Panorama

"Abhängig vom Rausch" Die Omnipräsenz digitaler Endgeräte

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In diesem Video wird der Mensch von einer hypothetischen Artificial Intelligenz abgehängt. Eine Zukunftsvision von Jonas Lund.

In diesem Video wird der Mensch von einer hypothetischen Artificial Intelligenz abgehängt. Eine Zukunftsvision von Jonas Lund.

(Foto: Jonas Lund)

Sie sind überall, sich zu entziehen, klappt nicht. Denn wir lieben und verdammen sie gleichermaßen: TikTok, Instagram, BeReal und all die anderen Zeitfresser. Soziale Medien sind immer verfügbar, haben Suchtpotenzial. In Erfurt beleuchtet die Ausstellung "BE.LIKE.ME. Social Media und ich." diese Welt der Versuchung.

Abends flimmern Smartphones am liebevoll gedeckten Tisch. Im Wohn- und Schlafzimmer kommen Computer, Tablet und TV hinzu. Lediglich die digitalen Geräte erhellen die Räume. Immer wenn ein Mensch sie benutzt, geht - bing - ihr Licht an. Auf den Fotografien, die das ewige Einerlei zeigen, fehlen die Menschen. Die Omnipräsenz digitaler Endgeräte macht Maria Mavropoulou auf den ersten Blick deutlich. Mit ihrer klug komponierten Bilderserie ist sie eine von zwölf KünstlerInnen der in Erfurt erlebenswerten, interaktiven Ausstellung "BE.LIKE.ME. Social Media und ich.".

Die Stiftung "Welt der Versuchungen" thematisiert in der Schau das Verführungspotenzial durch Social-Media-Plattformen. Sie bestimmen seit der Facebook-Gründung vor 20 Jahren zunehmend unseren Alltag. Soziale Medien sind mit allen Höhen und Tiefen nicht mehr wegzudenken. Generationsübergreifend suchen alle etwas anderes. Der eine will Informationen oder Shoppen, der Nächste ist auf Partnersuche, sucht Zerstreuung, will Kontakt mit der Community oder ist auf der Jagd nach Likes.

Kennt jeder: Nur die Screens leuchten verführerisch im Dunkel.

Kennt jeder: Nur die Screens leuchten verführerisch im Dunkel.

(Foto: Maria Mavropoulou)

Jede und jeder hat irgendwo ein Profil, ist ständig online, kommentiert und ist doch irgendwie mit sich - und seinem Gerät - allein. Der gnadenlos personalisierte Algorithmus macht abhängig. Schließlich weiß der, was man mag, bevor man es selbst weiß. Was diesen Mechanismen zugrunde liegt, wird mit der Arbeit "YOU:R:CODE" vergegenwärtigt. Dabei bewegt man sich von einem analogen Spiegel zum nächsten Panel, der den Körper mit Kamera und Rechner dreidimensional erfasst und einen zum digitalen Objekt macht. Ein Panel weiter werden Körpergröße, Geschlecht und Ethnie berechnet. Nun wird der Körper zur digitalen Nutzeridentität - zum industriell und von sozialen Plattformen lesbaren Code. Am Ende landet man in der Zukunft, in der die eigene DNA und konstant getrackte Online-Daten verschmelzen. Letzteres ist nur eine Vision - noch.

Wir müssen reden!

Die Sonderausstellung nimmt den Umgang mit Sozialen Medien unter die Lupe. Dafür werden Wissenschaft und Kunst miteinander verschränkt. Aktuelle Forschung ist faktenbasiert. Im Fokus von Verhaltenssuchtforschenden sind hauptsächlich Likes und FOMO (Fear of Missing out). Geschickt personalisierter Content packt die User emotional. Likes gaukeln vor, dazuzugehören. Die Angst, etwas zu verpassen, wächst. Man lässt Sport oder Verabredungen sausen, kapselt sich vom realen Leben ab und beamt sich mehr und mehr in digitale Welten.

Taucht überall auf: Das Key Visual für "BE.LIKE.ME. Social Media und ich.", gestaltet mithilfe einer KI.

Taucht überall auf: Das Key Visual für "BE.LIKE.ME. Social Media und ich.", gestaltet mithilfe einer KI.

(Foto: Midjourney by Naroshka, 2024)

Die ausgewählten Kunstwerke greifen dies auf, laden zum Dialog mit sich und anderen. "Soziale Netzwerke sind auf unserem Alltag kaum mehr wegzudenken, das Smartphone ist jederzeit verfügbar. Wem schenke ich welche Aufmerksamkeit in der Familie und im Freundeskreis? Die Arbeit von Maria Mavropoulou macht darauf aufmerksam und animiert, gemeinsam über den Social-Media-Konsum zu reflektieren", sagt Susanne Rockweiler ntv.de. "Wann stört das Smartphone beim Abendessen? Was ist es mir wert, es wegzulegen?" Die Kulturwissenschaftlerin ist Kuratorin der Ausstellung. Sie leitet die Stiftung, die im Jahr 2021 gegründet wurde, seit zwei Jahren.

