Neustart beim Dating "Niemand muss für eine Partnerschaft perfekt sein"


Ob per App oder im richtigen Leben, wer die Liebe sucht, sollte prinzipiell bereit sein, sie zu finden.
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Wer ungewollt Single ist oder sich beim Daten immer wieder in derselben verzwickten Situation wiederfindet, muss laut Dating-Coach Stella Schultner einen Grundsatz befolgen: sich treu bleiben. Das ist nicht so schwer, wie es klingt.
Nur schlechte erste Dates, das Ende einer Beziehung oder sogar der Tod des geliebten Menschen - ungewollt Single zu sein, kann die unterschiedlichsten Gründe haben. Viele wünschen sich zwar einen Partner oder eine Partnerin an ihrer Seite, scheuen sich aber davor, die Suche anzugehen. Je länger die Zeit ohne Dates oder Beziehung ist, desto schwieriger wird es, sich wieder auf das Abenteuer einzulassen. Und je mehr Misserfolge in der Vergangenheit, desto weniger ist man überzeugt, dass es dieses Mal anders wird. Ist der Wunsch nach dem passenden Menschen aber beständig oder wird mit der Zeit sogar größer, bleibt der Neustart beim Dating ohne Alternative.
"Normalerweise entsteht in uns irgendwann das Gefühl, dass wir wieder bereit dafür sind. Manchmal lernt man aber auch jemanden kennen, der Interesse in uns entfacht, obwohl wir nicht danach gesucht haben. Selbst wenn diese Person nicht verfügbar ist, weiß man, dass man bereit für die Partnersuche ist", erklärt Stella Schultner, Psychologin und Dating-Coach in München. Sie hilft ihren Klientinnen, selbstbewusst und überlegt zu daten, um schließlich den passenden Mann zu finden.
In Deutschland ist etwa jeder Dritte zwischen 18 und 69 Jahren alleinstehend. Das ergab eine Umfrage des Dating-Portals Elitepartner vergangenes Jahr. Bei den unter 30-Jährigen ist sogar jeder Zweite allein - damit aber nicht immer unglücklich. Doch auch wenn der Wunsch nach einer Partnerschaft groß ist, verschieben viele den Neustart, etwa aus Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben oder dem aktuellen Aussehen.
Suche nach dem Retter in der Not?
"Niemand muss perfekt sein oder ein perfektes Leben führen, bevor er eine Partnerschaft eingehen kann. Auch an der Seite eines geliebten Menschen kann man wachsen", sagt Schultner. Grundsätzlich gelte aber: "Je mehr wir uns und unser eigenes Leben mögen, desto weniger sind wir anfällig für Abhängigkeiten, Bedürftigkeit oder Verlustängste." Umso besser könnte man dann auch mit Rückschlägen umgehen, ohne gleich an sich selbst zu zweifeln.
Aber auch wer auf den Retter in der Not hofft, mit dem alle Probleme verfliegen werden, sollte vorsichtig sein. Steckt man in einer Lebenskrise, kann ein neuer Partner laut der Dating-Expertin zwar zu mehr Klarheit verhelfen, Probleme lösen sich damit aber nicht auf und können sich sogar negativ auf die neue Beziehung auswirken. "Je stabiler und glücklicher das eigene Leben ist, desto stabiler und glücklicher sind auch die eigenen Beziehungen", sagt sie.
Beim Neustart sollte man deshalb auch darauf achten, dass Verletzungen aus der Vergangenheit verarbeitet sind und die Partnersuche nicht nur eine Ablenkung von einer Trennung ist. "Das wäre unfair gegenüber der Person, die ich treffe. In der Situation könnte ich einen Menschen, der eigentlich zu mir passt, gar nicht so richtig annehmen oder ich bringe alte Probleme in die neue Beziehung mit", erklärt die Expertin.
Immer die gleichen Erfahrungen?
