
"Für Ihr Alter sehen Sie aber noch gut aus." Ein harmloser Satz? Nicht für Iris Berben, auch wenn sie weiß, dass es "wohl nett gemeint" sein soll.
(Foto: Annette Riedl/dpa)
"Sie sehen aber gut aus für Ihr Alter" ist nur vordergründig ein Kompliment. Dahinter stecken strukturelle Altersdiskriminierung und ein reduzierendes Frauenbild. Warum einige Frauen sich immer noch über vermeintlich perfekte Brüste (boobs) definieren, lesen Sie hier (eventuell).
"Ich frage mich schon, wofür unsere Generation eigentlich auf die Straße gegangen ist", sagt Iris Berben im "Stern"-Interview. "Was wollten wir einfordern? Ein selbstbestimmtes Frauenbild, in eigener Verantwortung." Klingt einleuchtend. Doch was ist die aktuelle Situation? Sie nehme einen "Herdentrieb" wahr, in dem Individualität oft sanktioniert werde. "Man wird gecancelt, wenn man nicht dazugehört." Herde bedeutet dann wohl auch: Schön sein. Um jeden Preis. Koste es, was es wolle - Geld, Gesundheit, egal, Hauptsache, die Fassade stimmt.
Jaja, ich weiß, viele Frauen "machen das für sich" - nicht für einen Mann. Was früher noch hieß: "Kinn hoch, Schultern zurück, Bauch rein, Brust raus", heißt heute: "Kinn weg, Schultern polstern, Bauch absaugen und Brust vergrößern". Wobei es schon witzig ist, dass einige Körperteile durchaus mehr werden dürfen (Hintern, Brüste, Lippen), andere weniger (Bauch, Oberschenkel, wahlweise Hintern, Schamlippen, je nach Geschmack).
Leistung vs. Präsentation
Die 74-jährige Berben, weiterhin Traumfrau vieler Männer jeden Alters, spricht von einem Rückschritt: "Ich finde, heute liegt der Fokus extrem auf Perfektion, auf einer vordergründigen Perfektion. Dabei wünscht sich kein wirklich wachsender Mensch Perfektion." Bleibt die Frage, was ein "wirklich wachsender Mensch" ist. Denn natürlich wird in den sozialen Medien meist nach Perfektion gesucht, dort wird die Perfektion auch angeboten. Frauen, die einem gewissen Schönheitsideal nicht entsprechen, werden als hässlich angesehen. Das wird ihnen auch gesagt. Und das will keine hören. Schimpfwörter wie "alt, dick, arm" geben ihr Übriges dazu.
Iris Berben appelliert unbeirrt, neben dem perfektionistischen Anspruch an das Optische, die Bildung nicht außer Acht zu lassen: "Es ist nicht schlecht, wenn man sich auch um das Innere seines Kopfes kümmert und das Hirn trainiert, nicht nur den Hintern." Wenngleich Berben viel Hoffnung in die neue, junge Generation hat, sprechen andere Tatsachen doch für sich. So beobachtet sie zwei Strömungen, bezogen auf ihr Metier, den Film: "Die einen, die ihre Leistung (...) hochhalten, und die anderen, die mit der Branche gar nichts zu tun haben und denen es nur um Präsentation geht."

Hey! Du! Jede Frau ist einzigartig! Auch wenn alle das Model "Kylie Boobs" tragen.
(Foto: IMAGO/MediaPunch)
Wie perfekt können Brüste sein?
Für die in der zweiten Kategorie geht es inzwischen oft um Folgendes: "445 ccm, moderates Profil, halb unter dem Muskel! Silikon!!! Garth Fisher." Das sind die nüchternen Details der Brustvergrößerung, inklusive Nennung des Chirurgen in Beverly Hills, die Kylie Jenner vor Kurzem öffentlich machte. Und dafür gefeiert wird, als hätte sie den Kühlschrank oder ein Krebsmedikament erfunden. "Boob Job" nennt sich das, und unser junger Schwarm, den wir früher mal für intellektuell gehalten haben, Timothée Chalamet, scheint sich wirklich wohlzufühlen mit den neuen Spielzeugen seiner Freundin. Das ist natürlich eine anmaßende, durch nichts zu beweisende Behauptung, das ist mir klar.

