Eine für alle Idole - sexy wie Kendall oder schlau wie Alyssa?


Schön und klug, ideal. Aber auch ein Idol?
(Foto: imago images/Aton Chile)
In meiner letzten Kolumne ging es um Ikonen, diesmal um Idole. Ob man sie braucht. Ob sie richtig oder falsch sind. Es gibt ja tatsächlich Menschen, die von sich behaupten, gern ein Vorbild zu sein. Sind sie dann perfekt oder müssen sie das sein? Wäre es vermessen, von mir zu behaupten, ein Vorbild zu sein?
Wie komme ich denn überhaupt auf dieses Thema, diese beiden Frauen? Ich komme darauf, weil ich neulich ein Foto gesehen habe. Besser gesagt zwei Fotos, nebeneinander: Auf dem einen posiert das Model Kendall Jenner, 28 Jahre alt, in einem Mikro-Schwimmschlüpfer, und man kann wirklich froh sein, dass ihre Waxing-Frau einen super Job macht. Auf dem Foto daneben ist Alyssa Carson, eine mittlerweile 23-jährige Astronautin abgebildet, die aber immer noch als Wunderkind gehandelt wird. Sie ist die jüngste Person ever, die alle Tests bei der NASA bestanden hat und voraussichtlich die erste weibliche Person, die sich Richtung Mars aufmachen wird.
Zu Kendalls Foto wird angemerkt, dass dies eins von der Sorte sei, das im Netz abging wie Schmidts Katze, in Neudeutsch: viral. ALLE Mädchen wollen seitdem angeblich so aussehen wie Kendall Jenner. Das ist natürlich fatal, denn die meisten Mädchen haben weder die Voraussetzungen - rein körperlich - noch den Background, um eine Kendall-Jenner-Karriere zu starten.
Unter dem Bild der jungen Astronautin steht, dass es an der Zeit sei, die Vorbilder für junge Mädchen zu überdenken. Da ist sehr vieles sehr richtig dran! Aber - und nun bin ich nicht gerade bekannt dafür, die oberste Bedenkenträgerin zu sein - aber: Soll ich meinen Töchtern echt anraten, sich diese junge, im wahrsten Sinne "Überfliegerin" zum Vorbild zu nehmen? Die war sicher in Mathematik ein Ass und in Physik spitze. Sie hat wahrscheinlich mehrere Klassen übersprungen und es ist fraglich, ob sie eine sogenannte "normale" Kindheit hatte, mit Bäumeklettern, dem kleinen Bruder in den Hintern treten, Eisessen, bis man Bauchschmerzen hat und draußen spielen, bis es dunkel wird und erster Liebe (neben Stephen Hawking).
Ich übertreibe, ja ja, dies ist schließlich eine Kolumne. Aber Sie verstehen schon, worauf ich hinauswill, oder? Ich stelle mir einfach gerade vor, wie sehr es junge Mädchen unter Druck setzen muss, so schlau, so fokussiert und rundum klug sein zu müssen wie so ein Astronauten-Mädchen! Als Teenager, so erinnert Alyssa sich, sei es nämlich die größte Herausforderung gewesen, ihre Leidenschaft für die Raumfahrt und die schulischen Verpflichtungen unter einen Hut zu bekommen. Und der Rest?
"Als ich 15 Jahre alt war, habe ich mit der wissenschaftlichen Forschung begonnen. Regelmäßig nahm ich dabei an weltraumbezogenen Forschungsprojekten teil," sagt sie gegenüber "AII Mobility". Es sei ihr immer wichtig gewesen, einen Beruf zu wählen, der sie wirklich begeistert. "Astronautin zu werden ist für mich eine Passion, nicht nur einfach ein Beruf wie jeder andere." Das ist bewundernswert, wirklich!
Aber im Grunde genauso unerreichbar wie Kendall Jenners Karriere als Top-Model. Mir fehlt der gesunde Realismus. Muss es denn immer ein Superlativ sein? Kann nicht eine ganz normale Person mal ein Vorbild sein? Ein Mädchen, das Mechatronikerin werden möchte? Eine Frau, die einen tollen Tisch gebaut hat? Ein Mann, der gütig ist und nicht gleich ein Dalai Lama? Eine Frau, die sich nicht mit Mutter Teresa, Mutter Beimer oder mit "deiner Mudda" in einen Topf stecken lassen muss? Wo sind denn die Personen, die mir vorleben, dass es gut so ist, wie ich bin? Nicht alle können eine Kendall oder eine Alyssa sein!
Irre dünn. Oder irre klug. Oder beides.

An alten weißen Männern führt wohl auch auf dem Weg zum Mars kein Weg vorbei ...
