Verfahren eingestellt Loveparade-Prozess endet ohne Urteil
04.05.2020, 09:45 Uhr
Holzkreuze mit den Namen der Opfer stehen an der Gedenkstelle für die Opfer der Loveparade 2010 auf einer Treppe.
(Foto: dpa)
Fast zehn Jahre liegt die Loveparade-Tragödie zurück. 21 Menschen verloren damals durch eine Massenpanik ihr Leben. Mehrere Angeklagte müssen sich deshalb vor Gericht in einem Strafverfahren verantworten. Nun endet der Mammutprozess.
Das Landgericht Duisburg hat den Prozess um das Unglück bei der Loveparade 2010 mit 21 Toten eingestellt. Bei den drei zuletzt verbliebenen Angeklagten hatte das Gericht zuvor nur eine geringe Schuld vermutet. Eines der aufwendigsten Strafverfahren der Nachkriegszeit endet damit nach knapp zweieinhalb Jahren und 184 Sitzungstagen ohne ein Urteil.
Das Gericht benannte eine Reihe von Fehlern, die aus seiner Sicht zur Loveparade-Katastrophe geführt haben: "Die Vereinzelungsanlagen und Schleusen waren nicht auf die erwartenden Personenmengen ausgerichtet. Zäune führten zu zusätzlichen Engstellen", sagte Richter Mario Plein in Düsseldorf. "Der Stau vor den Vereinzelungsanlagen war absehbar." "Es gab keine ausreichenden Flächen für die Abwicklung der Personenströme", sagte er. "Stauungen waren vorhersehbar." Bereits um kurz nach 14 Uhr sei es am Tag der Loveparade zu ersten Problemen gekommen.
Kommunikationsprobleme hätten die Situation verschärft: Krisengespräche von Polizei und Feuerwehr seien ohne die Veranstalterin geführt worden. Die Steuerung der Personenströme sei unkoordiniert gewesen. "Unpassende Anordnungen" der Polizei hätten die Probleme verschärft. Der Funkverkehr der Polizei sei erheblich gestört gewesen. Die Polizei habe ihre zugesagte Unterstützung bei der Schließung der überlasteten Zugänge nicht erbracht, weil ihre Kräfte anderweitig gebunden gewesen seien. Im Bereich der Rampe Ost seien die Ströme schließlich zum Stillstand gekommen. Um 16.30 Uhr sei die Stimmung gekippt und eine lebensbedrohliche Lage mit Wellenbewegungen entstanden.
In dem Prozess ging es um die tödlichen Verletzungen von 21 jungen Menschen bei einem Gedränge auf der Loveparade in Duisburg im Juli 2010. Mehr als 650 Menschen wurden verletzt. Einige leiden bis heute unter den Folgen. Wegen der vielen Verfahrensbeteiligten war in einem großen Saal des Kongresszentrums Düsseldorf verhandelt worden. Zuletzt hatten noch drei leitende Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent auf der Anklagebank gesessen. Sie sind mittlerweile 43, 60 und 67 Jahre alt.
Die Verfahren gegen sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg und einen weiteren Lopavent-Mitarbeiter waren bereits vor über einem Jahr eingestellt worden, ebenfalls ohne Auflagen. Die Anklage lautete auf fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung. Die Beteiligten sollen unter anderem schwere Planungsfehler begangen haben.
Angehörige waren gegen Einstellung
Anfang April 2020 hatte das Landgericht die Einstellung des Verfahrens auch für die drei verbliebenen Angeklagten vorgeschlagen. Es begründete dies unter anderem mit zu erwartenden Corona-Einschränkungen und der absehbaren Verjährung des Tötungsvorwurfs Ende Juli. Staatsanwaltschaft und die drei Angeklagten hatten zugestimmt. Angehörige von Todesopfern sprachen sich als Nebenkläger gegen eine Einstellung aus. Ihre Zustimmung war allerdings rechtlich nicht erforderlich. Der Einstellungsbeschluss ist unanfechtbar.
Bei den drei verbliebenen Beschuldigten hatte bereits im Februar 2019 eine Einstellung gegen Geldauflage im Raum gestanden. Sie lehnten jedoch ab. Er wolle nicht auf sein Recht verzichten, freigesprochen zu werden, hatte ein Angeklagter damals als Grund angegeben. Für die übrigen drei Angeklagten ging es somit weiter - bis vor einigen Wochen das Coronavirus den Zeitplan sprengte. Nachdem zuletzt am 4. März verhandelt worden war, wurde der Prozess Mitte März unterbrochen, als eine Richterin vorsorglich unter Quarantäne gestellt wurde. Anfang April schlug das Gericht dann die Einstellung vor.

21 Menschen starben bei der Katastrophe, mehr als 650 Menschen wurden verletzt.
(Foto: imago images/Revierfoto)
Als nächstes war ursprünglich die Einführung des 3800 Seiten umfassenden Gutachtens des Sachverständigen Prof. Jürgen Gerlach geplant. Schriftlich liegt es bereits seit Dezember 2018 allen Beteiligten vor. In dem Gutachten hatte der Verkehrsexperte festgestellt, dass das Unglück schon in der Planungsphase hätte verhindert werden können. Schon im Vorfeld habe es mehrere Anhaltspunkte gegeben, dass das Veranstaltungsgelände für die erwarteten Besuchermengen nicht geeignet war.
Nebenklage-Anwalt spricht von "Desaster"
Anwälte von Nebenklägern und Angeklagten kritisierten die Einstellung des Loveparade-Strafprozesses. "Dies ist ein schlechter Tag für die Justiz", sagte Nebenklage-Anwalt Julius Reiter. "Die Art und Weise der Beendigung unter Abwesenheit des Sachverständigen, den wir nicht befragen konnten, ist ein unwürdiges Ende des Prozess."
Von einem "Desaster" sprach Nebenklage-Anwalt Rainer Dietz. Er bemängelte, dass das 3800-Seiten-Gutachten des Sachverständigen nicht mehr in das Verfahren eingeführt worden sei. Damit bleibe es vorläufig und in Zivilverfahren "juristisch stets angreifbar".
Verteidiger Volker Römermann kritisierte dagegen, dass seinem Mandanten durch die Einstellung ein fairer "Abschluss des Verfahrens durch einen Freispruch verwehrt" worden sei. Das millionenteure Verfahren hätte keinen anderen Abschluss als einen "verjährungsbedingten Freispruch" ergeben.
Quelle: ntv.de, hul/dpa