Hier könnte man beide geradezu für ein normales, verliebtes, fast scheues Pärchen halten.
(Foto: IMAGO/Gennaro Leonardi)
Wie kam es denn nun zu der fast kumpelhaften Offenheit der Kylie Jenner? Kylie, Kosmetikunternehmerin und nur eines der vielen Mitglieder aus dem Jenner-Kardashian-Clan, hatte tatsächlich auf die Frage eines Fans geantwortet. Und ja, das ist recht offen, eine solche OP "zuzugeben" - andere reden sich schließlich raus mit "habe die Haare eine Nuance aufgehellt" oder "Einfallwinkel gleich Ausfallwinkel" - auf der anderen Seite lässt es eine Normalo-Frau wie die Kolumnistin sprachlos zurück mit der Frage: "Warum macht eine junge Frau, die von vielen für ihre bereits vorhandene Perfektion vergöttert und imitiert wird, so etwas?"
Wie perfekt können Brüste sein? Was sind perfekte Brüste? Sind sogenannte perfekte Brüste wichtig? Was ist mit einem perfekten Hirn? Wir sind uns einig, dass es kein perfektes Hirn gibt. Nicht einmal Stephen Hawking oder Albert Einstein oder Marie Curie hatten ein perfektes Gehirn. Warum dann perfekte Brüste? Perfekte Ärsche? Perfekte Jaw-Lines?

Darf man sich noch fragen, warum diese beiden ein Paar sind? Nein? Hm, schade, denn die Autorin versteht es nach wie vor nicht. Und rechnet augenblicklich mit "Fan"- Post ...
(Foto: AP)
Ist sie seine Tante?
Kylie Jenner ist 27 Jahre jung, Schwester von Supermodel Kendall Jenner, Halbschwester unter anderem von Kim Kardashian, sie wurde als Beauty-Unternehmerin ("Kylie Cosmetics") gefeiert, als jüngste "Selfmade-Milliardärin", und sie hat zu allem Überdruss auch noch den hotten Boy. Chalamet und Jenner sind DAS It-Paar auf allen Tribünen, auf jedem roten Teppich. Gut, gehässige Stimmen schreiben in den Kommentarspalten: "Was will er mit der, ist sie seine Tante?" und ähnlich diffamierenden Schwachsinn. Das dürfte sie jedoch wenig jucken. Oder doch? Kommt sie sich tatsächlich nicht perfekt genug vor?
Ach ja, diese bereits erwähnte Fan-Frau hatte auf TikTok ein Video hochgeladen, in dem sie darüber sinnierte, wie toll das Model aussehen würde: "Es ist der perfekteste 'Boob Job' aller Zeiten", so die Frau im rosa Bademantel. "(...) So sollen auch meine Brüste aussehen." Und dann hat sie einfach mal gefragt, wo sie die hat machen lassen. Und Jenner, die 393 Millionen Follower auf Insta hat, antwortete tatsächlich!!
Jenner, die sich bereits mit 19 Jahren die Brüste hat machen lassen, die zugibt, ja, wenn man dermaßen früh damit anfängt, vielleicht sogar schon, bevor man ein Kind bekommen hat, wie sie, dann ist eine Rundumerneuerung wohl alle Jahre fällig. Wie offen, wie süß kann man denn sein?
Die Spielwiese des Scheiterns
Tatsachen, die Iris Berben nachdenklich machen müssen, so wie ich sie einschätze: Im "stern"-Interview nach dem Fokus auf Perfektion beim heutigen Frauenbild gefragt, antwortet sie, die fast dreimal so alt ist wie Kylie Jenner: "Das macht mich schon wütend. Anfangs dachte ich, es reicht, wenn ich das belächle. (...) Ich frage mich: Wofür ist unsere Generation eigentlich auf die Straße gegangen? Was wollten wir einfordern? Ein selbstbestimmtes Frauenbild, in eigener Verantwortung."

