Panorama

Timo Ulrichs zu neuer Variante "Mutationen können das Virus fitter machen"

Der Epidemiologe Timo Ulrichs - hier im Gespräch mit ntv-Moderatorin Katrin Neumann - ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

Der Epidemiologe Timo Ulrichs - hier im Gespräch mit ntv-Moderatorin Katrin Neumann - ist Professor für Medizin, Mikrobiologie und Katastrophenhilfe an der Akkon-Hochschule in Berlin.

Eine neue Coronavirus-Variante aus Südafrika erregt Aufsehen. Noch ist wenig gewiss, Epidemiologe Timo Ulrichs schildert im ntv-Interview, was das bedeuten könnte: "Wir müssten nötigenfalls ganz von vorne anfangen mit dem Impfen", sagt er.

ntv: Es gibt eine neue Virusvariante, die ungewöhnlich viele Mutationen haben soll. Was bedeutet das?

Timo Ulrichs: Je mehr Mutationen da sind, desto mehr hat sich das Virus in der Oberfläche verändert oder kann sich verändert haben. Eine Konsequenz wäre, dass das Immunsystem nach dem Training durch die Impfstoffe, die wir bisher auf dem Markt haben, nicht mehr so gut vorbereitet ist auf dieses neue Virus. Das heißt, wir müssten nötigenfalls ganz von vorne anfangen mit dem Impfen. Und das andere ist: Diese Mutationen können auch dazu beitragen, das Virus fitter zu machen, was die Übertragbarkeit angeht und möglicherweise auch das Auslösen der Erkrankung. Dazu haben wir aber noch keine gesicherten Daten, das müssen wir erstmal abwarten. Bisher ist diese Variante tatsächlich erstmal aufgetaucht, aber inwiefern sie in der Lage ist, die anderen Varianten, insbesondere die Delta-Variante, zu ersetzen oder zu verdrängen, das kann man noch gar nicht abschätzen. Alle diese drei Auswirkungen sind natürlich genau zu beobachten. Vor allen Dingen, ob sie eben auch ganz anders aussieht und ob sie in der Lage ist, sich durchzusetzen gegenüber der Delta-Variante.

Diese Diskussion hatten wir bei allen Varianten. Die sind aufgetaucht und dann hieß es: "Wir wissen aber noch gar nicht, ob sie zu uns kommt." Dann waren sie aber ganz schnell bei uns. Was müssen wir denn jetzt tun?

Es gab auch andere Varianten, von denen man auch schon mal erwartet hatte, dass sie sie durchsetzen, beispielsweise eine, die in Peru aufgetreten ist. Das hat sich dann aber glücklicherweise nicht bewahrheitet. Wir können jetzt erstmal wenig unternehmen. Aber eine Sache sollten wir auf jeden Fall tun: Vorsorglich die Kontakte in das südliche Afrika reduzieren. Wir können jetzt überhaupt nicht gebrauchen, dass wir in der augenblicklichen Situation mit der drohenden Überlastung unseres Gesundheitswesens noch eine weitere Variante hier einschleppen, die uns das nochmal in das nächste Jahr hinein verlängert und möglicherweise noch für eine ganz neue Konstellation sorgt: Dass eine ganz anders aussehende Variante kommt, uns wieder auf null setzt und wir dann auch mit der Entwicklung der Impfstoffe wieder von vorne anfangen müssen. Das sollte - sollte es sich bei einer neuen Variante um so etwas handeln - möglichst stark verzögert werden.

Es scheint so, dass es mit mehr Varianten auch mehr Mutationen gibt. Ist das so? Und was bedeutet das für zukünftige Varianten?

Je mehr Viren auf der Welt zirkulieren, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich einfach mal neue Mutationen so zusammenfinden und dann eine neuere, fittere und auch ganz anders aussehende Variante hervorbringen. Und davor sollten wir uns hüten. Deswegen wäre eine Maßnahme, dieses Risiko zu verhindern, indem wir die zirkulierende Virusmenge durch weltweite Impfungen reduzieren. Wir sollten unseren Impfstoff auch dahin bringen, wo die Länder sich das nicht so leisten können und die Viren noch in großer Menge zirkulieren. Leider, muss man sagen, ist das jetzt auch bei uns der Fall. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn auch in Deutschland, angesichts der großen Virusmengen, die hier zirkulieren, sich auch neue Varianten entwickeln können.

Das ist aber schon ein heftiges Szenario: eine Variante, gegen die die Impfstoffe nicht mehr wirken. Was muss man da erwarten?

Wenn jetzt was ganz Neues kommt, dann können wir darauf nur antworten, in dem wir möglichst schnell die Impfstoffe anpassen. Das geht ja glücklicherweise bei den mRNA-Impfstoffen recht zügig, was die Entwicklung angeht, aber auch die schnelle Vervielfältigung und Produktion. Da sind wir etwas besser aufgestellt als mit den konventionellen Impfstoffen.

Laut Forsa-Umfrage sind rund 70 Prozent der Menschen unzufrieden mit den Corona-Beschlüssen der Ampel-Koalition. Wie ordnen Sie ein, dass sich die Koalition noch mehr als eine Woche Zeit gibt, um die Lage zu sondieren?

Zu den 70 Prozent gehöre ich auch. Das ist jetzt nämlich nicht so die Zeit, um noch abzuwarten. In dieser Phase, wo die alte Bundesregierung noch geschäftsführend im Amt ist und die neue noch nicht vereidigt, hat das Virus leichtes Spiel, weil eben wenig bis gar nichts passiert. Und wir haben wieder die Situation, dass Bund und Länder immer aufeinander verweisen und dann passiert da wenig. Das hatten wir schon einmal vor etwa einem Jahr, als die Ministerpräsidentenkonferenz getagt hat und von der Bundesebene vehement darauf hingewiesen wurde, dass man in einen Lockdown gehen müsse. Und sie haben es einfach nicht gemacht. Dann gab es diese starken Anstiege in die zweite Welle hinein und jetzt haben wir eine ähnliche Situation, die noch gravierender ist, jedenfalls was die Zahl und Höhe der vierten Welle angeht. Und wieder passiert nichts. Es ist eben die Verantwortung der Exekutive, jetzt stringent etwas zu tun und das auch flächendeckend über ganz Deutschland. Das heißt, die Bundesebene ist gefragt. Wenn man dann auf die Länder verweist, weil ja Katastrophenschutz und Gesundheit Ländersache seien, dann kommen wir hier nicht weiter. Wir brauchen wieder das, was eigentlich abgeschafft worden ist, nämlich eine Kompetenzkonzentration auf der Bundesebene, um jetzt stringent zu sagen, was gemacht werden muss: Und das ist eben leider eine Maßnahme, die massiv die Kontakte reduziert, bis hin zu einem Lockdown.

Mit Timo Ulrichs sprach Katrin Neumann

Quelle: ntv.de

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