Um den Blick für die Zukunft zu schärfen, sollte man zunächst in die Vergangenheit schauen, vor allem, wenn sie besonders enttäuschend oder schmerzlich war. Zentrale Fragen sind: Was war gut oder eher schlecht in der letzten Beziehung? Gibt es Dinge, die sich wiederholen? Warum mache ich immer die gleichen Erfahrungen oder suche mir dieselben Menschen aus? "Über unser Liebesleben und unsere Beziehungen zu reflektieren, kann sehr hilfreich sein. Gerade wenn man etwas nicht mehr erleben will, sollte man sich dem bewusst werden und das als klaren Vorsatz formulieren, zum Beispiel, wenn man keine Affäre mehr mit einem vergebenen Mann haben will", erklärt die Dating-Coachin.
Auch hinterfragen sollte man das eigene Bild von Liebe und Beziehung und wie dieses in der Kindheit geprägt wurde. "Wir übernehmen häufig das, was uns von unseren Eltern vorgelebt wurde oder wir wollen genau das, was es in der Kindheit nicht gab", so Schultner. "Die Bindung, die wir als Kind zu den Eltern hatten, kann uns auch heute noch beeinflussen." In der Psychologie wird allgemein vom inneren Kind gesprochen, das aus den frühen Bindungserfahrungen entsteht. Wer in seiner Kindheit wenig Sicherheit oder Liebe von den Eltern bekommen hat, sucht sich unterbewusst Partner aus, die ebenfalls wenig Stabilität bieten.
Doch selbst trotz glücklicher Kindheit geraten manche immer wieder in Heiß-kalt-Begegnungen, bei denen man geradezu süchtig werden kann. "Durch das Auf und Ab in der Beziehung warte ich immer wieder auf ein Hoch, das mich belohnt. Das macht es schwierig, da rauszukommen. Dann ist es wichtig, mit mir selbst streng zu sein und mich dem zu entziehen, obwohl ich mich hingezogen fühle", erklärt Schultner, "denn eigentlich will ich Ruhe, Sicherheit und Stabilität und nicht mehr das Hin und Her."
Es hilft, sich klarzumachen, dass der Mensch, der einen nicht will, nicht der richtige Partner sein kann. Zur Reflexionsaufgabe gehört auch eine umfassende Sicht auf die eigenen Probleme, an denen man arbeiten sollte, um eine erfolgreiche Partnerschaft führen zu können. Wer in stressigen oder herausfordernden Situationen eher impulsiv reagiert, kann lernen, eigene Emotionen besser zu regulieren, damit es in Zukunft nicht den Partner trifft.
Standards sind elementar
Auf einen Grundsatz legt Schultner in ihrem Coaching besonders viel Wert: "Ohne Standards hat Dating keinen Sinn." Als Standards bezeichnet sie Wünsche, die der künftige Partner auf jeden Fall mitbringen muss und die nicht verhandelbar sind. Das können Werte, Einstellungen, Lebensziele oder auch politische Ansichten sein. Drei bis fünf Standards sollte laut der Psychologin jeder festhalten, bei 20 bis 30 davon wird es aber schwierig.
"So viele Standards kann niemand erfüllen. Oft ist das ein Zeichen dafür, dass sich die Person vor Nähe schützen will. Dann muss man schauen, wie man manche Ansprüche abbauen kann", erklärt die Psychologin. Mögliche Standards wären eine monogame Beziehung, ein Kinderwunsch, Ehrlichkeit oder auch Pünktlichkeit, wenn man etwa gemerkt hat, dass das in der letzten Partnerschaft immer wieder ein Problemthema war.
Standards bilden sich oft aus schlechten Erfahrungen heraus und verdeutlichen, was man auf keinen Fall mehr will. Sie helfen dabei, beim Daten nicht wieder einer großen Anziehung zu verfallen, wenn der Mensch eigentlich nicht passt. Legt man Standards fest, hält sie aber dennoch nicht ein, führt es womöglich wieder zu Erfahrungen, denen man entgehen wollte. "Wenn ich eine Person entgegen meinen Standards weiter treffe, hintergehe ich mich und verletze mich auch selbst. Bevor ich unglücklich bin, verlasse ich lieber den Menschen und bleibe mir und meinen Werten treu." Letztendlich schafft man so auch Platz für etwas Neues, das wirklich passt.