Ja, Iris war auch mal jung. Und ihr gutes Aussehen hat sicher nicht geschadet. Sie hat es aber schon immer mit Köpfchen verbunden.
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Sind das also die Geister, die wir riefen? Ein selbstbestimmtes Frauenbild, das sich am Ende auch nur um die Hülle dreht? Berben räumt ein, dass wir in einer Welt leben, "in der man unendlich schnell beurteilt und verurteilt wird. Es gibt kaum Respekt vor dem Entwicklungsprozess, der nun mal auch Scheitern bedeutet." Scheitern ist bei den heutigen jungen Menschen aber nicht vorgesehen. Berben ist froh, diese "Spielwiese" gehabt zu haben, denn "ich glaube, sie ist extrem wichtig, um herauszufinden: Wer bin ich eigentlich? Und wer möchte ich sein? Sollte das Bild, das andere von mir haben, mit dem Bild übereinstimmen, das ich von mir selbst habe? Das sind alles Prozesse, die niemals aufhören."

Weil sie so ehrlich geantwortet hat, könnte man Kylie glatt für nahbar halten. Eine von uns geradezu.
(Foto: IMAGO/Avalon.red)
Wer also ist Kylie Jenner?
Das Meiste, was Kylie Jenner machen ließ, sei allerdings absoluter Standard, schreibt ein Kollege in der "Welt", "nichts Besonderes". Und zitiert die plastische Chirurgin Kelly Killien, die einräumt, dass Kylie "ein relativ großes Implantat, das bei einer durchschnittlichen Frau etwa drei volle Körbchengrößen größer wäre" hat einbauen lassen. Am Ende käme dabei eine Art "Jessica-Rabbit-Look" heraus. Gut, darauf stand schon Roger Rabbit, dann hätten wir das geklärt.
Berben, die, als sie 20 war, mal in einem Interview gesagt hat, dass sie "lieber ein Knackhirn als einen Knackarsch" hätte, müssen sich die Fußnägel aufrollen bei solchen Tatsachen. Und sie insistiert: "(...) Ein cooler Satz, der sich nicht geändert hat. Ich möchte jungen Menschen immer zurufen: Es ist nicht schlecht, wenn man sich auch um das Innere seines Kopfes kümmert und das Hirn trainiert, nicht nur den Hintern."
Weil ich es mir wert bin

Ein aktuelles Foto von Kylie. Sieht schon gut aus. Sah vorher aber auch gut aus. Wenn man drauf steht.
(Foto: IMAGO/Avalon.red)
Nun, um den Hintern geht es bei Kylie nicht, es geht um die Boobs, den Job dazu, und sagen wir mal so: Der Arzt, der das gemacht hat, wird sich nicht über mangelnde Nachfrage nach den"Kylie-Boobs" beschweren können.
Iris Berben, die sicher auch einiges für ihre Schönheit tut und sogar Werbung für einen Kosmetik-Riesen macht, bleibt dennoch, auch mit fast 75, optimistisch: "Wir haben eine ganz starke junge Generation, (...) fantastische junge Frauen, (...) die hervorragend Regie führen oder tolle Schauspielerinnen und Produzentinnen sind. Auch wenn ich mir die anderen Markenbotschafterinnen, meine Kolleginnen, bei L’Oréal Paris angucke. Starke Frauen, die sich für andere einsetzen, treu nach dem Motto: "I am Worth It." Ich sage mir: Wir sind auf einem guten Weg. Es gibt diese Generation, die mir Hoffnung macht."
Und mit diesen hoffnungsvollen Worten wünsche ich Ihnen einen wunderschönen Sonntag. Carpe diem.
Quelle: ntv.de