Panorama

Familie in Starnberg getötet "Es wäre der perfekte Mord gewesen"

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Der Angeklagte soll ein Waffennarr gewesen sein.

(Foto: picture alliance/dpa)

Maximilian B. soll seinen Kumpel und dessen Eltern erschossen haben. Im Prozess schweigt der 21-Jährige zur Tatnacht. Könnte diese auch ganz anders verlaufen sein? Und was hat B.s Fahrer mit dem Dreifachmord zu tun? Das Gericht muss es herausfinden.

Als die Tochter der Familie P. am 12. Januar 2020 bei der Polizei anruft, sind ihre Eltern und ihr Bruder bereits tot. Sie hat seit ein paar Tagen nichts mehr von ihrem 64-jährigen Vater und der 60-jährigen Mutter gehört und bittet die Beamten daher, bei der Familie im bayerischen Starnberg vorbeizuschauen. Bei dem hellen Einfamilienhaus mit dem silberfarbenen Gartenzaun und den holzvertäfelten Fenstern angekommen, zeigt sich den Polizisten ein erschreckendes Bild: Das Ehepaar liegt in seinem Schlafzimmer im ersten Stock - erschossen aus nächster Nähe. Die Leiche des 21-jährigen Vincent P., dem Sohn der Familie, finden sie in dessen Zimmer. Auch er wurde in den Kopf geschossen. In seiner rechten Hand hält der junge Mann eine Pistole, an seinen Händen finden sich Schmauchspuren. Wie sind Vincent P. und seine Eltern ums Leben gekommen? Das müssen Richterin Regina Holstein und die Schöffen am Landgericht München nun in rund 50 Verhandlungstagen herausfinden.

"Klar ist: In der Nacht vom 10. auf den 11. Januar 2020 ist in Starnberg eine ganze Familie bestialisch ausgelöscht worden. Im Nebel liegt nach wie vor, was genau im Haus P. geschehen ist", sagt Strafverteidiger Alexander Betz in seiner Eröffnungserklärung. Er ist einer der drei Verteidiger von Samuel V. Der 20-Jährige soll den Dreifachmord gemeinsam mit Maximilian B. begangen haben. Zudem werden ihnen zwei bewaffnete Raubüberfälle vorgeworfen. In den nächsten Monaten müssen sich die beiden Freunde im Hochsicherheitsgerichtssaal des Landgerichts München dafür verantworten.

Maximilian B. war ein Freund des getöteten Vincent P. Die beiden jungen Männer teilten laut den Ermittlungen ein Hobby: Sie waren fasziniert von Kriegs- und verbotenen Schusswaffen. P. wollte Büchsenmacher werden und beruflich Waffen herstellen. Als Auszubildender in diesem Beruf konnte der 21-Jährige nicht schussfähige Waffen wieder funktionsfähig machen. Zu Hause, in dem Starnberger Einfamilienhaus bei seinen Eltern, besaß er ein ganzes Waffenarsenal. Viele der Waffen wurden später bei B. gefunden.

Die Freunde fotografierten sich mit halb- und vollautomatischen Schusswaffen und nannten ihre Schießübungen "Rappen", wie der Strafverteidiger Alexander Stevens im Gespräch mit ntv.de erzählt. Der Jurist vertritt den Angeklagten Samuel V. gemeinsam mit Betz und der Verteidigerin Sarah Stolle. Das Hobby der beiden jungen Männer soll schließlich zum Tatmotiv von B. geworden sein. Der 21-Jährige habe seinen Freund und dessen Eltern getötet, um die Waffen zu stehlen und sie verkaufen zu können, heißt es in der Anklage. B., der seine Ausbildung zum IT-Techniker nicht abgeschlossen hatte, sei nämlich chronisch pleite gewesen.

Die Fahrt zum Tatort?

Am Tatabend sei er zum Haus der Familie P. gefahren und über die Eingabe des Türcodes ins Haus gelangt, trägt Staatsanwalt Stefan Kreutzer bei der Eröffnung des Prozesses vor. Die Kombination kannte er - Vincent hatte sie ihm anvertraut. Im Haus habe er dann die Mutter, den Vater sowie seinen Kumpel, Vincent P. umgebracht. Anschließend soll Maximilian B. die Waffe so in der Hand von Vincent drapiert haben, dass es nach Selbstmord aussieht. Da er selbst keinen Führerschein besaß, habe er seinem Freund und Mitangeklagten Samuel V. geschrieben, der ihn mit seinem Auto erst zum Tatort fuhr und dort auch wieder abholte.

"V. wohnte unentgeltlich bei B. - dafür fuhr er ihn ständig rum, so muss man sich die Gemeinschaft der beiden vorstellen", sagt Strafverteidiger Stevens. Diese beiden nächtlichen Fahrten sollen laut Anklage allerdings besonders gewesen sein: V. sei in den Mordplan eingeweiht gewesen. Er habe sich einen Anteil aus dem Erlös der Waffen erhofft und sei einverstanden gewesen. Die Ermittlungen ergaben weder, dass Samuel V. auf jemanden der Familie schoss, noch dass er sich in dessen Haus befand - trotzdem klagt ihn die Staatsanwaltschaft wegen Mordes an. Sie hält die Fahrt des Fluchtwagens damit für einen Tatbeitrag, der "wertungsgemäß mit der Tötungshandlung des Haupttäters vergleichbar ist".

Was aber, wenn die Tatnacht ganz anders verlief, als es die Anklage annimmt? Immerhin hatten die Ermittler zunächst wochenlang gedacht, dass der Sohn der Familie, Vincent P., erst seine Eltern und dann sich selbst erschoss. Verteidiger Stevens hält das weiterhin für gut möglich - vor allem, weil ein Gutachten belege, dass sich an Vincents Hand viele Schmauchspuren befinden. "Das zeigt für mich, dass er auf jeden Fall eine Waffe in der Hand gehabt haben muss."

