Einige spektakuläre Fälle 2014Gefängnisausbrüche werden immer seltener

Über Mauern und Zäune, vorbei an Wachpersonal, Kameras und Sensoren: Gefängnisausbrecher ernten für ihren Freiheitsdrang eine Mischung aus Angst und Respekt. Wohl auch, weil diese Aktionen inzwischen echten Seltenheitswert haben.
Es war einer der spektakulärsten Gefängnisausbrüche des Jahres: In der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit sägen im Mai 2014 zwei Häftlinge Gitter ihrer Zellen durch, seilen sich mit verknoteten Bettlaken und Kleidungsstücken vom ersten Stock in den Hof ab und flüchten über meterhohe Zäune und Mauern.
Nur einige Wochen später wird auch aus Nordrhein-Westfalen eine filmreife Flucht bekannt: Ein schmächtiger Mann biegt in Gelsenkirchen einen Gitterstab zur Seite und zwängt sich hindurch. Fälle wie diese lösen ein lautes Presse-Echo aus und zwingen Justizminister zu Erklärungen. Häufen sich solche Fälle?
In Deutschland bewegten sich die Zahl der Flüchtigen aus dem geschlossenen Vollzug in den vergangenen Jahren meist im einstelligen Bereich. Das Bundesamt für Justiz gibt die neueste derzeit verfügbare bundesweite Zahl mit 6 für das Jahr 2012 an. In den Jahren 2011 und 2010 waren es jeweils 8. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 hatte es - ohne Niedersachsen - 73 "Entweichungen aus dem eingefriedeten Bereich einer Anstalt/Abteilung des geschlossenen Vollzuges", wie es im korrekten Fachjargon heißt, gegeben.
"Ungebrochener Freiheitswille"
"Insgesamt sind die Gefangenenzahlen und damit die Überbelegungen der Anstalten deutlich zurückgegangen - das sorgt für ein etwas entspannteres Klima", sagt der Kriminologe und Strafrechtsexperte Prof. Heinz Cornel. Auch Technik und Betreuung zeigen Wirkung, wie Anton Bachl, der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BSBD), beobachtet hat.
Bauliche Vorkehrungen seien verbessert worden. Mauern wurden optimiert, Innenzäune mit elektronischen Sensoren ausgestattet, Videokameras auf die Fassaden gerichtet, wie Bachl sagt, der einst in der JVA Straubing in Bayern als Justizbeamter gearbeitet hatte. "Gleichwohl ist der Freiheitswille des Menschen ungebrochen. Jeder Ausbruch ist einer zu viel."
Der Ausbruch in Berlin-Moabit war die erste gelungene Flucht seit rund 15 Jahren aus dem riesigen Gefängnis, das etwa 1000 Gefangenen Platz bietet. Dennoch geriet Berlins Justizsenator Thomas Heilmann unter Druck. Zerknirscht räumte der CDU-Politiker Fehler des Personals ein. Eine Videoaufnahme, auf der die Flucht zu sehen war, sei unbeachtet geblieben.
Andere Zahlen im offenen Vollzug
Ebenso musste sich Nordrhein-Westfalens Justizminister Thomas Kutschaty schon im Jahr 2012 rechtfertigen, als es im Gefängnis Bochum zu mehreren Pannen kam. Die Opposition bezeichnete den Strafvollzug in NRW als "löchrig wie Schweizer Käse". "Meines Erachtens gibt es keine Tendenz, weder in der einen noch der anderen Richtung", kommentiert hingegen der Greifswalder Kriminologie-Professor Frieder Dünkel die bundesweite Entwicklung der Ausbrüche. Entweichungen aus dem geschlossenen Vollzug seien äußerst seltene Ereignisse.
Etwas anders sieht es im offenen Vollzug aus. Die Straftäter verbringen hier die Nacht im Gefängnis und können tagsüber draußen arbeiten - so wie jetzt Uli Hoeneß. In Niedersachsen zum Beispiel bewegte sich die Zahl der Entweichungen aus dem offenen Vollzug in den Jahren 1995 bis 1998 zwischen 132 und 147. Von 2011 bis 2013 waren es nach Auskunft des niedersächsischen Justizministeriums jährlich noch zwischen 14 und 18 Fälle. Strafrechtsexperte Cornel sagt, bei Anstalten des offenen Vollzugs komme es zwar zu kurzzeitigen Entweichungen und zu Verspätungen bei der Rückkehr, nicht aber zu spektakulären Ausbrüchen.
Der offene Vollzug, der den Übergang der Straftäter in ein Leben in Freiheit erleichtern soll, ist in den Bundesländern unterschiedlich stark verbreitet. Im Bundesschnitt befanden sich zum Stichtag 31. März 2013 etwa 16 Prozent von insgesamt fast 57.000 Gefangenen im offenen Vollzug.
Die Freiheit währt oft kurz
In Berlin und Nordrhein-Westfalen lag dieser Anteil fast doppelt so hoch, bei nahezu 30 Prozent, während es in Bayern gerade einmal knapp 7 Prozent waren. Grund für die Unterschiede seien die jeweiligen politischen Sichtweisen, sagt BSBD-Chef Bachl über die Zahlen des Statistischen Bundesamtes.
Ausbrüche im engeren Sinne - also die Flucht von Gefangenen aus dem eingefriedeten Bereich einer Justizvollzugsanstalt - bleiben selten. Das betont auch das Justizministerium von Nordrhein-Westfalen: Dort habe es im Jahr 2013 zwar 15 Entweichungen aus dem geschlossenen Vollzug gegeben. Meist handele es sich bei solchen Fällen aber um "Entweichungen bei Aus- oder Vorführungen zu Ärzten oder Gerichten". Von 2008 bis 2013 habe es in dem bevölkerungsreichsten Bundesland pro Jahr gerade mal einen "echten" Ausbruch gegeben.
Gewerkschaftschef Bachl mahnt, weiter eine möglichst gute technische Ausstattung der Gefängnisse sicherzustellen. Überlegungen, etwa Pforten mit privatem Personal zu besetzen, lehnt er ab. Solche geringverdienende Beschäftigte seien zu wenig geschult. "Hier werden unnötige und gefährliche Risiken eingegangen." Aber auch, wenn eine Flucht glückt: Die Freiheit währt meist kurz. Die Ausbrecher von Moabit und Gelsenkirchen wurden wieder gefasst.