Schuss auf bewaffnetes MädchenErmittlungsverfahren gegen Bochumer Polizisten wegen versuchten Totschlags

Polizisten in Bochum suchen eine vermisste Zwölfjährige und finden sie in der Wohnung ihrer Mutter. Das gehörlose Mädchen tritt den Beamten mit zwei Messern entgegen. Ein Beamter schießt und verletzt es. Die Vorwürfe gegen die Beamten wiegen schwer.
Gegen den Polizisten, der mit seiner Dienstwaffe vor rund zwei Wochen in Bochum auf eine Zwölfjährige geschossen hat, wird wegen versuchten Totschlags ermittelt. Gegen einen Kollegen, der mit einem Taser schoss, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Körperverletzung im Amt. Beide hätten sich laut "Kölner Stadt-Anzeiger" zu dem Einsatz bislang nicht geäußert und machten von ihrem Schweigerecht Gebrauch.
Die vier eingesetzten Polizisten hätten einen möglichen Messerangriff befürchtet und seien deshalb im Treppenhaus vor der Wohnungstür in Stellung gegangen, so die Darstellung der Polizei. Als das Mädchen mit zwei Messern in der Hand erschienen sei, sei der Schuss gefallen, sagte Oberstaatsanwalt Benjamin Kluck in einer gemeinsamen Sondersitzung des NRW-Innenausschusses und des Familienausschusses.
Das Mädchen hatte bei dem Einsatz in der Nacht zum 17. November einen Durchschuss in der Brust erlitten und schwebte in Lebensgefahr. Nach zwei Operationen sei die Zwölfjährige "aktuell wach und ansprechbar", sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul. Es sei aber noch eine dritte Operation in den kommenden Tagen nötig.
Anwalt beklagt "aggressive Pressearbeit" der Polizei
Die Beamten waren ausgerückt, weil die Zwölfjährige in ihrer Wohngruppe für gehörlose Kinder und Jugendliche in Münster vermisst wurde. Sie war zu ihrer Mutter nach Bochum gefahren, der aber das Sorgerecht für das Mädchen entzogen worden war. Gleichzeitig hätten die Beamten unter Zeitdruck gestanden. Es sei klar gewesen, dass die Zwölfjährige noch in der Nacht ein wichtiges Medikament nehmen musste, "weil sonst eine Lebensgefahr entstehen kann", betonte der Minister. In der Wohnung waren auch die Mutter und der Bruder des Mädchens - alle drei sind gehörlos.
Der Anwalt des Mädchens, Simón Barrera González, hatte die Darstellung der Ermittler zuvor als voreilig und manipulativ kritisiert. Polizei und Staatsanwaltschaft versuchten mit ihrer "aggressiven Pressearbeit", die aus seiner Sicht fragwürdige Darstellung zu prägen, der Beamte hätten aus Notwehr geschossen.
Reul rechtfertigt Schusswaffeneinsatz
Inwieweit eine Kommunikation zwischen den Einsatzkräften und den Gehörlosen möglich war, wird ermittelt. Ein Gebärdendolmetscher war bei dem Einsatz nicht dabei. NRW-Innenminister Reul will prüfen, wie die Polizei für solche Situationen besser geschult werden kann. In der kommenden Woche sei ein Austausch mit mehreren Gehörlosen-Verbänden geplant. Es gelte zu prüfen: "Gibt es vielleicht auch in der Aus- und Fortbildung der Polizei noch Möglichkeiten, auf Fälle wie diese besser vorzubereiten?", fragte Reul.
Dass die Polizei auf ein Kind geschossen habe, sei laut Reul nicht grundsätzlich falsch: "Der Einsatz der Schusswaffe kann gerechtfertigt sein - auch gegen eine Zwölfjährige. Wir alle wissen, wie gefährlich das Tatmittel Messer sein kann", betonte der Minister. Es seien aber noch viele offene Fragen ungeklärt, räumte der NRW-Innenminister ein.