Mediziner Janssens im Interview "Für Lockerungen ist es zu früh"
02.02.2022, 19:54 Uhr
Mehrere Länder in Europa beginnen mit dem Ausstieg aus den Corona-Beschränkungen. Die Stimmen, die dies auch in Deutschland fordern, werden lauter. Doch Mediziner Janssens warnt: Deutschland habe nicht ohne Grund eine geringere Sterberate. Und außerdem sei der Peak der Welle noch nicht erreicht. Doch er macht auch Hoffnung.
Mehrere Länder in Europa beginnen mit dem Ausstieg aus den Corona-Beschränkungen. Die Stimmen, die dies auch in Deutschland fordern, werden lauter. Doch Mediziner Uwe Janssens warnt: Deutschland habe nicht ohne Grund eine geringere Sterberate. Und außerdem sei der Peak der Welle noch nicht erreicht. Doch er macht auch Hoffnung.
ntv: Das Robert-Koch-Institut meldet heute 208.000 Neuinfektionen. 2200 Infizierte liegen derzeit auf den Intensivstationen. Wie ist die Lage bei Ihnen?
Uwe Janssens: Die Zahlen zeigen ganz eindeutig, was wir alle mittlerweile gelernt haben: Dass die Omikron-Variante, die dominierende Variante in Deutschland und Europa, nicht zu so schweren Krankheitsverläufen führt, die einen Intensivaufenthalt nach sich ziehen. Trotzdem muss man darauf hinweisen, dass ein Großteil der Patienten und Patientinnen, die infiziert sind mit der Omikron-Variante, noch im jüngeren Lebensalter sind. Das zeigen die Daten sehr klar. Wenn die Virusvariante dann auf die älteren Jahrgänge überspringt - und Achtung: Wir haben noch relativ viele Ungeimpfte unter den über 60-Jährigen, knapp unter drei Millionen -, dann könnte das im Februar mit einer gewissen Verzögerung die Krankenhäuser und die Intensivstationen doch wieder treffen. Aber trotzdem, es läuft gar nicht so schlecht in Deutschland, im Vergleich zum Ausland.
Wie sieht es denn auf den Normalstationen und Notaufnahmen aus? Macht sich da die Omikron-Welle bemerkbar?
Sie sprechen einen ganz wichtigen Punkt an, den wir seit Tagen und Wochen kennen und darauf hingewiesen haben, dass mit der Masse der Infizierten auch die Belastung der Krankenhäuser, auf den Normalstationen und in den Notaufnahmen, zunimmt. Das beobachten wir vor allem in den großen Städten, wo wir überproportional viele Infektionen haben. Dort sind Normalstationen und Notaufnahmen stark belastet. Und ein ganz wichtiger Aspekt muss zusätzlich genannt werden: Wir haben zunehmend Mitarbeitende in unseren Krankenhäusern, die selber infiziert oder Kontaktpersonen sind, und nicht zur Arbeit kommen können. Das belastet jetzt die Situation erheblich, weil dadurch die Versorgung zum Teil jetzt schon erheblich eingeschränkt ist.
Kann man sagen, dass wir um die Wucht der Omikron-Welle herumgekommen sind, oder rechnen Sie damit, dass da noch was kommen wird?
Wir sind noch nicht am Scheidepunkt angelangt. Heute haben wir mehr als 200.000 Neuinfektionen. Und eines muss man auch sagen: Ich glaube den Zahlen nicht mehr so ganz. Es sind wahrscheinlich schon 250.000 bis 280.000 Neuinfektionen pro Tag. Wir wissen es auf Grund der ungenauen Erfassung einfach nicht mehr exakt und fischen im Trüben. Experten rechnen damit, dass wir Mitte Februar oder Anfang März wahrscheinlich durch sind.
Für wir sinnvoll halten Sie die Impfpflicht für Pflegepersonal?
Das ist ohne Not vom Gesetzgeber Ende vergangenen Jahres beschlossen worden. Sicherlich gibt es gute Argumente, zu sagen, wir müssen so die vulnerablen Populationen schützen. Aber wir haben noch viel, viel mehr Menschen, die nicht in den Gesundheitsfachberufen arbeiten, die nicht geimpft sind. Das wird auch von den Mitarbeitern im Gesundheitswesen als außerordentlich ungerecht empfunden, dass an ihnen - ich sage es mal überspitzt - ein Exempel statuiert wird und woanders Menschen nicht geimpft werden. Das zweite Problem ist, und das wird doch jetzt deutlich, dass hier ein Gesetz beschlossen wird, aber die Ausführungen des Gesetzes - wer kontrolliert und was sind die Konsequenzen - nach wie vor völlig unklar sind. Das ist unsauber gearbeitet. Da gilt auch bei der Diskussion im Bundestag, wenn der Gesetzgeber darauf hinarbeitet, eine allgemeine Impfpflicht für die über 18-Jährigen einzuführen. Die Probleme sind die gleichen: Überwachung und Sanktion. Wer führt sie aus, wie sollen sie genau aussehen? Da müssen Antworten gefunden werden so dass nicht ein Gesetz verabschiedet wird, das nachher wirkungslos und eher ein zahnloser Tiger ist.
Muss man denn mit einer Kündigungswelle rechnen?
Das Ausland hat gezeigt, dass es dort nicht passiert ist. Das gab es bereits in Italien und Frankreich. Wie die Deutschen sich verhalten werde, wissen wir nicht. In unserem Krankenhaus zum Beispiel sind nur 5 von 1500 Mitarbeitenden ungeimpft. Wir werden hier keine größeren Ausfälle zu erwarten haben. Aber in Altenpflegebereichen oder anderen Bereichen im Gesundheitswesen kann das durchaus tiefe Wunden reißen.
In Europa gibt es einige Länder, die lockern. Können wir das auch schon machen oder ist das zu früh?
Das ist verfrüht. Wir müssen abwarten, wie das verläuft. Den guten Weg, den wir bisher gegangen sind, müssen wir weiter beschreiten. Das ist anstrengend und viele sehnen sich nach dieser Freiheit. Aber für den Februar, für den noch alles unklar ist und wir noch täglich steigende Infektionszahlen haben, kann man doch wirklich nicht sagen, wir lockern. Blicken wir doch auf die Sterblichkeitsrate in den besprochenen Ländern, Dänemark und auch Großbritannien: Die sind viel, viel höher gemessen an der Covid-19-Erkrankung, als wir sie in Deutschland gehabt haben. Wenn die Gesellschaft bereit ist, höhere Sterblichkeitsraten in Kauf zu nehmen und auch die Politik den Weg mitgeht, dann ist das eine Entscheidung, die Politik und Gesellschaft treffen. Das können Mediziner nicht verantworten, denn wir haben immer den maximalen Schutz unserer Patientinnen und Patienten im Blick. Deshalb sind wir vielleicht ein bisschen strenger und passen ein bisschen mehr auf, als dass vielleicht auf einer anderen Ebene getan wird. Wir müssen aber als gesamte Gesellschaft dafür Sorge tragen, dass wir möglichst gut aus der Pandemie kommen. Die Kollateralschäden - Stichwort Einzelhandel und dergleichen -, sind sehr schlimm und sehr bedauerlich. Aber hier kann die Politik helfend eingreifen und sollte das weiterhin tun. Aber jetzt zu lockern, ist ein Schritt zu früh.
Mit Uwe Janssens sprach Tamara Bilic
Quelle: ntv.de