Kennenlernen auf gesunde Weise priorisieren
Aber wo findet man das? Schultner ist auch für die Vermittlungsseite Parship als Expertin tätig und empfiehlt ihren Klienten weiterhin Dating-Apps. Der Vorteil daran sei für sie, dass die Menschen dort auch jemanden kennenlernen wollen und verfügbar sind - anders als im Offline-Leben wie etwa einer Bar, wo man das erst herausfinden müsste.
Wer von Dating-Apps abgeschreckt ist, sollte sich laut der Expertin vorhalten, dass sich die Menschen dort anders verhalten als im echten Leben. Ghosting oder anderes komisches Verhalten führen oft dazu, dass man sich selbst hinterfragt. Das sei ein Fehler, meint Schultner. "Wenn wir es nicht persönlich nehmen, ist es viel leichter zu akzeptieren, dass sich Leute nicht mehr zurückmelden. Auch wenn das öfter mal vorkommen kann, gibt es auf den Apps viele Menschen, die Interesse an einer Beziehung haben, höflich sind und auch eine Absage nett schreiben können."
Dennoch ist es aber auch möglich, im echten Leben sein Glück zu suchen - essenziell dafür: Ausstrahlung und Offenheit. Wer nur auf den Boden guckt, wird von anderen nicht wahrgenommen werden. Betritt man dagegen einen Raum mit dem richtigen Mindset, nämlich dass man es wert sei, gesehen und angesprochen zu werden, nehmen das auch andere wahr. "Wir Menschen gucken uns heute nicht mehr so richtig an. Das hat den Vorteil, dass es auffällig ist, wenn wir gucken. Über Augenkontakt können wir nonverbal Interesse signalisieren. Das heißt zwar noch nicht, dass uns jemand anspricht, der erste Schritt ist damit aber getan", erklärt Schultner. Studien belegen, dass Augenkontakt gegenseitiges Interesse anbahnen kann. Männer sprechen Frauen in Bars sogar eher an, wenn es zuvor bereits zu Blickkontakt kam.
Wünscht man sich einen Partner oder eine Partnerin, gilt es auch, ein Kennenlernen auf eine gesunde Weise zu priorisieren. Wer ehrlich zu sich ist, wird schnell herausfinden, ob eine Beziehung überhaupt Platz im Leben hat. Kann man nicht mal einen Tag am Wochenende für die geliebte Person reservieren, wird es schon schwierig. Wichtig sind neben zeitlichen Freiräumen auch emotionale Kapazitäten. "Kann ich mir auch mal ein Problem des anderen anhören? Bin ich offen für gemeinsame Veränderungsprozesse?", stellt Schultner klar. Findet man immer wieder Ausreden, warum es mit einem Treffen gerade nicht klappt, beispielsweise weil man wegen der Arbeit zu wenig Zeit oder Lust hat, priorisiert man nicht genug und vermeidet Bindung eher. "Dann muss ich mich fragen, ob ich wirklich offen bin oder ob das gerade der falsche Zeitpunkt ist", kommentiert die Expertin.
Wie langsam oder schnell der Prozess des Kennenlernens verlaufen soll, hängt immer auch vom eigenen Tempo ab. Manche präferieren es, sich anfangs fast jeden Abend zu sehen, andere haben lieber ein sehr ausgiebiges Date pro Woche. Passen die Vorstellungen von zwei Menschen nicht zusammen, kann die Kennenlernphase anstrengend werden. Wenn man oft darauf wartet, bis sich der andere meldet oder endlich wieder Zeit hat, sollte man sich fragen, ob das reicht oder gegen die eigenen Ansprüche spricht.
"Tendenziell geben wir uns in der Dating-Phase mehr Mühe als später. Wird es hier bereits schwierig oder reicht etwas nicht aus, wird das Problem später nur noch größer. Übe ich dann womöglich Druck auf den anderen aus, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt haben, führt das zu weiteren Differenzen", erklärt Schultner. Trifft man trotz Reflexion, Standards und Priorisierung immer wieder auf dieselben Schwierigkeiten oder Personen, empfiehlt sie, sich Hilfe von außen zu suchen.
Quelle: ntv.de