Panorama

Pöbeleien sind Jugendjargon"Hurentochter" beleidigt nicht immer

02.06.2015, 18:15 Uhr
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Bevor der verhängnisvolle Schlag folgte, mit dem Tuğçe getötet wurde, gab es wüste Beleidigungen - auf beiden Seiten. (Foto: imago/Michael Schick)

Der tödlichen Ohrfeige gegen die Studentin Tuğçe sind üble Pöbeleien vorausgegangen. Doch was manchen Zuschauer in dem Darmstädter Prozess schockiert, ist kein neues Phänomen. Es ist Teil von Jugendkulturen.

"Hurensohn", "Hurentochter", "Verpiss dich!": Wüste Beleidigungen standen nach Aussage von Zeugen am Anfang der Eskalation zweier Gruppen, die im Vorjahr zum Tod der Studentin Tuğçe führte. Beschimpfungen unter jungen Leuten seien aber kein neues Phänomen, sagt die Leiterin des Archivs der Jugendkulturen in Berlin, Gabriele Rohmann.

"Dieses Verhalten von Jugendlichen zieht sich durch die Jahrzehnte des letzten Jahrhunderts mit unterschiedlichen Ausformungen." Jugendliche seien früher allerdings stärker darauf bedacht gewesen, herabsetzende Wörter nicht in Anwesenheit Erwachsener zu gebrauchen. "Es gibt schon Verrohungserscheinungen, die auch mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun haben", erläutert die Sozialwissenschaftlerin.

Beleidigungen seien keine Erfindung Jugendlicher, sondern sie lernten diese von Erwachsenen. Schon Grundschüler schnappten Schimpfwörter auf und nutzten sie, ohne immer die Bedeutung zu kennen. "Irgendwann merken sie dann, das hat eine Wirkung und setzten sie gezielter ein", sagt Rohmann.

Musik ist voll mit Schimpfwörtern

Junge Leute im Alter von Tuğçe und dem Angeklagten Sanel M. wollten andere mit Pöbeleien dagegen stoppen oder kränken. In Konfliktsituationen - so wie es sie im Fall Tuğçe wohl auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants in Offenbach gab - gehe es oft darum, mit Beschimpfungen Stärke und Dominanz zu zeigen. Nach dem Motto: "Wer ist der- oder diejenige, der oder die mehr zu sagen hat?" Welches Schimpfwort genutzt wird, hänge mit der Sozialisation, dem Habitus, dem Wissen und dem kulturellen Kontext zusammen. "Jemand, der die Mutter als sehr zentral, rein und untouchable (unantastbar) wahrnimmt, den trifft das härter, wenn jemand 'Hurensohn' sagt."

Auch die Musik, die viele Jugendliche hörten, sei voll mit Schimpfwörtern. "Damit wird aber auch gespielt in den Jugendbewegungen", betont Rohmann. So könne ein Begriff wie "Bitch" - übersetzt aus dem Englischen kann das Miststück oder Schlampe heißen - herabsetzend verwendet werden, aber auch für emanzipierte, starke Frauen stehen.

Nur eine Ohrfeige?

Der Prozess gegen Sanel M. wegen der Gewalttat geht an diesem Mittwoch weiter. Der 18-Jährige ist wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt. Seit fast sechs Wochen versucht das Landgericht Darmstadt, zu klären, was unmittelbar vor dem tödlichen Schlag im November 2014 vor einem Schnellrestaurant in Offenbach passiert ist.

Das Interesse der Besucher an dem Verfahren ist relativ groß geblieben. Es hat nach den ersten Tagen nicht so stark nachgelassen wie in anderen Fällen. Bei den Plädoyers und vor allem beim Urteil dürfte wieder jeder Platz im großen Saal des Landgerichts Darmstadt besetzt sein. Das Urteil soll voraussichtlich am 16. Juni verkündet werden.

Quelle: ntv.de, dsi/dpa

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