Erfreulich viele Frauen Eskapismus mit Fotografie unterm Eiffelturm


Historische Gebäude spiegeln sich in den Scheiben des temporären Standortes der weltweit wichtigsten Messe für Fotografie.
(Foto: Damien Guillaume)
Lust auf Fotografie? Zwischen KI und Vintage-Print bewegt sich die aktuell stattfindende "Paris Photo". Die 26. Ausgabe der international wichtigsten Messe für zeitgenössische Fotografie füllt einen besonderen Bau gegenüber vom Eiffelturm und legt zudem den Fokus auf Frauen.

Millionenfach fotografiert: der Eiffelturm. Auch Besucher der "Paris Photo" können immer wieder einen Blick erhaschen und ein Foto machen.
(Foto: Foto: BMW / Paris Photo)
Direkt gegenüber dem Eiffelturm scheint die derzeit so fragile Welt im Gleichgewicht zu sein. Die Metropole zeigt sich im Grand Palais Éphémère von ihrer glamourösen und eleganten Seite. Spektakuläre Modeschauen von Chanel, hochkarätige Kunstausstellungen und Kunstmessen beleben den Bau. Aktuell magnetisiert hier die weltweit führende Messe für Fotografie Entdecker und Insider. Die "Paris Photo" zeigt mit ihrer 26. Ausgabe, dass sie ein elementarer Eckpfeiler dieses Mediums ist. 180 Galerien und Verlage, 800 Künstlerinnen und Künstler aus 26 Ländern zeigen Vintage, moderne und zeitgenössische Fotoarbeiten.
Das Panorama geht quer durch die Epochen und Stile von Anfängen der Fotografiegeschichte bis zu den neuesten Entwicklungen im digitalen Zeitalter. Aufregend Vertrautes von Stars der Szene wie Helmut Newton oder Irving Penn begegnen einem in dezent abgedunkelten Kojen. Bonbonbunte Wände lotsen zu Neuem, vielfältige fotografische Diskurse wollen entdeckt werden. In diesem Jahr sind überraschenderweise weniger politische Arbeiten zu finden. Vielleicht ein gewollter Eskapismus in dieser krisengeschüttelten Zeit. Dennoch geht es immer wieder um Ausbeutung, Krieg und andere unschöne Themen. Fotografien sind schließlich Dokumente ihrer Zeit. Der Blick hinüber zum ikonischen Wahrzeichen täuscht, ebenso wie die im ersten Moment so verführerisch schönen Fotografien. Das Publikum wird auf der Messe eingeladen, seine Beziehung zur Welt zu überdenken.
In den Sümpfen der Camargue

Ein gutes Team und glückliche Gewinner des BMW Art Makers Preises: Eva Nielsen und Marianne Derrien.
(Foto: Damien Guillaume)
Fotografinnen sind mit gut 36 Prozent erfreulich oft vertreten. Bereits zum vierten Mal wird auf der "Paris Photo" ein Schwerpunkt auf Frauen gelegt. Die Lichtbildnerinnen kämpfen noch immer für mehr Sichtbarkeit im Markt. Vor dem Grand Palais Éphémère ist ein Zelt aufgebaut, um Raum für alle Aussteller zu schaffen. Gleich am Eingang ist einer der größten Stände zu finden. Die Pariser Künstlerin Eva Nielsen und Kuratorin Marianne Derrien werden hier als Gewinner des BMW-Art-Makers-Preises gefeiert. Ihre so geförderte Ausstellung "Insolare" haben sie speziell für die "Paris Photo" und das Fotofestival "Rencontres d'Arles" konzipiert. Dort war die Arbeit bereits im Sommer in einem Kloster zu sehen.
Die beiden Frauen kennen sich seit dem Studium und "arbeiten seit 20 Jahren sporadisch zusammen, wir tauschen uns über viele Themen wie Ökofeminismus aus", erzählen sie ntv.de. Mit rauen Stahlkonstruktionen schafft Derrien eine perfekte Bühne für Nielsens Arbeiten. Zwölf groß- und kleinformatige Bilder verzaubern und ziehen mit warmen, strahlenden Farben in den Bann. Die 40-Jährige schichtet Malerei, Siebdruck und Fotografie auf raffinierte Weise. Was so poetisch daherkommt, hinterfragt zugleich die landschaftlichen Veränderungen in den Sümpfen der Camargue und stellt den menschlichen Fußabdruck infrage. Die Künstlerinnen wissen, dass der Klimawandel unwiderruflich da ist und alle betrifft. Erosion und Erwärmung seien in Regionen wie der Camargue sicht- und spürbar. Aber die beiden sind optimistisch, glauben an eine kollektive Stärke.
Am Ende der Welt mitten in Frankreich
Für das Projekt war Eva Nielsen in der sonst sehr touristischen Region im Winter unterwegs. Es hat sie erstaunt, wie einsam sie in der Landschaft war. "Ich fühlte mich, als ob ich am Ende der Welt sei, obwohl ich doch in Frankreich war. Besonders als Frau ist es eine Herausforderung, allein zu reisen", so Eva Nielsen. Sie und Derrien treibt das Verschwinden des so lebenswichtigen Wassers um. Beiden betonen, wie wichtig es ist, mit wiederverwertbarem Material zu arbeiten. So werden sie die Stahlgerüste nach dem Abbau recyceln.
Paris entwickelt sich wieder zum Kunst-Hotspot. In den Zwischenkriegsjahren lebten hier Künstler wie Picasso oder Matisse. Die Stadt an der Seine war auch der Platz vieler scharfsichtiger Fotografen wie Man Ray, dessen Arbeiten jetzt ebenfalls auf der "Paris Photo" zu finden sind. Avantgardisten wie er und Bohemiens trafen sich in dem bis heute ikonischen "Café de Flore" oder der "Brasserie Lipp". Wer dabei sein oder in den Räumen der Kunsthändler Fremdes aufspüren wollte, reiste hierher.
Mein Vuitton, mein Gucci, mein Museum

