Panorama

Angriffe auf Obdachlose Gewalt auf der Straße eskaliert

Die Hälfte der Angriffe auf Obdachlose geht von Tätern aus, die ebenfalls auf der Straße leben.

Die Hälfte der Angriffe auf Obdachlose geht von Tätern aus, die ebenfalls auf der Straße leben.

(Foto: picture alliance / dpa)

Immer öfter machen brutale Angriffe auf Obdachlose Schlagzeilen - doch die Statistik zeigt: Die Hälfte aller Übergriffe auf Wohnunglose geht von Tätern aus, die selbst auf der Straße leben. Dabei geht es oft nur um den besten Schlafplatz.

Wenn Obdachlose Opfer von Gewalt werden, leben die Täter häufig ebenfalls auf der Straße. Von 158 Gewalttaten gegen Obdachlose, die die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) im vergangenen Jahr gezählt hat, waren in 81 Fällen die Täter selbst wohnungslos. Von 17 Todesfällen durch gewalttätige Übergriffe gehen 13 auf das Konto von wohnungslosen Tätern.

Warum tun sich die Ärmsten der Armen gegenseitig Gewalt an, statt zusammenzuhalten? Am Hamburger Landgericht haben sich Richter im vergangenen Jahr gleich zwei Mal mit der Frage beschäftigt, wieso ein Obdachloser den Schlafplatz eines anderen angezündet hat. Die Verhandlungen boten aufschlussreiche Einblicke in das Leben auf der Straße.

Im Januar 2017 erleiden zwei Obdachlose gefährliche Verbrennungen unter anderem im Gesicht, als ihr Schlafplatz in einem Parkhaus am Hamburger Hafen in Flammen aufgeht. Neun Monate später verurteilt das Landgericht einen dritten Obdachlosen wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Haft.

Konkurrenz um Schlafplätze

Der Richter attestiert dem Angeklagten, der selbst zu den Vorwürfen schweigt, in seiner Urteilsbegründung ein pikantes Motiv: Er habe aus Neid um den "Premium-Schlafplatz" der beiden Opfer gehandelt, sagt er. Zwar ist das Urteil noch nicht rechtskräftig, denn der Fall liegt nun beim Bundesgerichtshof. Es zeigt jedoch: Das Elend von Obdachlosen ist inzwischen offenbar so groß, dass eine zugige Ecke in einem Parkhaus als "Premium-Schlafplatz" gilt.

Die Konkurrenz um die besten Schlafplätze nimmt mit steigenden Obdachlosenzahlen zu.

Die Konkurrenz um die besten Schlafplätze nimmt mit steigenden Obdachlosenzahlen zu.

(Foto: picture alliance / dpa)

In Deutschland leben immer mehr Menschen auf der Straße. Im Jahr 2016 sind es nach einer Schätzung der BAG W 52.000 Menschen gewesen. Viele von ihnen haben vom Staat kaum Hilfe zu erwarten, denn sie stammen aus dem Ausland, oft aus Osteuropa. Nicht selten haben sie kaum eine Chance, ihre Situation zu verbessern und verelenden über viele Jahre in den deutschen Großstädten. Dort wird so die Konkurrenz unter den Obdachlosen - auch die Konkurrenz um Schlafplätze - immer größer.

Auch der zweite Fall passt in dieses Bild. Im April 2017 wirft ein ehemaliger Wohnungsloser im Hamburger Bahnhofsviertel einen brennenden Gegenstand auf einen schlafenden Obdachlosen, dessen Schlafsack daraufhin Feuer fängt. Passanten löschen den Brand zügig, sodass der 49-Jährige unverletzt bleibt.

Behördenstatistik gibt es nicht

Angeblich wollte der Brandstifter dem dort Schlafenden einen Denkzettel verpassen: Das Opfer sei "sehr aggressiv" und bekannt dafür, andere Obdachlose von ihren Schlafplätzen zu vertreiben, rechtfertigte er sich in der Verhandlung. Der Geständige war auch in der Tatnacht davon ausgegangen, dass sein Opfer auf diese Weise an den Platz in einem Hauseingang gelangt war. Ein Urteil in dem Fall wird für Ende Januar erwartet.

Die Zahl der gewalttätigen Übergriffe gegen Obdachlose nimmt nach der Statistik der BAG W stetig zu. Insbesondere die Fälle, in denen nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter Wohnungslose sind, haben sich in den vergangenen zehn Jahren vervielfacht. So führt die BAG W für das Jahr 2007 gerade einmal drei Körperverletzungen unter Wohnungslosen auf. 2017 waren es 68.

Allerdings zeigt die Statistik auch immer nur einen Teil der Gewalt: Gezählt werden lediglich die Medienberichte über die Übergriffe auf Obdachlose, denn eine offizielle Erhebung gibt es bei den Behörden nicht. Die Dunkelziffer liegt also vermutlich deutlich darüber. Klar ist: Unter Brücken und in Hauseingängen in deutschen Städten wird es enger - und gefährlicher.

Quelle: ntv.de

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