Panorama

Die Menschenexpertinnen Im Gemüsebeet mit CDU, Grünen, Linken - und den Omas For Future

"Wir alle können etwas verändern, egal ob in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft oder in Vereinen", daran glaubt Cordula Weimann.

"Wir alle können etwas verändern, egal ob in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft oder in Vereinen", daran glaubt Cordula Weimann.

(Foto: Erwin Scheriau)

"Höher, schneller, weiter!" Mit ihren heute 65 Jahren glaubte die erfolgreiche Unternehmerin lange an das alte Wohlstandsversprechen. Doch als Cordula Weimann 2019 in die Augen ihres Enkels blickte, erkannte sie, dass sich etwas ändern muss, "damit auch er eine lebenswerte Zukunft bekommt."So gründete sie die "Omas for Future". Mittlerweile sind sie allein in Deutschland mit über 80 Regionalgruppen vertreten. In ihrem Buch "Omas for Future – Handeln! Aus Liebe zum Leben" zeigt sie nicht nur die aktuellen Probleme in den Bereichen Klimaschutz, Gesundheitspolitik und bei der Bekämpfung von Armut auf, sondern bietet einen konkreten Ausblick in die Zukunft: Wie sieht ein nachhaltiges und gesundes Morgen für Mensch und Natur aus? Wie eine lebenswertere Stadt? Zum Beispiel Berlin: "So viele andere Städte sind glücklicher als die Hauptstadt, obwohl sie alle Voraussetzungen dafür hätte, happy zu sein", so Weimann. "Und wenn man auf den Mittelstreifen des Kurfürstendamms nur ein paar 'Tiny Forests' pflanzen würde, so wie es die Bürgermeisterin von Paris getan hat, dann könnte man auch den Berlinern ihre Stadt zurückgeben", ist sie sich sicher. Paris hatte 2014 drei Kilometer Radwege,als Hidalgo antrat, und jetzt an die 1200, führt Weiman als Beispiel an. Warum hat Berlin keine Visionen, fragt sie im Gespräch mit ntv.de, und hofft, dass das "Weiter wie bisher" am Wahlsonntag endlich von einer Vision für die Zukunft abgelöst wird. "Wir müssen uns beeilen, wir hängen 20 Jahre hinterher", sagt sie und macht gleichzeitig jedoch Lust und Mut auf eine gesündere, glücklichere und zufriedenere Zukunft.

ntv.de: Die Omas for Future sind explizit für und nicht gegen etwas …

Cordula Weimann: Absolut richtig. Es ist unsere Grundhaltung, dass wir sagen, wir sind für die Zukunft, das war schon bei unserer Gründung so. Man muss sich entscheiden, ob man eine Protest- oder eine Aufbaubewegung sein möchte, denn Protest erlahmt irgendwann. Wir Menschen kommen nicht weiter, wenn wir immer nur gegen etwas sind. Wir sind für Demokratie, das ist das Wichtigste. Wir arbeiten mit anderen Gruppen zusammen, zum Beispiel mit den Omas gegen Rechts, da sind tolle Frauen dabei, mit denen wir, auch klimapolitisch, ganz viele Berührungspunkte haben. Für mich aber ist am wichtigsten, dass wir uns wieder zuhören.

Bei deinen Vorträgen, die du überall in Deutschland hältst, dürfte das ja der Fall sein.

"Lasst uns die Krise nutzen. Lasst uns selbst unser Glück, unsere Gesundheit und die Zukunft unseres Planeten in die Hand nehmen." 

"Lasst uns die Krise nutzen. Lasst uns selbst unser Glück, unsere Gesundheit und die Zukunft unseres Planeten in die Hand nehmen." 

(Foto: Wolfgang Schmidt)


Ich sage immer: In dem Moment, in dem wir wieder gemeinsam das Gemüsebeet bestellen würden, und es wäre von jeder Richtung einer dabei - CDU, BSW, AFD, eine Oma und ein Grüner, eine Linke, in dem Moment würden wir ins Gespräch kommen. Weil wir gemeinsam an einem Projekt arbeiten würden. Und dann auch noch haptisch mit unseren Händen, da findet Begegnung und Verständnis statt. Dass die Menschen AfD wählen, hat sehr viel mit Angst zu tun. Und diese Ängste gilt es zu hören. Genauso wie wir die Ängste der anderen hören müssen. Wenn ich den Menschen begegne, haben wir Gemeinsamkeiten. Wir Omas for Future gehen ganz bewusst auf die Leute zu. Wir können die Probleme ja nicht lösen, indem sie gerade alle in einzelnen Töpfen vor sich hinköcheln …

… lieber einen großen Topf nehmen?