Ein abwechslungsreiches Programm mit Podiumsdiskussionen, Führungen oder Lesungen vertieft die Ausstellung "BE.Like.ME.". Apps wie Instagram, youtube etc. bieten Chancen, aber auch Gefahren, die suchtartiges Verhalten fördern können. Noch ist Social-Media-Sucht nicht von der WHO als Krankheitsbild anerkannt. Vorsichtigen Schätzungen zufolge sind jedoch vier bis fünf Prozent der Deutschen erkrankt. Bei Jugendlichen könnte die Zahl sogar bei acht Prozent liegen.

"Welt der Versuchungen" will über Suchtgefahren, Abhängigkeiten und Rausch in all seinen Facetten aufklären, ohne sie zu tabuisieren, stigmatisieren oder gar zu dämonisieren. Wann wird aus Alltäglichem ein Zwang, der das Leben krankhaft bestimmt? Die Fragen und Themen sind endlos, es kann um Glücksspiel, Tabak, Alkohol, Cannabis oder eben Social Media gehen.

Ist das Kyle, Kim oder Bella? KI sucht die sekundären Geschlechtsmerkmale, die Essenz der vielen Bilder ist nur scheinbar gemalt.

Ist das Kyle, Kim oder Bella? KI sucht die sekundären Geschlechtsmerkmale, die Essenz der vielen Bilder ist nur scheinbar gemalt.

(Foto: Anaïs Goupy/ Courtesy: ASPN Galerie)

In Planung ist ein Ausstellungshaus, das 2027 eröffnen wird. Der Architekturwettbewerb endet am 3. Dezember. Der Freistaat Thüringen und der Bund fördern das ambitionierte Projekt, in dem Suchtexperten, Glücksforscher, Neurowissenschaftler und Künstler mit dem Publikum zusammenkommen.

Sanfte Denkanstöße

"Sucht ist mit Vorurteilen verbunden und weitgehend ein Tabuthema", sagt Susanne Rockweiler. Sie ist der Überzeugung, dass Kunst eine Möglichkeit bietet, inmitten der Gesellschaft zu wirken und viele Menschen zu erreichen. Durch Malerei, Installationen, Skulpturen oder Videoarbeiten fühlen sich Personen, die selbst süchtig waren, angesprochen. Dank eines unkomplizierten Zugangs lassen sich Menschen auf diese komplexen Themen ein. Denkanstöße zu geben, habe eine langfristigere und nachhaltigere Wirkung als Abschreckung, die oft nur kurzfristig wirke.

Die freundliche Avatarin will nur an die Daten. TRUSTAI ist eine Arbeit zum Mitmachen von Bernd Lintermann und Florian Hertweck.

Die freundliche Avatarin will nur an die Daten. TRUSTAI ist eine Arbeit zum Mitmachen von Bernd Lintermann und Florian Hertweck.

(Foto: Catherine Leutenegger)

Wesentlicher Bestandteil des Ausstellungskonzepts sei auch die Einbindung von Schulklassen, so Rockweiler. Sie nahmen an dem Projekt "Wie geht es Dir? Social Media und du" teil. Als Antworten erarbeiteten sie ein Bild mit einem oft lyrischen Kurztext. Einige Ergebnisse werden in der Ausstellung auf Smartphones präsentiert, es ist erwünscht, selbst durchzuswipen. Die Acht- und ZehntklässlerInnen formulieren interessanterweise glasklar, dass die sozialen Medien sie über Gebühr fesseln. Aus fünf Minuten werden schnell zwei Stunden. "Es fühlt sich an, als wäre ich gefangen. Abhängig vom Rausch. Vom ständigen Dopamin, was mir das Scrollen gibt", schreibt eine Schülerin.

Die Erkenntnis: Alle sind auf den Netzwerken unterwegs, aber den Ausweg zur Nutzungsminimierung hat keiner parat. Über die Nachteile muss geredet werden. Gespräche entstehen durch Interaktion - und die ist in dieser Ausstellung besonders gefragt. Die Installation "#Sugarmacht" animiert das Publikum, sich selbst als Influencer zu inszenieren. Natürlich in stimmungsvollem Setting samt rosa Licht, Riesenbett und verspiegeltem Raum. Gemeinsam zu überlegen, wie man auf der Selfie-Bühne agiert, macht Spaß.

Wer möchte nicht einmal wie eine Influencerin agieren. "#SugarMacht" von Faina Yunusova lädt dazu ein.

Wer möchte nicht einmal wie eine Influencerin agieren. "#SugarMacht" von Faina Yunusova lädt dazu ein.

(Foto: Norbert Miguletz)

So wird die Ausstellung zum Ort der Reflexion über das Digitale Ich. Wieso schaffen wir es nicht, das Smartphone wegzulegen? Die Apps sind darauf aus, süchtig zu machen, das erschwert den Verzicht. Bei ihrem Konzert in München hat sich die Band Coldplay gewünscht, dass alle ihre elektronischen Geräte in der Tasche lassen. Der pure Genuss hat einen Song lang funktioniert. Digital Detox funktioniert in Erfurt via Kunst: Man schwingt einen in blaue Farbe getauchten Pinsel und malt eine Linie - allerdings mit geschlossenen Augen und beim Ausatmen. Und, ist es so schwer, auf das Smartphone zu verzichten?

BE.LIKE.ME Social Media und ich, bis zum 31. Oktober, Anger 28, 99084 Erfurt

Zum Katalog und mehr Informationen zu Welt der Versuchungen

Quelle: ntv.de

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