Panorama

"Who's Who" in Newton-Stiftung "Es lohnt sich, genau hinzuschauen"

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Schauspieler Joe Dallesandro in der "Vogue",  1970

Schauspieler Joe Dallesandro in der "Vogue", 1970

(Foto: Jack Robinson, copyright Condé Nast)

Wer seinen Augen und seinem Geist etwas Gutes gönnen möchte, der geht in die Newton-Stiftung in Berlin. Dort hängen Fotos, die die Betrachter in andere Zeiten beamen. "Chronorama" ist eine elegante Reise durch das letzte Jahrhundert Fotografie.

Rundgang durch die neue Ausstellung in der Berliner Helmut-Newton-Stiftung: Auf manchen Fotografien sieht der Betrachter Signaturen. Ein unüblicher Anblick bei einem Foto. "Das liegt daran, dass Fotografie damals als Kunst angesehen wurde, man war einfach stolz auf das Ergebnis, dass man es so hinbekommen hat, wie man es sich vorgestellt hatte", erzählt Matthias Harder, Direktor der Stiftung. Oder sogar besser hinbekommen hat als gedacht!

Bert Stern fotografierte Jean Shrimpton und Sammy Davis Jr. 1965 - ein Bild, das nicht selbstverständlich ist.

Bert Stern fotografierte Jean Shrimpton und Sammy Davis Jr. 1965 - ein Bild, das nicht selbstverständlich ist.

(Foto: Bert Stern © Helmut Newton Foundation, courtesy Condé Nast/ S.Oelmann)

Harder ist in seinem Element, bleibt bei vielen Fotos stehen, erzählt seinen Zuhörern Geschichten, schwelgt in Anekdoten. Der Rundgang dauert länger als geplant, so begeistert ist er von dem, was an den Wänden in der Jebensstraße 4, gegenüber vom Bahnhof Zoo, hängt. Zu Recht!

"Chronorama" ist ein atemberaubendes Kompendium aus wertvollen Vintage Prints, von denen viele seinerzeit als Druckvorlagen für die Magazine verwendet wurden. Wie auf einer fotografischen Zeitreise durch das 20. Jahrhundert erhält der Betrachter einen Einblick in die Anfänge der fotografischen Inszenierung - und in die Interpretation der jeweils zeitgenössischen Mode. Aber nicht nur das: Die Bereiche Kultur, Lifestyle und das historische Weltgeschehen werden ausgiebig gewürdigt.

Mutige Frauen

Paul Thompson fotografierte die Frau in der Hose. Dr. Mary Walker ist die erste Frau, die sich traute, Hosen in der Öffentlichkeit zu tragen. Sie war Ärztin und Frauenrechtlerin.

Paul Thompson fotografierte die Frau in der Hose. Dr. Mary Walker ist die erste Frau, die sich traute, Hosen in der Öffentlichkeit zu tragen. Sie war Ärztin und Frauenrechtlerin.

(Foto: Paul Thompson/ Condé Nast/ S. Oelmann)

Wir sehen auch eine Frau, die eine Hose trägt und nicht einem Modemagazin entsprungen zu sein scheint. Vermeintlich lässig lehnt sie an einer Wand. Nicht unüblich für das heutige Auge, vor über 100 Jahren allerdings ein gewagter Akt. Nein, das ist kein Foto aus einem Fashion-Magazin, es ist ein Zeitzeugnis. Dieses Foto zeigt eine praktische Frau, eine moderne, eine mutige Frau.

Es handelt sich um Dr. Mary Edwards Walker, eine Ärztin, 1832 geboren, 1919 gestorben, aufgewachsen auf dem Land. Als Ärztin in New York hatte sie damit zu kämpfen, praktizieren zu dürfen, im amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 (und in den folgenden) dann war sie gut genug, um verwundete Soldaten zusammenzuflicken. Walkers Geschichte ist eine Geschichte für einen ganzen Roman: Sie war Teil der Suffragettenbewegung und setzte sich insbesondere für das Recht auf das Tragen männlicher Kleidung für Frauen ein. Das war damals verboten, sie wurde – nicht nur deshalb – mehrfach verhaftet. Wenn man sich nur für die Geschichte von drei Bildern dieser Ausstellung interessiert, hätte man viel zu tun. Das ist spannend. Sie können aber auch einfach nur gucken!

Hypnose

Charly Stember with a Friend, standing in front of Louise Nevelson Sculpture; Vogue, 1974

Charly Stember with a Friend, standing in front of Louise Nevelson Sculpture; Vogue, 1974

(Foto: Francesco Scavullo, copyright Condé Nast)

Im Vorbeigehen bleibt der Blick hauptsächlich immer dann hängen, wenn ein Bild den Betrachter besonders tief hineinzieht, der Blick intensiv und suggestiv ist, oder der Print "gehighlightet". "Das war das Photoshop der damaligen Zeit", ergänzt Matthieu Humery, Berater der Pinault Collection für Fotografie, lachend.

Nach dem großen Publikumserfolg der ersten Station im Palazzo Grassi in Venedig läuft diese hochkarätig besetzte Gruppenschau nun in Berlin. Die Helmut-Newton-Stiftung und die Pinault Collection freuen sich, ihre Besucher noch bis zum 20. Mai begrüßen zu dürfen.