"Jenny und ihre Juwelen" von Peter Beard (1938-2020). Der US-Fotograf war bekannt für seine einzigartig arrangierten und collagierten Fotografien.
(Foto: privat)
Jetzt, so scheint es, pulsiert und vibriert die Seine-Metropole wieder, das Herz pocht komplett für die Kunst. 160 Museen locken das ganze Jahr über mit Ausstellungen und ihren permanenten Sammlungen. Modegigant Louis Vuitton hat 2014 ein aufsehenerregendes Museum bauen lassen. Natürlich zog Luxusmarken-Konkurrent François-Henri Pinault (unter anderem Gucci) nach und auch die Juwelenmarke Cartier betreibt ebenfalls ein eigenes Museum. Top-Galerien aus aller Welt eröffnen in Paris ihre Dependance.
Als Medium, Kunstform und Kultur ist Fotografie lebendiger denn je. Die "Paris Photo" ist für viele seit Jahren ein absolutes Muss und fester Bestandteil im Terminkalender. Fotografie ist ein ständiger Begleiter, Smartphones sind Fotoapparate, immer bereit, sich am Bilderstrudel in den sozialen Medien zu beteiligen. Fotografie im digitalen Zeitalter ist wichtig und bekommt hier erstmals einen eigenen Bereich. Wie integrieren Künstlerinnen und Künstler die neuen Medien in ihre Arbeit? Wie sieht Kunst im digitalen Zeitalter aus? Künstliche Intelligenz, Blockchain, sind NFTs nun relevant oder nicht?

Kunst-Hotspot Paris. Luxusimperien wie Louis Vuitton leisten sich in der Stadt Museen mit Blockbuster-Ausstellungen wie aktuell Farbfeldmalerei von Mark Rothko.
(Foto: privat)
Es ist kompliziert. Klar ist: Die Vorstellungen des klassischen Kunstbegriffs verschieben sich. Digitalisierung ist nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen. Am Stand der Berliner Galerie Office Impart ist die Welt des Digitalkünstlers Damjanski präsent. Er wohnt in New York, aber "eigentlich in seinem Browser, er lebt und arbeitet online", erklärt Galerie-Mitinhaberin Anne Schwanz und drückt der Besucherin ein Handy in die Hand. Die auf dem Boden verteilten Utensilien wie Bücher oder Quietscheenten wollen via App fotografiert werden. Damjanski hat einen Algorithmus kreiert, der Objekte erkennt und in eine abstrakte Komposition mit herrlichen Farbverläufen umwandelt. Das auf der Blockchain eingeschriebene NFT kann sich der Käufer bei Bedarf auf Plexiglas drucken lassen und zu Hause aufhängen. So wird die digitale Besitzurkunde in den realen Raum transportiert.

Der deutsche Fotograf Jürgen Teller hat ab dem 16. Dezember eine Solo-Ausstellung im Grand Palais Éphémère. Jetzt ist er mit seiner Serie "Go Sees" dabei.
(Foto: privat)
Ganz wahrhaftig werfen in Paris große Ereignisse ihre Schatten voraus: Zu den 33. Olympischen Spielen, die ab dem 24. Juli in Paris stattfinden, soll das Grand Palais nach knapp drei Jahren Renovierung wieder geöffnet werden. Das Grand Palais Éphémère wird olympisch für Ringen und Judo genutzt werden und das Feld wird ein Freiluftstadion. 16 Tage später wird das luftige Gebäude zurückgebaut und die Einzelteile werden nachhaltig wiederverwendet. Wie der Name schon verrät, war das Grand Palais Éphémère nur ein ephemeres, also kurzzeitiges und temporäres Intermezzo am Eiffelturm. Und ein perfekter Ort für alles Erfreuliche, Inspirierende und Wohltuende wie Mode, Kunst und Sport.
Alles zur "Paris Photo" hier. Keine Zeit, nach Paris zu reisen? Es gibt auf der Seite einen hervorragenden online viewing room. So können Fotofans aus aller Welt die Angebote aller Aussteller besuchen, Favoritenlisten erstellen und mit den Experten vor Ort interagieren.
Die Paris Photo läuft vom 9. bis zum 12. November im Grand Palais.
Quelle: ntv.de