Witwe reist zum Bataclan-Prozess "Ich möchte zeigen, dass wir stark sind"
08.09.2021, 10:03 Uhr
Der Tag nach den Anschlägen: Menschen legen in Paris Blumen nieder.
(Foto: dpa)
Fast sechs Jahre nach der Terrornacht von Paris beginnt in Frankreichs Hauptstadt ein beispielloser Prozess. Angeklagt sind 20 mutmaßliche Islamisten. Eine der knapp 1800 Nebenkläger ist Sophie Bouchard-Stech. Ihr Mann gehört zu den vielen Opfern des 13. November 2015.
Sophie Bouchard-Stech fand am Tag nach den Anschlägen ein Album der Eagles of Death Metal auf dem Schreibtisch ihres Mannes. Sie hatte nicht gewusst, dass er auf dem Konzert der US-Rockband im Pariser Bataclan war. Fabian Stech zählt zu den 130 Menschen, die am 13. November 2015 von Islamisten getötet worden sind. Der 51-Jährige war einer der beiden Deutschen, die dabei in Frankreich ums Leben kamen. 350 Menschen wurden damals verletzt.
In Paris beginnt heute der Prozess gegen den letzten noch lebenden mutmaßlichen Attentäter und 19 weitere Angeklagte. Bouchard-Stech und ihre Kinder treten als Nebenkläger auf. Insgesamt beteiligen sich knapp 1800 Opfer und Angehörige als Nebenkläger.
"Vielleicht hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er vorher schon auf einem Konzert von Nina Hagen gewesen war" - so erklärt sich Bouchard-Stech, dass sie nicht wusste, dass Fabian sich im Bataclan befand. Ein Pariser Hotel habe sie am Morgen in Dijon angerufen und ihr mitgeteilt, dass die Sachen ihres Mannes dort seien. "Da habe ich verstanden, was passiert war", sagt sie. "Es ist für mich sehr wichtig, an dem Prozess teilzunehmen", sagt sie. "Es wird schwer werden. Aber ich will zeigen, dass wir stark sind und dass wir zusammenstehen", fügt sie hinzu. Sie wolle auch die deutsche Familie ihres Mannes vertreten. Dessen Eltern seien zu alt, um nach Paris zu reisen. Sie seien noch immer untröstlich, ihren Sohn verloren zu haben. "Ich möchte da sein, ich möchte die Erinnerung an meinen Mann wachhalten."
"Danach werde ich gelöster sein"
Sophie und Fabian hatten sich Mitte der 80er-Jahre in Berlin auf einer Party kennengelernt. Sophie war zu einem Auslandssemester nach Deutschland gekommen. "Er war groß und blauäugig, sehr lustig und einfach sympathisch", sagt sie. Es war kurz vor der Wende, als Berlin ein guter Nährboden für Rockbands war. "Wir haben viel Musik gehört in dieser Zeit."
Später zog das Paar nach Dijon, wo sich Sophie als Anwältin niederließ. Fabian arbeitete als Deutschlehrer und Kunstkritiker. Er fuhr häufig nach Paris, um sich Ausstellungen anzusehen. Und um auf Konzerte zu gehen, die ihn an die wilden Berliner Jahre erinnerten. So auch am 13. November 2015: Drei Attentäter stürmten den Saal, als makabererweise gerade "Kiss of the devil" (in etwa: Kuss des Teufels) gespielt wurde. Innerhalb einer halben Stunde feuerten sie ihre Maschinengewehre 258 Mal ab, wie die Ermittler später herausfanden.
Sophie Bouchard-Stech hat Angst davor, die Angeklagten vor Gericht zu sehen. "Der Prozess ist eine Belastung, aber zugleich warte ich darauf, dass Recht gesprochen wird", sagt sie. "Danach werde ich gelöster sein, denn dann ist alles getan, was getan werden konnte, um die Täter zu bestrafen."
Prozess soll für Nachwelt gefilmt werden
Die Witwe rechnet nicht damit, dass der Hauptangeklagte Salah Abdeslam sein Schweigen brechen wird. Abdeslam hatte drei Attentäter zum Fußballstadion nahe Paris gefahren, wo gerade Frankreich gegen Deutschland spielte. Abdeslam trug ebenfalls einen Sprengstoffgürtel, den er aber ablegte und floh. Er wurde nach vier Monaten in Belgien festgenommen und dort bereits wegen einer Schießerei zu einer lebenslangen Haft verurteilt. In Paris droht ihm nun das Gleiche.
Der Prozess soll einer der umfangreichsten werden, den die französische Justiz je geführt hat. Insgesamt gibt es knapp 1800 Nebenkläger, es wurde eigens ein Saal mit 550 Plätzen eingerichtet. Das Geschehen soll für die Nachwelt gefilmt werden. Auch Sophie Bouchard-Stech denkt an die nächste Generation, wenn sie zum Prozess nach Paris reist. Ihre beiden Söhne sind heute 23 und 26 Jahre alt. "Ich will meinen Kindern ein Beispiel geben. Ich will zeigen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen."
Quelle: ntv.de, Ulrike Koltermann, AFP