"'Chronorama' Photographic Treasures of the 20th Century" bewegt sich "Between Art & Fashion", also zwischen Kunst und Mode, so wie eine frühere Ausstellung in den Räumen bereits hieß. Aber es gibt mehr als Kunst und Mode: Die Präsentation der Sammlung von Milliardär und Kunstsammler François Pinault zeigt knapp 250 Werke, entstanden zwischen 1910 und den späten 1970er-Jahren für die damals stilprägenden Condé-Nast-Magazine.

Sexy Männer

Charlie Chaplin, "Vanity Fair", 1921

Charlie Chaplin, "Vanity Fair", 1921

(Foto: Strauss-Peyton Studio, copyright Condé Nast)

Chronologisch geordnet zeigen sie exemplarisch die Entwicklung der Modegeschichte sowie die radikalen gesellschaftlichen Veränderungen in der westlichen Welt jener Zeit. Das Condé Nast nur die Besten engagierte, merkt man der Ausstellung in den Newton-Räumlichkeiten an.

Jeder Besucher sollte den Rat von Matthias Harder "Schauen Sie genau hin!" unbedingt befolgen, denn dann sieht man nicht nur erstklassige Fotografien, sondern ganze Geschichten hinter dem Bild. Models sind nicht nur Models, sie transportieren einfach mehr, wenn sie von Helmut Newtons innovativsten Zeitgenossen wie Diane Arbus, Cecil Beaton, David Bailey, Robert Frank, Horst P. Horst, George Hoyningen-Huene, Irving Penn oder Bert Stern abgelichtet wurden.

Verletzlich und pur

Three models, from the series Bathhouse, at the East 23rd Street Swimming Pool, NYCity, Vogue, 1975

Three models, from the series Bathhouse, at the East 23rd Street Swimming Pool, NYCity, Vogue, 1975

(Foto: Deborah Turbeville, "Vogue", 1975, Condé Nast)

Junge Menschen mit Sehnsüchten und Träumen, Plänen. Einige wurden wahr, andere wurden - allein durch den Lauf der Geschichte - oft bereits im Keim erstickt. Die Fotos, die Menschen - sie wirken so modern. Auch sie wollten ihrem Image etwas hinzufügen: etwas Geheimnisvolles, oder etwas - im kompletten Gegenteil - total Offenes. Sie zeigten sich ihren Betrachtern schon damals, vor über 100 oder auch nur 50 Jahren, oft so verletzlich und pur, und manchmal eben so, wie sie gern gesehen werden wollten, aber gar nicht waren - fast "Instagram-like".

Neben der Mode steht ganz einfach der Mensch im Mittelpunkt, kreative Geister aus den Bereichen Musik und Kunst, Sport und Politik, ein Who's Who der Schönen und Reichen, der Berühmten und Bewunderten des 20. Jahrhunderts. Wer, wie zuvor erwähnt, genauer hinschaut, kann sich - oder seine Träume - in dem einen oder anderen Porträt vielleicht sogar wiederentdecken.

Sie werden das Who is Who der Schönen und Reichen sehen.

Sie werden das Who is Who der Schönen und Reichen sehen.

(Foto: Helmut Newton, copyright Helmut Newton Foundation, courtesy Condé Nast)

Auch Teile Helmut Newtons Werk sind Bestandteil der aktuellen Ausstellung, hat er doch seit den 1950er-Jahren für die unterschiedlichen Condé-Nast-Zeitschriften gearbeitet, vorwiegend für "Vogue" und "Vanity Fair". Die Mehrzahl dieser Newton-Aufnahmen ist tatsächlich erstmals in der Berliner Stiftung zu sehen.

Nach Dekaden geordnet, beginnt der Parcours im Jahr 1910, nachdem Condé Nast die Zeitschrift "Vogue" ein Jahr zuvor erworben und in der Folge zum führenden Medium für die Themen Mode, Stil und Schönheit transformiert hatte. In dieser Frühzeit waren Fotografien in den Zeitschriften natürlich noch in der Unterzahl, insofern hängen hier auch viele gezeichnete Illustrationen aus den 1910er- und 1920er-Jahren an den Ausstellungswänden, die für die Beiträge und die Magazincover von den damals berühmtesten Modezeichnern angefertigt wurden.

In der nächsten Dekade wurde die Fotografie schließlich zum Leitmedium, nicht nur in den Magazinen, aber für die nächsten Jahrzehnte fast ausschließlich in Schwarz-Weiß. Entsprechend stammt auch das früheste Farbbild in der Ausstellung erst von 1952, aufgenommen von Irving Penn, der darüber hinaus für weit über 100 "Vogue"-Cover verantwortlich war.

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Aber nicht nur Menschen sind zu sehen: Es werden luxuriöse Interieurs und Schönheitssalons, Stillleben und Foto-Experimente, das kriegszerstörte London oder das gerade errichtete Empire State Building in New York gezeigt. Auch die Architektur war nicht nur ein Gegenstand der Dokumentation, sondern auch der Interpretation. Und so begegnen uns Fotos, zum Teil in der Fish-Eye-Perspektive, die aus unserem eigenen, letzten New York Aufenthalt zu stammen scheinen.

Wer seinen Augen und seinem Geist etwas gönnen möchte, der geht in die Newton-Stiftung in Berlin. Für alle, die es bis Mitte Mai nicht schaffen, gibt es einen Katalog.

Quelle: ntv.de

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