Gleichgültigkeit trifft Wahn"Serienmörder haben das Gefühl für ihre Umgebung verloren"
Von Anna Kriller
Serienmörderinnen und Serienmörder schockieren mit ihren grausamen Taten und fesseln gleichzeitig die Öffentlichkeit. Doch was verbindet Täter wie Ted Bundy, Charles Manson und Jeffrey Dahmer? Kriminalbiologe Mark Benecke über die Psyche von Serienkillern.
Sie jagen, foltern, vergewaltigen und töten ihre Opfer, essen sie teilweise sogar - und das reihenweise: Serienmörderinnen und Serienmörder faszinieren, und das nicht erst, seit True-Crime-Podcasts die Spotify-Charts anführen und Netflix Dokuserien aus den Horrortaten von Ted Bundy oder Jeffrey Dahmer macht.
Wie sehr die schockierenden Fälle rund um Serienmorde der vergangenen Jahrzehnte Menschen weiterhin in ihren Bann ziehen, zeigt die wegen hoher Nachfrage kürzlich verlängerte Ausstellung "Serial Killer" in Berlin. Hier erhalten Besucher seltene, wissenschaftlich fundierte Einblicke in die Arbeit internationaler Ermittlungsbehörden sowie psychologische Hintergründe zu den Täterinnen und Tätern. Kuratiert wurde die Ausstellung unter der Leitung von Forensiker und Kriminologe Dr. Mark Benecke. Sein Ziel: die Mechanismen hinter schweren Gewaltverbrechen zu ergründen, denn: "Wenn wir Serienmorden vorbeugen wollen, müssen wir die Täterinnen und Täter verstehen".
Blickt man beispielsweise auf die Serienmörder Jürgen Bartsch, Charles Manson und Ted Bundy, scheint es - abgesehen vom schlussendlichen Tod ihrer Opfer - keine allzu großen Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihres Vorgehens und ihrer Motivation zu geben: Während der deutsche "Kirmesmörder" Jürgen Bartsch in den 1960er Jahren vier Jungen missbrauchte und sie anschließend tötete, gab der Sektenführer Charles Manson im Sommer 1969 offenbar lieber Morde bei seinen Anhängern in Auftrag. Der charismatische Serienmörder Ted Bundy täuschte sein Umfeld jahrelang und konnte so zwischen 1974 und 1978 mindestens 30 junge Frauen in mehreren US-Bundesstaaten ermorden.
Was also verbindet sogenannte "Serienmörder", abgesehen von dem Begriff selbst? "Serienmörderinnen und Serienmörder haben das 'gute Gefühl' für ihre Umgebung verloren", sagt Mark Benecke im Vorwort zur "Serial Killer"-Ausstellung. "Sie sind einsam, jedoch nie verrückt. Sie können klar und ehrlich sein in dem, was sie zu wollen glauben - zu sich und zu anderen. Doch sich unsozial ausprägende Persönlichkeitsstörungen plus Geradlinigkeit: Das ist eine fiese Mischung."
"Sie erleben schöne Momente nur mit Opfern"
Dass es überhaupt zu diesem Verlust des Gefühls für die Umgebung kommen könne, sei bereits im Gehirn von Serienmörderinnen und Serienmördern angelegt, erklärt Benecke im Interview mit ntv.de. "Da sie nicht den Schutz einer liebevollen Umgebung als Kind erfahren, 'blüht' ihre unsoziale Persönlichkeit vollends auf: Sie denken nur an sich, fühlen nur für sich. Andere sind bloß 'für sie' auf dieser Welt. Da die Täterinnen und Täter bindungsgestört sind, wird es nicht besser: Sie erleben keine schönen Momente gemeinsam mit anderen, sondern nur mit Opfern."
In seinem Vorwort zur "Serial Killer"-Ausstellung nennt Benecke dazu ein Beispiel: "Wie sehr die Täter mehr als alles andere beziehungsgestört sind, zeigt sich am deutschen Jungenmörder Jürgen Bartsch. Er hatte Kerzen nicht etwa stets im Gepäck, um seine Opfer zu foltern. Nein, Bartsch wollte seinen Opfern ein Lichtlein in der Dunkelheit gegen ihre kindliche Todesangst geben. Bei den Befragungen wollte Bartsch zunächst nicht zuzugeben, seine Opfer geküsst zu haben oder gar nekrophil zu sein, bis die Bindungsstörung ungewollt aus ihm herausplatzte: Er hatte sich sehr wohl an den Leichen der von ihm zu Tode gefolterten Kinder zu schaffen gemacht, aber nur, weil diese Art der schlimmst möglichen Bindung für ihn so unendlich angenehm war. Er wollte den für ihn schönen, befreienden und beruhigenden Moment genießen."
Der Grundstein für die gestörte Persönlichkeit von Serienmörderinnen und Serienmördern werde bereits früh gelegt. "Alles im Gehirn verändert und entwickelt sich in der Kindheit und Jugend, auch durch die Umgebung: Die Nerven werden beim Wachstum je nach Erbgut und Erfahrungen mit der Umwelt 'verdrahtet'", sagt Benecke. Die für Serienmörderinnen und Serienmörder typischen selbstbezogenen und unsozialen Persönlichkeitsmerkmale seien also von Anfang an da, können aber auch durch gute Erfahrungen abgeschwächt werden. Es gebe laut dem Kriminologen zum Beispiel auch Berufe, in denen Menschen mit diesen Merkmalen arbeiten können: "etwa als knallharter Boss in einem durch und durch gruseligen Arbeitsfeld".
Das passt auch zum Unrechtsbewusstsein von Serienmörderinnen und Serienmördern. Sie haben es Benecke zufolge zwar, es sei ihnen aber völlig egal. "Unrecht gegen andere wirkt nicht unangenehm auf sie, es hält sie nicht vom Lügen, Töten, Brandschatzen oder Foltern ab." In Gesprächsaufzeichnungen etwa mit Ed Kemper, Richard Ramirez, Luis Garavito oder Jeffrey Dahmer lasse sich dies gut erkennen. "Die Täter reden darin ganz ehrlich, solange sie möchten, und beschreiben sachlich, wahr und manchmal sogar mit einem gewissen Staunen, was sie so alles 'geschafft' haben." Unaussprechliche Handlungen werden dabei fast alltäglich und selbstverständlich geschildert. "Das ist vermutlich auch der Hauptgrund, warum sie so gehasst werden."
Dieser Hass dürfte den meisten Serienmörderinnen und Serienmördern allerdings völlig egal sein. Etwas, das diese laut Benecke nämlich ebenfalls gemeinsam haben, sei zum einen "eine vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber dem, was ihre Opfer fühlen und wünschen". Und zum anderen - und da wird ihnen die Faszination der Öffentlichkeit vermutlich gut gefallen - "glühender Größenwahn".