Zustände wie vor Revolution? Franzosen hamstern massenweise Baguette
19.03.2020, 20:33 Uhr
"Wir haben Leute gesehen, die 50 Baguettes auf einmal kaufen wollten. Manche leiden unter einer richtigen Psychose," heißt es von den Bäckern.
(Foto: REUTERS)
Die Angst vor einer verschärften Ausgangssperre steigt auch in Frankreich. Viele Bürger legen sich deshalb einen enormen Vorrat an Lebensmitteln zu. Doch statt Nudeln und Reis bunkern die Franzosen vor allem eins: Baguette!
Klopapier und Nudeln - in der Coronavirus-Krise decken sich viele Europäer damit ein. Die Franzosen stehen daneben auch für ein nationales Wahrzeichen an: Baguette. Einzelne malen bereits eine Versorgungskrise wie vor der Französischen Revolution an die Wand und horten das Stangen-Weißbrot im Tiefkühlfach. Die Bäcker selbst sehen dagegen keinerlei Grund zur Sorge.
Die rund 33.000 "Boulangerien" in Frankreich dürfen wie alle Lebensmittelgeschäfte trotz der Ausgangssperre offen bleiben. "Seit Montag verkaufen wir doppelt so viel", sagt Addenour Koriche, der eine Bäckerei nördlich von Paris leitet. "Derzeit sind wir bei 800 Baguettes pro Tag. Gestern hatten wir um drei Uhr nachmittags bereits nichts mehr." Das war fünf Stunden vor Geschäftsschluss. "Wir haben Kunden, die normalerweise ein halbes Baguette kaufen oder eines pro Tag", erzählt Koriche. "Sie nehmen nun vier oder fünf, um sie einzufrieren - falls die Ausgangssperre verschärft wird."
Um ihre Kunden zu schützen, haben viele Bäcker und Patissiers, wie die Konditoren in Frankreich heißen, den Fußboden markiert. Klebeband im Abstand von einem Meter heißt: Nicht zu dicht aufrücken! Viele Verkäuferinnen und Verkäufer tragen nun Schutzhandschuhe, manche Bäcker haben Plexiglas-Wände vor der Kasse errichtet.
Die Regierung hat es den Bäckereien erlaubt, sieben Tage die Woche zu öffnen, bisher war ein Ruhetag Pflicht. "Damit können die Franzosen stressfrei jeden Tag Brot kaufen", sagt Matthieu Labbé vom Bäckerverband FEB. "Wir haben Leute gesehen, die 50 Baguettes auf einmal kaufen wollten. Manche leiden unter einer richtigen Psychose."
"Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen"
Die Angst vor einer Brotkrise sitzt tief im kollektiven Gedächtnis Frankreichs: Die Explosion der Brotpreise führte in der Geschichte des Landes zu vielen Revolten. Besonders vor der Französischen Revolution 1789 riefen hungernde Menschen nach Brot - etwa beim berühmten Marsch der Frauen nach Schloss Versailles, wo sich König Ludwig XVI. mit seinem Hofstaat verschanzt hielt. "Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen", soll Königin Marie-Antoinette damals gesagt haben.
Der berühmte Spruch gehört wohl ins Reich der Legende: Es gibt keine historischen Belege dafür, dass die später guillotinierte Österreicherin dies gesagt hätte. Dasselbe gilt heute für die tausendfach in deutschsprachigen Online-Netzwerken geteilte Behauptung, in Frankreich würden in der Coronavirus-Krise "Wein und Kondome" knapp.
Kein Grund zur Panik
Eine Versorgungskrise fürchtet auch der Bäckerverband nicht. "Wir haben Weizen, Hefe und Salz", sagt Labbé. "Wir haben kein Problem, Brot herzustellen." Auch nicht in dem "Gesundheitskrieg", den Präsident Emmanuel Macron ausgerufen hat. Schließlich ist Frankreich eines der größten Agrarländer in Europa.
Dominique Anract vom Dachverband der Bäcker und Konditoren (CNBPF) hat noch eine andere Erklärung dafür, warum viele Franzosen für Baguette Schlange stehen: "Brot ist nicht nur ein Lebensmittel, sondern schafft auch soziale Verbindungen. Viele Menschen gehen Baguette kaufen, um ein Schwätzchen zu halten."
Quelle: ntv.de, Mariëtte Le Roux und Joëlle Garrus, AFP