Der Vierte muss der Mörder sein

"Die Staatsanwaltschaft folgt im Kern einer simplen Logik", sagt Verteidiger Betz zu Beginn der Verhandlung. "Vier Personen sind in einem Haus, einer kommt lebendig raus, der Rest ist tot, also ist der Vierte der Mörder." Dabei gebe es ein Dutzend weiterer Tatszenarien, die aus Sicht der Verteidigung "genauso zur Spurenlage passen". Einige davon spielt er in seinem Eröffnungsplädoyer durch: So könnten Vincent P. und Maximilian B. die Eltern gemeinsam umgebracht haben - B. habe seinen Kumpel dann in Notwehr getötet. Immerhin hatte Vincent dem B. "am Vortag bereits seine Waffe an den Kopf gehalten".

In Betracht komme auch, dass alles mit einem Unfall begann. Die Theorie des Familiendramas habe eine enge Freundin der getöteten Mutter ins Spiel gebracht. Vincent und sein Vater hatten "extrem gestritten" - wenn der junge Mann dabei mit einer Waffe hantiert hätte, könnte sich ein Schuss gelöst haben. Daraufhin sei er durchgedreht und habe seine Mutter und sich erschossen. Es könne sich auch um einen Auftragsmord gehandelt haben - dies habe Maximilian B. in einer seiner Aussagen selbst behauptet. "Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass die Staatsanwaltschaft ihre Wissenslücken mit viel Fantasie statt mit Ermittlungsarbeit gefüllt hat", schließt Betz seine Eröffnungserklärung.

Staatsanwalt Kreutzer hält dagegen. Bei den Ermittlungen sei "nichts ignoriert oder unter den Tisch gekehrt" worden, zitiert ihn die "Süddeutsche Zeitung". Es gebe eine "Vielzahl an Beweisen und Indizien, die die Angeklagten überführen werden." Das wahrscheinlich wichtigste Indiz der Anklage ist eine Aussage von B., die dieser machte, als die Ermittler noch Vincent für den Täter hielten.

"Es wäre der perfekte Mord gewesen", sagt Verteidiger Stevens. Weil der 21-Jährige mit dem Opfer P. befreundet war und beide mit Waffen hantierten, statteten die Ermittler ihm im Zuge der Ermittlungen einen Besuch ab. "B. aber dachte wohl, scheiße, ich bin erwischt worden, und gesteht einfach mal einen Mord", so Stevens. Zu diesem Zeitpunkt sei er weder zum Mordverdacht belehrt noch sei das Geständnis aufgezeichnet worden. Später dann, als ihn eine Polizistin "mit einer Butterbrezel in der Arrestzelle" besuchte, erzählte der Verdächtige B., Samuel V. sei in seinen Mordplan eingeweiht gewesen. Im Laufe des Ermittlungsverfahrens änderte B. seine Aussage immer wieder - im Prozess schweigt er bisher zur Tatnacht.

"Eine große Wendung im Prozess"

Zu seinen persönlichen Umständen allerdings machte B. eine Aussage vor Gericht. Er habe zur Tatzeit täglich bis zu drei Gramm Marihuana geraucht und ein bis dreimal in der Woche Ecstasy konsumiert, "um eine Auszeit von dieser Welt zu nehmen". Außerdem habe er eine schwere Neurodermitis gehabt. "Damit kam für mich eine der großen Wendungen in diesem Prozess", sagt Stevens. Man habe B. so nicht vernehmen dürfen. "Man kann jemanden, der aufgrund einer schweren Neurodermitis aus allen Körperöffnungen blutet, übermüdet ist und Drogen konsumiert hat, nicht in einem Mordprozess vernehmen und noch dazu auf die audiovisuelle Aufzeichnung verzichten." Die Verteidiger werden als nächsten Schritt daher ein Erhebungs- und Verwertungsverbot beantragen. "Dann wäre alles, was die Staatsanwaltschaft gegen unseren Mandanten hat, weg", sagt Stevens.

Schließlich gebe es noch einen weiteren wichtigen Punkt im Prozess gegen Samuel V.: Dieser bestreitet nämlich, dass er etwas von den Mordplänen wusste. "Es steht also Aussage gegen Aussage", sagt Stevens. "Und damit zerlegen wir die Staatsanwaltschaft nach allen Regeln der Kunst." Die Aussage von Maximilian B. sei weder widerspruchsfrei noch konstant oder glaubwürdig. "Auf eine solche Aussage können Sie kein lebenslanges Urteil stützen", mahnt Stevens. "Das wäre fatal."

Die Strategie der Verteidiger ist es, Zweifel an der Theorie der Staatsanwaltschaft zu säen, denn das ist ihr Job. Maximilian B. und Samuel V. könnten in Wahrheit beide die Mörder von Vincent P. und seinen Eltern sein. Es könnte sein, dass all die alternativen Tatszenarien, die Strafverteidiger Betz schilderte, so nicht passiert sind. Allerdings stärkt er mit ihnen die Mauer der Unschuldsvermutung um seinen Mandanten. "In dubio pro reo" ist das wichtigste Recht der Verdächtigen im Strafverfahren - der Grundsatz sitzt wie eine eiserne Mauer vor den Angeklagten. Mitte Januar 2022 wird das Urteil gegen B. und V. erwartet. Bis dahin muss das Gericht entschieden haben, wie fest die Mauern sind.

Quelle: ntv.de

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