Ja, meinetwegen. Wir brauchen ein Ziel, eine Sehnsucht, und wir brauchen einen gemeinsamen Nenner, wo wir alle hinwollen.

Dann müssten wir wohl das Land verlassen …

(lacht) Leider ja. Die glücklichsten Menschen leben in den skandinavischen Ländern. Und das liegt nicht daran, wie gern behauptet wird, dass diese Länder so klein sind oder so dünn besiedelt, es liegt daran, dass sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen.

Obwohl es da auch oft regnet und lange dunkel ist ...

Kennst du das Jante-Gesetz? Das hat jeder Däne verinnerlicht. Falls du es nicht kennst, es lässt sich mit einem Satz so zusammenfassen: "Denke nie, dass du besser bist als die anderen!" Das Gesetz von Jante beschreibt und prägt den Verhaltenskodex der skandinavischen Mentalität.

Also hygge – immer schön gemütlich?

Ja, aber auch bescheiden, sachlich, nicht protzig. Es besagt, dass man sich in Balance befinden sollte – nie zu viel oder zu wenig zu besitzen, nach Harmonie zu streben, Zufriedenheit zu erlangen. Und ich, aus der Generation der Babyboomer, bin in Deutschland aufgewachsen mit der Devise "Schneller, höher, weiter", "haben, haben, haben" und immer mehr wollen. Leistung bringen und besser sein. Wenn du gut warst, dann warst du wichtiger, und dann wurdest du vermutlich auch erfolgreicher.

Das private Streben nach mehr, das war unsere Verantwortung, und den Rest haben wir den Politikern überlassen …

Genau. Meine Einstellung war, bis vor Kurzem: Wir müssen die wirklich Guten in unserem Land fördern, wir brauchen die Elite, damit wir uns den Sozialstaat leisten können, die bringen uns nach vorne und machen uns an der Weltspitze erfolgreich. Das war 40 Jahre mein Credo. Seit ich das Jante-Gesetz verinnerlicht habe – du musst nicht denken, dass du klüger, besser, erfolgreicher, wichtiger bist – weiß ich, wie wichtig es ist, ein soziales Becken für jeden zu schaffen. In diesem Setting braucht niemand eine Ritterrüstung zu tragen, weil niemand dir ans Bein pinkeln will. Weil man dort nicht in Konkurrenz, sondern in Solidarität lebt, und tatsächlich kann sich in einem solchen Klima jeder Einzelne viel besser entfalten.

Die Schere in Skandinavien klafft weniger auseinander …

Kinder haben in Finnland das Fach Empathie, das muss man sich mal vorstellen! Da wird ihnen beigebracht, dass jeder einen Platz hat, dass jeder wichtig ist. Bei uns denken wir anders, bei uns gibt es die Besseren und die Schlechteren. Die Schlechteren verdienen oft weniger Geld, sind aber oftmals die, die mit Menschen arbeiten.

Das klingt super, vernachlässigt aber die Migrationspolitik der skandinavischen Länder, die viel strenger ist als bei uns.

Stimmt, und den Kurs kann ich auch nicht nachvollziehen, den die da durchziehen. Trotzdem kann man sich was abgucken davon, dass dort die glücklichsten Menschen leben, auch die nachhaltigsten. Und diejenigen, die die klimapolitischen Ziele der UN am weitgehendsten durchsetzen. Und sie haben die lebenswertesten Städte, weil sie nämlich Menschenstädte bauen. Nicht die Autostadt steht im Vordergrund, sondern die Menschenstadt.

