Zu laut oder "Teil der DNA"? Kuhglocken-Geläut entfacht Dorfzoff in der Schweiz
12.12.2023, 07:42 Uhr Artikel anhören
Kuhglocken sind laut - finden Zugezogene.
(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)
Eine Posse beschäftigt die Schweiz: Zwei Ehepaare wollen durchsetzen, dass 15 Kühe nachts keine Glocke mehr tragen dürfen. Die Nachtruhe sei gestört. Der Streit eskaliert flugs, es gründet sich eine Gegeninitiative, eine Abstimmung wird vorbereitet. Dabei haben die Paare inzwischen Konsequenzen gezogen.
Kühe, die mit ihren sanft bimmelnden Glocken über die Weiden ziehen, gehören zum Bild der Schweiz wie die Löcher im Käse. Doch ebenso wie die Löcher wegen der modernen Melk-Technik bedroht sind, macht das moderne Leben zunehmend auch den Kühen das Bimmeln schwer. In der Gemeinde Aarwangen in der Schweiz wollen Traditionalisten das nicht hinnehmen.
Wenn sie gewusst hätten, was sie mit ihrer Beschwerde lostreten würden, hätten sie es vielleicht gelassen: Weil sie sich vom "Lärm" der Kuhglocken gestört fühlten, wollten zwei Ehepaare aus Aarwangen durchsetzen, dass die rund 15 Kühe, die in der Nähe ihrer Wohnungen weiden, nachts keine Glocken mehr tragen dürfen.
Er sei über die Beschwerde ziemlich überrascht gewesen, sagt Aarwangens Bürgermeister Niklaus Lundsgaard-Hansen. Obwohl er selbst in der Nähe der betroffenen Weide wohnt, sei ihm gar nicht bewusst gewesen, "dass Kühe viel Lärm machen". Erst jetzt wisse er, dass sich Menschen von dem Gebimmel gestört fühlen könnten.
Pro-Kuhglocken-Initiative gegründet
Die Reaktion auf den Vorstoß der beiden lärmempfindlichen Paare war heftig. Eine Gegeninitiative zum Schutz des nächtlichen Kuhglockengeläuts wurde gestartet, die diese Frage der örtlichen Bevölkerung zur Abstimmung vorlegen will. Für einen Erfolg der Initiative hätte die Unterstützung von zehn Prozent der Stimmberechtigten in Aarwangen gereicht, etwa 380 der rund 4800 Einwohner. Tatsächlich aber kamen 1099 Unterschriften zusammen. "Das ist enorm", findet Lundsgaard-Hansen. Die Abstimmung über das Kuhglockengeläut soll nun voraussichtlich im Juni stattfinden.
Kuhglocken dienten früher einmal dazu, die Tiere auf den Almen wiederzufinden, heute gibt es dafür GPS-Tracker. Doch auf das Wahrzeichen des idyllischen Landlebens wollen nur wenige verzichten. Am vergangenen Mittwoch hat die UNESCO die Alpsaison - die von zahlreichen Ritualen begleitete jahrhundertealte Tradition, das Vieh für den Sommer auf hoch gelegene Weiden zu treiben - auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen.
Manchen Städter, der auf dem nicht zu weit entfernten Land Ruhe sucht, nerven hingegen die hörbaren Begleiterscheinungen des Landlebens. Und Aarwangen mit seinen 19 Bauernhöfen ist nur eine halbe Stunde von Bern und eine Stunde von Basel und Zürich entfernt.
"Teil der DNA der Schweizer"
Beschwerden über Kuhglocken gibt es aber nicht nur dort. Und geklagt wird etwa auch über den Lärm der Kirchturmglocken, die in vielen Schweizer Gemeinden jede Viertelstunde läuten. Derartige Beschwerden stoßen in der Regel auf heftige Gegenwehr - wie in Aarwangen: "Es geht um unsere Tradition", sagt der Urheber der Pro-Kuhglocken-Initiative, Andreas Baumann. "Die Kuhglocken sind Teil der DNA der Schweizer, und hier in Aarwangen wollen wir sie bewahren".
Unabhängig vom Ergebnis der geplanten Volksabstimmung könnten den 15 Kühen in der Gemeinde allerdings nachts die Glocke abgenommen werden, wenn die Behörden der Meinung sind, dass sie den zulässigen Lärmpegel überschreiten. Eine gerichtliche Entscheidung wird in Kürze erwartet.
Rolf Rohrbach, der eine nahegelegene Viehzucht betreibt, hat für die Probleme der Städter nur wenig Verständnis. Das sanfte nächtliche Bimmeln wiege ihn in den Schlaf, sagt er: "Ich weiß dann, dass meine Kühe zu Hause sind".
Die beiden Paare, die sich von den Glocken um den Schlaf gebracht fühlten, haben inzwischen ihre Konsequenzen aus dem Aufstand der Mitbewohner von Aarwangen gezogen: Eines der Paare hat seine Beschwerde inzwischen zurückgezogen, das zweite will wegziehen.
Quelle: ntv.de, Nina Larson, AFP