Panorama

Ringen mit EU-Wettbewerbsregeln Mamma mia, mein Strandbad ist weg!

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Ohne ihre Bagno ist für viele Italienerinnen und Italiener  ein Sommer nicht vorstellbar.

Ohne ihre Bagno ist für viele Italienerinnen und Italiener ein Sommer nicht vorstellbar.

(Foto: picture alliance / DuMont Bildarchiv)

Italiens Strandbadmodell gilt als Unikat und als Erfolgsgeschichte. Es ist für viele Gäste wie ein zweites Zuhause. Deswegen zögert man seit Jahren mit der Umsetzung der EU-Wettbewerbsrichtlinien. Jetzt gibt es aber kein "domani", morgen, mehr.

Für viele Italiener ist das Strandbad, was für andere das Stammlokal ist. Jahrein, jahraus, gehen sie, oft schon seit ihrer Kindheit, in das gleiche. In manchen Fällen waren es sogar die Großeltern, die das "Bagno" als erste entdeckten und die Tradition einführten. Dasselbe gilt für so manche Strandbadbetreiber, die die Konzession von den Eltern geerbt haben und nicht selten darüber nachdenken, diese an ihre Kinder weiterzuvererben.

Mauro Vanni ist seit Jahren Strandbadbetreiber.

Mauro Vanni ist seit Jahren Strandbadbetreiber.

(Foto: Andrea Affaticati)

"Und gerade das macht den Unterschied mit Badestränden anderswo in der Welt", meint Mauro Vanni, Besitzer eines Strandbads in Rimini und Vorsitzender der Genossenschaft Bagnini beim Treffen mit ntv.de schon im März. Er selber hat es aber nicht geerbt, sondern vor 26 Jahren den kleinen Laden, den er und seine Frau führten, verkauft und mit dem Erlös die Strandkonzession erworben.

Bei unserem Treffen waren die Vorbereitungen für die Sommersaison, die Mitte Mai startet, schon voll im Gang. Der 15 Kilometer lange Strand von Rimini, der im Sommer von Liegen und Sonnenschirmen belegt und von einem Heer urlaubsfreudiger Badegäste bevölkert ist, ruhte noch friedlich unter der ersten Frühlingssonne.

Aus Gästen wurde Familie

Herr Vanni freute sich aber schon auf den Trubel. "Ich habe Gäste, die schon so lange zu mir kommen, dass sie mittlerweile fast schon Familie sind. Das Wiedersehen ist jedes Jahr aufs Neue so etwas wie ein kleines Fest. Man erzählt sich, was sich so ereignet hat, erkundigt sich über die Kinder, die in die Jahre gekommenen Eltern. Nicht selten sitzt man auch abends zusammen, isst etwas und genießt die Sommernacht."

Die Vorbereitungen auf die neue Saison laufen schon seit März.

Die Vorbereitungen auf die neue Saison laufen schon seit März.

(Foto: Andrea Affaticati)

Rimini gehört zu den ältesten und bekannteste Urlaubszielen an der Adria. 1841 wurde hier das erste Strandbad errichtet, 1870 der Kursaal und 1908 das Grand Hotel. Damals zählte Rimini noch zu den exklusiven Badeorten. Das hat sich im Laufe der Jahrzehnte geändert, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg. Heute ist Rimini bei Familien mit Kleinkindern sehr beliebt, weil die Strandbäder alle nicht nur Spielplätze, sondern auch viel Unterhaltsames für sie organisieren, sowie bei den Jugendlichen, die von den vielen Diskos angezogen sind.

Doch die Tradition des Stammstrandbads könnte bald ein Ende haben. Schon im nächsten Jahr könnte man zu seinen Bagno da Mario, oder Bagno Stella Marina kommen und feststellen: "Mamma mia, mein Strandbad ist weg!"

Seit über einem Jahrzehnt versucht sich Italien vor der Anwendung der Bolkestein-Richtlinie zu drücken. Diese wurde 2006 von der EU-Kommission verabschiedet und regelt die "unbeschränkte, grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt", will heißen, die Konzession für einen Strandabschnitt, auf dem ein Strandbad steht, muss per öffentlicher Ausschreibung vergeben und darf nicht mehr, wie bis jetzt, automatisch erneuert werden. Außerdem dürfen an der Ausschreibung auch ausländische Interessenten teilnehmen.

