Mann stach Kumpel fast blindNeuneinhalb Jahre Haft für "bizarre Tat"

Die Brutalität der Tat schockiert selbst die Richterin: Ein Flüchtling aus Eritrea sticht mit zwei Messern auf seinen Bekannten ein - verletzt ihn im Gesicht, an Hals und Augen. Wegen versuchten Totschlags muss er nun lange in Haft. Sein Motiv bleibt dennoch rätselhaft.
Eine Erklärung für die grausame Tat gibt es auch nach Prozessende nicht: Weil er einem jungen Mann das Gesicht verstümmelt hat, ist ein Angeklagter vom Hanauer Landgericht zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der Mann nahm das Urteil äußerlich regungslos zur Kenntnis. Die Richterin sprach von einer "brutalen und bizarren Tat".
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Flüchtling aus Eritrea einen befreundeten 18 Jahre alten Flüchtling aus Somalia bei einem Besuch in dessen Wohnung im Oktober 2016 in Schlüchtern attackiert hat. Er habe ihm mit zwei Messern in den Hals gestochen und anschließend die Augenlider und Teile der Ohren abgetrennt. Auch die Augäpfel wurden massiv verletzt, das Opfer ist seither nahezu blind.
Verurteilt wurde der Angeklagte nicht wie ursprünglich angeklagt wegen versuchten Mordes, sondern wegen versuchten Totschlags und schwerer sowie gefährlicher Körperverletzung. Die Mordmerkmale Heimtücke und Grausamkeit seien durch den angenommenen Tathergang juristisch nicht gedeckt, erklärte das Gericht. Richterin Susanne Wetzel räumte aber ein, dass das Geschehen nach dem Laienverständnis ganz sicher grausam gewesen sei.
Motiv des Täters gibt Rätsel auf
Was einen Menschen zu solch einer Tat antreibt, blieb bis zum Ende unklar. Die Staatsanwaltschaft hatte zu Prozessbeginn einen Streit um Geldschulden angenommen. Doch diesen Grund wie auch andere Erklärungsversuche hielt das Gericht nicht für glaubhaft. Der Angeklagte schwieg bis zuletzt zu den Tatvorwürfen. Das Opfer hatte sich nach mehreren Krankenhausaufenthalten in die Schweiz abgesetzt, blieb dem Prozess fern und wollte nichts zur Klärung beitragen.
Am Donnerstag meldete sich der Angeklagte das erste Mal über seinen Anwalt zu Wort. An die vorgeworfenen Taten könne er sich nicht erinnern, hieß es in einer Erklärung. Wohl aber, dass er zuvor mit dem 18-Jährigen in dessen Wohnung Playstation gespielt habe. Das spätere Opfer habe gewonnen, ihn ausgelacht und beschimpft. Der Dolmetscher übersetzte die Schmähung mit dem Wort "Depp". Staatsanwaltschaft und Nebenklage hielten diese Darstellung als Erklärung für das spätere Tatgeschehen für unglaubwürdig.
Angeklagter schummelte sich jünger
Kriminologen rätseln über den Fall. "Das sind schon archaische Methoden", sagt der Wiesbadener Kriminalpsychologe Rudolf Egg. Die Tat wirke animalisch. Der Direktor der Kriminologischen Zentralstelle, Martin Rettenberger, sagte in Wiesbaden: "Ein rationales Nachvollziehen dieses Gewaltexzesses ist nicht möglich." Eine Geldforderung könne dieses "extreme Ausmaß" an Brutalität nicht erklären. Ein psychiatrisches Gutachten ergab, dass der Angeklagte womöglich unter einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung leide.
Unbeantwortet blieb auch die Frage nach dem exakten Alter des Angeklagten. Laut einem Altersgutachten ist er 26 Jahre alt oder älter. Er hatte angegeben, 20 Jahre alt zu sein. Somit kam nicht mehr Jugend-, sondern Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung. Ein Zeuge hatte ausgesagt, dass der Angeklagte auf der Flucht bei Behörden ein jüngeres Alter angegeben habe, um sich Vorteile im Asylverfahren zu verschaffen.