Panorama

Wirkt Peitsche statt Zuckerbrot? Frankreich impft schneller als Deutschland

Vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden will in Frankreich niemand.

Vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden will in Frankreich niemand.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Lange Zeit will die Impfkampagne in Frankreich nicht in Fahrt kommen. Doch dann geht plötzlich alles ganz schnell: Die Menschen prügeln sich beinahe um freie Termine. Dafür sorgt eine Ankündigung des französischen Präsidenten. Haben unsere Nachbarn die bessere Strategie?

Nach einem eher holprigen Start hatte die Impfkampagne in Deutschland im Frühling an Fahrt aufgenommen. Der Nachbar Frankreich hinkte lange Zeit hinterher. Doch vor zwei Wochen wendet sich das Blatt: In der Bundesrepublik herrscht längst Impfmüdigkeit. Die Kurve der täglichen Impfungen fällt seit Ende Juni steil ab. Und in Frankreich? Dort ist von Erschöpfung keine Spur. Das Land scheint endlich den Turbogang bei den täglichen Impfungen eingelegt zu haben und rast geradewegs an Deutschland vorbei.

Dabei hatte Deutschland im Juni noch weit über eine Million Impfungen täglich vermelden können, inzwischen hat sich der Wert halbiert. Vor allem die Zahl der Erstimpfungen nahm in den letzten Wochen dramatisch ab. Sie ist mittlerweile auf das niedrigste Niveau seit einem halben Jahr gefallen, bezieht man die Wochenenden nicht mit ein. Heute liegen den Börden zufolge mehr als 15 Millionen Impfdosen ungenutzt in Kühlschränken von Impfzentren und Arztpraxen.

Während hierzulande der schwache Impffortschritt der Debatte über Sonderrechte für Geimpfte neue Nahrung gibt, hat sich in Frankreich ein Schubser von präsidialer Seite als wirksam erwiesen: die Durchsetzung einer Impfpflicht für medizinisches Personal. Sogar schon die Ankündigung von Präsident Emmanuel Macron vor zwei Wochen hatte erwirkt, dass sich Tausende Unentschlossene für eine Impfung angemeldet haben.

"Obligatorische Impfung für alle"?

Macrons Fernsehappell war am Montag, den 12. Juli noch nicht einmal beendet, als die Website "Doctolib" wegen Überlastung zusammenbrach. Jede Minute wählten sich 17.000 neue Interessenten ein, um einen Impftermin zu reservieren. Insgesamt wurden in der Nacht auf Dienstag (13. Juli) 925.000 Log-ins registriert. Ab da zeigt die Kurve der täglichen Impfungen nach oben.

Die massive Reaktion war umso überraschender, als Macron der Nation offiziell gar keine allgemeine Impfpflicht verordnet hat. Das Obligatorium beschränkt sich vorerst auf das Gesundheitspersonal - und wurde inzwischen etwas entschärft. Wer bis Mitte September keine Impfung hat, kann nicht gekündigt werden. Stattdessen droht eine Aussetzung des Gehalts. Der Rest der Bevölkerung muss im Alltag lediglich häufiger nachweisen, dass sie negativ getestet oder geimpft ist beziehungsweise eine Erkrankung überstanden hat.

Für die bis dato ungeimpften Franzosen reichte das aber offenbar aus, um zu verstehen: Der Regierung ist es ernst. Zudem merkte Macron in seiner Rede an: "Je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, werden wir uns zweifellos die Frage nach einer obligatorischen Impfung für alle Franzosen stellen müssen."

Noch deutlicher wurde der Präsident jetzt am vergangenen Wochenende, als er den ungeimpften Teil der Bevölkerung fragte: "Was ist Ihre Freiheit wert, wenn Sie mir sagen: 'Ich will mich nicht impfen lassen'? Wenn Sie morgen Ihren Vater oder Ihre Mutter oder mich anstecken, bin ich Opfer Ihrer Freiheit. Weil Sie die Möglichkeit hatten, sich und mich zu beschützen. Das nennt man Unverantwortlichkeit oder Egoismus."

Die Peitsche statt Zuckerbrot funktioniert - zumindest in Frankreich. Allerdings gehört auch zur Wahrheit, dass Frankreich im Vergleich mit Deutschland einiges aufzuholen hat. Dort drohte der Impfkampagne sogar deutlich früher die Luft auszugehen als hierzulande. Bei der Impfquote liegt Deutschland nach wie vor vorne: Mehr als die Hälfte der Deutschen ist vollständig geschützt, in Frankreich erst rund 45 Prozent der Einwohner. Doch der Abstand wird immer kleiner. Sollte sich der Trend fortsetzen, liegt das Nachbarland auch bei der Impfquote vor Deutschland.

Quelle: ntv.de, hny/dpa

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