Italien hat die Richtlinie zwar schon 2010 ratifiziert, es ist den jeweiligen Regierungen aber immer wieder gelungen, ihre Umsetzung hinauszuzögern. Und auch die jetzige versuchte, anhand eines Dekrets das Datum um ein Jahr auf Ende 2024 hinauszuschieben. Doch diesmal meldete sich der Staatsrat zu Wort und erklärte die Verschiebung für nichtig, während Brüssel sogar damit droht, die Auszahlung von 19 Milliarden EU-Hilfsgeldern aus dem Wiederaufbaufonds, die demnächst fällig ist, zu streichen, sollte sich Italien der Vorgabe weiter nicht anpassen. Am Donnerstag hat der Europäische Gerichtshof wissen lassen, dass sich Italien den Richtlinien anpassen muss und die Konzessionen nicht mehr automatisch bestätigen darf.

Herr Vanni kann die Diskussion um diese Richtlinie nicht mehr hören: "Immer wieder heißt es, die Strandbetreiber wollen sich nicht dem Wettbewerb stellen", sagt er. "Das stimmt aber nicht. Wir sind es leid, seit Jahren in der Ungewissheit zu leben. Was wir fordern ist ein Gesetz, das uns garantiert, sollten wir die Konzession nicht wieder zugeschrieben bekommen, die Investitionen, die wir im Laufe der Jahre gemacht haben, zurückzubekommen."

Er hat die Konzession für, umgerechnet - damals gab es ja noch die Lira - 500.000 Euro gekauft und genauso viel, wenn nicht mehr im Laufe der Jahre hineingesteckt. Es gehe ja nicht nur darum, Liegen und Sonnenschirme aufzustellen, den Gästen müsse man mehr bieten. Unterhaltung, Sportgelegenheiten und  - wenn's geht -  auch Kulturelles. So hatte sein Bad vor ein paar Jahren, zum 100. Geburtstag des Filmregisseurs Federico Fellini, der aus Rimini stammte, eine große Strandausstellung gemacht. "Das war die längste Ausstellung auf einem Strand, die je organisiert wurde", erzählt er stolz.

"Das Strandbad gehört weder dem Staat noch der EU"

Auch Alessandro Berton, Vorsitzender des Verbands Unionmare Veneto und Besitzer von Strandbädern in Jesolo, Eraclea und Lido di Venezia, teilt Vannis Meinung. "Der Strand gehört dem Staat, das Strandbad ist aber ein Privatunternehmen, das weder dem Staat noch Brüssel gehört", sagt er ntv.de. "Außerdem sollte man nicht vergessen, dass der Strandbadtourismus im Veneto jährlich an die zehn Milliarden Euro erwirtschaftet und somit die Hälfte der Einnahmen der Tourismuswirtschaft dieser Region." Anders gesagt, es sei den Strandbadbetreibern zu verdanken, dass so viele ihren Urlaub am Meer hier verbringen.

Einen weiteren Vorwurf, den Herr Vanni von sich weist, ist, dass Strandbäder Goldgruben seien und die Betreiber deswegen die Ausschreibung verwehren. Das sei "Quatsch" sagt er und beginnt während des gemeinsamen Strandspaziergangs vorzurechnen: Die Einnahmen bei einem Strandbad wie dem seinen mit 120 Sonnenschirmen würden zwischen 100.000 und 150.000 Euro liegen. Davon müsse man die jährlich anfallenden 17.000 Euro für die Strandkonzession, die Steuern, die Strandinstandhaltungs- und Müllkosten und etliches mehr abziehen. Als Nettoverdienst blieben an die 30.000, 40.000 Euro. "Wer ein kleineres Bagno führt, der kommt nur mit diesem Unternehmen nicht über die Runden, der muss sich im Winter eine andere Arbeit suchen."

Ganz anderer Meinung ist der Umweltverband Legambiente. "Wenn man bedenkt, dass das Geschäftsvolumen rund um die Sparte zwischen zwei und fünf Milliarden Euro liegt, wie aus einer Recherche der Strandbäder hervorgeht, ist es doch ein Witz, dass der Staat für die Strandkonzessionen insgesamt nur 100 Millionen Euro im Jahr kassiert", erklärt Sebastiano Venneri ntv.de.

Eine Karte hoffen die Betreiber jedoch noch in der Hand zu haben. Bis Mitte Juli sollte eine genaue Erhebung der Strandbäder erfolgen. Noch hat die Erhebung nicht einmal begonnen. In der Bolkestein-Richtlinie heißt es nämlich, dass eine Ausschreibung nur "aufgrund der Knappheit der natürlichen Ressourcen" erfolgen darf.

"In Italien sind aber nur 0,5 Prozent der Küsten von Strandbädern besetzt", sagt Herr Vanni. Auch dem widerspricht Herr Venneri. "Man darf doch nicht die 8.000 Kilometer Küste als Maßstab nehmen. Die Rede ist von den Abschnitten, die sich für Strandbäder eignen." Trotzdem ist für die Strandbadbetreiber das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Quelle: ntv.de

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