Gesundheit steht ebenfalls, vor allem seit Corona, im Vordergrund der Bevölkerung. Wir machen es uns aber schwer: falsches Essen, zu wenig Bewegung, immer mehr Bequemlichkeit …

Der Mensch braucht ein Dach über dem Kopf, genug zu Essen, Bewegung, er braucht Beziehungen zu anderen und eine sinnvolle Aufgabe. Deutschland ist im World Happiness Report auf Platz 24. Deswegen ist mein Ansatz: Wir sollten uns was abgucken! Das kann doch nicht so schwer sein. In Kopenhagens öffentlichen Einrichtungen gibt es jeden Tag 80.000 Mahlzeiten, selbst gekocht, biologisch, regional, kein Convenience, keine Geschmacksverstärker, kein Zucker – und das geht, kostenneutral. Das sollten wir dringend lernen! Natürlich gibt es in den skandinavischen Ländern auch National-Parteien, aber die leugnen, im Gegensatz zur AfD, den Klimawandel nicht.

Was hättest du gern früher gewusst?

Wenn ich die Dinge, die ich jetzt weiß und jetzt wichtig finde, früher gekannt hätte, dann hätte ich vielleicht ein anderes Leben geführt. Ich glaube aber, dass mich keiner gehört hätte. Die meisten Klimaaktivisten von vor 20/ 30 Jahren, die haben aufgegeben. Weil das Credo der Wirtschaft "Konsum macht glücklich" so laut war, ganz nach dem Motto: "Geht's der Wirtschaft gut, geht's den Menschen gut". Dieser Ansatz ist zwar völlig verkehrt, aber damals sah man das eben anders.

Hat Deutschland sich für die Vergangenheit entschieden?

Ich fürchte ja. Und ich hoffe, dass es am Sonntag nicht noch tiefer in die Vergangenheit geht.

Deutschland war mal Weltmarktführer in vielen Bereichen …

Ja, wir führten die Zukunftsregatta an - doch nach 2005 wurde der Kurs geändert und auf Vergangenheit gesetzt. Und die anderen sind an uns vorbeigezogen. Aber es wäre auch okay, in der Mitte mitzuspielen. Wenn man dann sein Augenmerk darauf lenkt, als starkes Europa zusammenzuhalten.

Wir werden bedroht aus dem Osten – Krieg – und aus dem Westen – Trump: Von jemandem, der alle Brücken abbricht und aus Klimaabkommen aussteigt, der ausländische Medien in seinem Land am liebsten komplett verbieten würde und sich und seine Interessen so hoch ansiedelt, dass alles andere weggemäht wird. Dem kann man nur trotzen, indem man als Europa zusammenhält. Schaffen wir das? Und vor allem: Wo sind die Opas for Future? Die haben doch recht viel verdorben in der Vergangenheit …

ANZEIGE
Omas for Future: Handeln! Aus Liebe zum Leben
5
20,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

(lacht) Den Frauen 50plus sage ich, dass wir 28,5 Prozent der WählerInnen ausmachen, aber wir sind dennoch die Stillen, die Schweigsamen. Dabei sind WIR die Menschenexperten. Wir sind in den karitativen Berufen unterwegs. Wir waren die starke Frau hinter einem erfolgreichen Mann. Wir werden aber regiert von Finanzexperten, Wirtschaftsexperten und Juristen. Aber es werden nicht die Finanzen oder die Wirtschaft oder das Recht regiert, sondern wir Menschen, und deswegen braucht es uns Frauen! Auch hier das Beispiel der skandinavischen Länder: Dort sind 40 Prozent Frauen in Führungspositionen. Es reicht nicht eine Frau als Feigenblatt. Vor allem nicht, wenn sie sich aufführt wie ein Mann. Wir sind verantwortlich für die Zukunft – jeder muss bei sich vor der eigenen Tür anfangen - dann würde sich eine große, starke Gemeinschaft bilden können.

Das heißt, wir müssen erstmal halbe-halbe mit den Männern machen …

Ja, und dann können wir Politik für Menschen machen. Ich rufe also alle Frauen, vor allem 50plus auf, mitzumachen, denn diese Frauen haben "ihre Frau gestanden", gearbeitet, Steuern gezahlt, Kinder in die Welt gesetzt, gewählt. Auf euch und eure Expertise kommt es an!

Mit Cordula Weimann sprach Sabine Oelmann

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen