein und ihn provoziert zu haben. "Ich bin ehrlich, ich habe es ein bisschen herausgefordert. Man ist selber schuld, wenn man da hingeht", sagt er. Der damals 18-Jährige erlitt eine Platzwunde am Kopf. In einem Video ist zu sehen, wie er ganz nah an den Zaun tritt und den "Drachenlord" auffordert, ihn zu schlagen. Danach ruft ein Freund des Opfers: "Ich habe alles auf Video." Später stellt er dieses ins Internet.
Primitiv, aber lustig
Doch was bringt Menschen dazu, zum Teil viele Kilometer weit in ein mittelfränkisches Dorf zu reisen? Neugier und den Schauplatz des Internet-Phänomens mal in echt zu sehen, sagen einige der Zeugen. "Man fährt rum, man hat einen schönen Tag mit Freunden", sagt ein junger Mann. Eventuell bekomme man den "Drachenlord" dabei zu Gesicht. "Das ist primitiv", gibt er zu. Es sei aber auch lustig. Heute bereue er es, über den Zaun des Anwesens geklettert zu sein. "Ich war sehr betrunken und diese Aktion war sehr dumm."
Ein Schauplatz für die Hater ist an diesem Tag auch das Gerichtsgebäude. Zum Teil sind diese schon in der Nacht angereist, um einen der wenigen Plätze im Saal zu ergattern. "Ich liebe und hasse den 'Drachenlord'", sagt ein Zuschauer, der extra aus Nordrhein-Westfalen gekommen ist. "Ich liebe es zu beobachten, wie er immer wieder neue Dummheiten macht." Aber man bekomme auch irgendwann diese Wut auf ihn.
Aus Altschauerberg ist der Youtuber inzwischen weggezogen, sein Haus ist abgerissen. Seitdem reist er mit seinem Auto umher und postet Videos von unterwegs - und auch jetzt kommentieren die Hater jeden seiner Schritte und teilen Fotos von seinem möglichen Aufenthaltsort im Internet. Als der psychiatrische Gutachter später die Schuldfähigkeit des Angeklagten beurteilt, schließt das Gericht deshalb die Öffentlichkeit aus. Es bestehe die Gefahr, dass private Details aus dem Leben des Angeklagten für Cybermobbing genutzt werden, betont der Richter. Insgesamt sollten an dem Tag sieben Zeugen aussagen. Anschließend wollte der Richter ein Urteil verkünden.