Prozess in FreiburgMaria H. lebte in der Welt ihres Entführers

Maria H. gilt fünf Jahre lang als vermisst. Offenbar geht sie freiwillig mit einem deutlich älteren Mann mit. Im vergangenen August kommt Maria zurück, der Mann, mit dem sie zuletzt in Italien lebte, steht nun vor Gericht. Er hatte Maria offenbar manipuliert, isoliert und missbraucht.
Vor sechs Jahren verschwindet die damals 13-jährige Maria H. aus Freiburg scheinbar spurlos. Ein gutes Jahr zuvor hatte sie in einem Internetchat Bernhard W. kennengelernt. Ihm hatte sie von ihren schulischen Problemen erzählt und vom Stress mit den sich trennenden Eltern. "Er hat gesagt, wenn Du weggehst, gehe ich mit", erzählt Maria H. in einem Interview mit RTL.
Erst im vergangenen August kehrt die junge Frau nach Hause zurück - fünf Jahre nach ihrem Verschwinden. Kurz darauf wird auch Bernhard H. festgenommen, in der italienischen Küstenstadt Licata, wo er zuvor gemeinsam mit Maria gelebt hatte. Dort hielt man die beiden für Vater und Tochter, doch in dem Prozess, der heute gegen H. beginnt, geht es nicht nur um Kindesentzug, sondern auch um schweren sexuellen Missbrauch. Der Anklage zufolge soll es zwischen Marias zwölftem und 15. Lebensjahr zwischen dem Mädchen und dem Mann zu sexuellen Handlungen und Geschlechtsverkehr gekommen sein.
Kontaktaufnahme mit falschen Angaben
Der mehr als 40 Jahre ältere Mann aus Blomberg in Nordrhein-Westfalen hatte sich dem Mädchen gegenüber zunächst als Teenager ausgegeben und sie dann gezielt manipuliert. Zunächst gab es heimliche Treffen, bis sich Maria vom gemeinsamen Untertauchen überzeugen lässt. Die beiden reisen nach Osteuropa, bis sie sich schließlich in Italien niederlassen. Das junge Mädchen vertraut dem wesentlich älteren Mann blind. Auch, dass sie nicht ins Internet darf, weil man sie dann sofort finden werde, glaubt sie jahrelang.
"Wenn ich nach Deutschland komme, bevor ich 18 bin, kommt er ins Gefängnis für mindestens 15 Jahre, und ich komme ins Heim", so hat H. Maria immer wieder eingeschüchtert, erzählt sie. In Italien leben der Entführer und sein Opfer vom Betteln und Schwarzarbeit. Der große Altersunterschied sei nicht besonders häufig, aber völlig normal, macht H. dem jungen Mädchen weis. Gleichzeitig suchen Marias Eltern ihr Kind, nach H. wird per internationalem Haftbefehl gefahndet. Doch das Mädchen bleibt wie vom Erdbeben verschluckt, langsam schwindet die Hoffnung der Ermittler.
"Ich bin einfach gegangen"
Die entscheidende Wende nimmt der Fall, als Maria 18 wird und ihren Namen googelt: "Dann ist mir erst bewusst geworden, wie groß die ganze Sache geworden ist und dass da nicht Gras drüber gewachsen ist." Maria H. wird klar, dass mit ihrem Namen einer der spektakulärsten Vermisstenfälle in Deutschland verbunden ist. Immer wieder wurde ihr Verschwinden in der Fahndungssendung "Aktenzeichen XY, ungelöst …" behandelt, ihre Mutter hatte mit unzähligen Aufrufen im Internet um Hilfe gebeten, um die Tochter wiederzufinden.
Plötzlich erscheint ihr die Beziehung zu Berhard W. in einem neuen Licht. Sie entschließt sich zur Flucht. "Ich habe gewartet, bis er arbeitet, damit ich mich nicht mit ihm konfrontieren muss, und bin einfach gegangen." Marias Vater holt sie in Mailand ab, zurück in Deutschland sagt sie bei der Polizei aus. Kurz darauf wird Berhard H. festgenommen, er schweigt.
Nur langsam gelingt es der jungen Frau, sich aus dem Gedankengebäude zu lösen, das der Mann aufgebaut hatte, um sie zum Bleiben zu bewegen. "Jetzt verstehe ich langsam, dass er es hätte besser wissen müssen", sagt die 18-Jährige rückblickend. Sie wird, ebenso wie ihre Mutter in dem Prozess als Nebenklägerin auftreten.
Dann werden auch die zahlreichen Missbrauchstaten zur Sprache kommen. Ein psychiatrischer Sachverständiger soll im Auftrag des Gerichts prüfen, ob für den Angeklagten aus medizinisch-psychiatrischer Sicht Sicherungsverwahrung möglich ist. Ein Urteil könnte Ende Juni fallen. Bei Kindesentzug drohen laut Strafgesetzbuch den Angaben zufolge bis zu fünf Jahre - in schweren Fällen bis zu zehn Jahre - Haft. Hinzu kommt die mögliche Sicherungsverwahrung. Maria H. geht inzwischen wieder zur Schule. Ihre Mutter sagte RTL: "Ich habe mein Kind wieder. Welche Strafe wäre gerecht? Es gibt keine."