(Foto: imago images/Aton Chile)
Und ja, wir dürfen diese junge Frau toll finden und wir wissen auch, Mathematik ist nicht nur für Jungs. Männer mögen auf dem Mond gelandet sein, Mädchen werden nun den Mars entdecken - und dabei kommen wir doch angeblich von der Venus. Wer ein echtes Vorbild sein will, in meinen Augen, der versucht in Zukunft als Erstes vielleicht einfach mal, nicht ständig zu vergleichen. Also Kendall versus Alyssa bringt uns nicht weiter. Kendall ist irre dünn, ja klar, aber doof ist sie sicher auch nicht, weil sie ja schon eine Weile ihren Supermodel-Traum lebt. Da kann man nicht wirklich dumm sein. Und Alyssa muss auch sehr schlank sein, sehr gesund, wenn sie auf den Mars fliegen will. Außerdem will sie gleichzeitig schön sein, wie man ihrem Instagram-Account entnehmen kann, ohne hellseherisch aktiv sein zu müssen.
Seien wir realistisch: Astronautin Alyssa arbeitete - und arbeitet noch - täglich hart für ihren Traum. Denn eine Reise zum Mars könnte Monate dauern und viele weitere Herausforderungen mit sich bringen. Derzeit arbeiten Wissenschaftler nicht nur daran, wie man eine Weltraummission verkürzen könnte, sondern auch daran, wie man Lebensmittel auf dem Mars anbaut, um dort über einen längeren Zeitraum zu überleben. Zudem steht noch immer die Frage im (Welt-)Raum, wie sich die Marsmission auf den menschlichen Körper auswirkt, also was ein langer Mars-Aufenthalt beispielsweise mit den Muskeln, Knochen und Organen machen wird.
Carson hat dennoch schon weitere Ziele im Auge: "Ich glaube definitiv daran, dass wir nach dem Mars noch weitere Planeten erkunden werden." Ihre Vision sei es, Weltraummissionen zugänglicher für alle zu machen. Die Idee des Weltraumtourismus sei da ein erster Schritt in die richtige Richtung. Irgendwann sollte jeder die Möglichkeit haben, ins All zu reisen. Kleiner Einwurf meinerseits: Ja, nur "think big" bringt uns weiter, aber manche würden sich schon freuen, wenn sie mal an die Ostsee oder nach Italien reisen könnten.
Ich persönlich wäre jetzt gar nicht so happy, wenn meine Töchter auf Marsmission gehen würden, ist mir zu weit, zu gefährlich, zu lange unterwegs. Sicher, no risk no fun, und auch kein langfristiger Erkenntnisgewinn für die Menschheit. Aber ich, ganz bescheiden, fände es super, wenn meine Töchter erstmal diesen Planeten hier aufräumen, bevor wir unseren Müll in weitere Fernen tragen. Wenn sie etwas dagegen unternehmen, dass andere Kinder nicht mehr hungern müssen, dass die Leute besser mit Menschen mit Behinderungen umgehen, wenn die Frage beantwortet werden könnte: "Wo entsorge ich die Batterien aus meinem Elektro-Car wirklich umweltschonend?" Und was hilft eigentlich gegen Demenz und Krebs? Wenn meine Kinder als Vorbild eine Person haben, die anderen hilft - und es dann auch tun. Wenn sie diese Welt einfach durch ihr Dasein zu einem liebenswerteren Ort machen. Dann wäre ich sehr stolz. Ich bin sehr stolz.
Einfach mal machen ...
Das alles sind keine großen Super-Ideale, für die man einen Preis bekommt, schon klar, und doch würden diese paar Ideen unsere Welt zu einem besseren Ort machen. Es scheint sehr schwer zu sein, diese Ideen in die Tat umzusetzen - sonst hätten wir es doch schon längst getan. Oder?
Ich habe den Spruch: "Jetzt lass mal die Kirche im Dorf, Sabine" schon immer gehasst. Aber ich versteh' ihn jetzt besser. Und dass ich nicht schön genug bin, das habe ich auch schon öfter gehört. Es war immer verletzend. Sollte es ja auch sein. Wer aber meint denn tatsächlich, sich anmaßen zu dürfen, über einen zu großen Hintern, zu kleine Brüste, ein nicht klassisch genug wirkendes Gesicht urteilen zu dürfen? Nur ein paar Würstchen, die dir wehtun wollen, richtig. Wenn man Würstchen mag, dann zieht man sich den Spruch eben trotzdem rein, I know.
Nun gut, ich hab's überlebt. Sicher auch, weil ich als junger Mensch noch kein Insta und Co bespielen musste. Weil ich als Baby bereits in den Zaubertrank gefallen bin. Weil mein Umfeld super war. Sorgen wir also erst einmal dafür, dass die meisten Leute so etwas von sich sagen können. Und dann fliegen wir zum Mars. Oder werden Model.
Ich wünsche ein entspanntes Wochenende, und: "Lassen Sie die Kirche vorerst im Dorf."
Quelle: ntv.de