Blick in die Köpfe Pisa-Studie wird digital
05.12.2016, 12:24 Uhr
Für ältere Schüler sind Smartphone, Tablet und Computer nicht mehr wegzudenken.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Pisa-Studie ist in der digitalen Welt angekommen. Die Datenerhebung per Computer eröffnet Bildungsforschern neue Welten. Vergleichbar mit den Resultaten von 2012 sind die Ergebnisse jedoch nur bedingt.
Der Nikolaustag hält für Bildungsforscher eine besondere Überraschung parat. Die Ergebnisse der jüngsten, internationalen Schülervergleichsstudie Pisa, die dann vorgestellt werden, basieren erstmals auf einer digitalen Erhebung. Was banal klingt, läutet eine neue Zeitrechnung ein. Den Forschern steht künftig ein Datenvolumen neuen Ausmaßes zur Verfügung. Es liefert tiefere Einblicke in kognitive Prozesse und Lösungsstrategien und kann die Geschwindigkeit von Problembewältigung nachzeichnen.
Die neueste Erhebung stammt aus dem Jahr 2015. Dabei ging es wieder um die Kernbereiche Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz, die sich anhand einer Textanalyse messen lässt. Schülern aus 73 Staaten wurden dieselben Aufgaben vorgelegt. Aus Deutschland nahmen rund 6500 Jungen und Mädchen an 260 Schulen teil. Bei ihrer Premiere im Jahr 2000 sorgte das schwache Abschneiden der deutschen Schüler im internationalen Vergleich hierzulande für den sogenannten Pisa-Schock. Er provozierte große Aufregung in der Politik und zog die Angleichung der Bildungsstandards in den einzelnen Bundesländern nach sich. Seitdem verbesserten sich die deutschen Schüler in der Mathematik über den Durchschnitt.
Die Digitalisierung des Verfahrens soll Pisa näher an die Lebenswirklichkeit der 15-jährigen Testpersonen führen. Dort ersetzen Smartphones oder Tablets zunehmend Zeitungen und Bücher und verändern die Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen. Wichtige Prüfungen in der Schule aber finden wie vor Jahrhunderten immer noch auf Papier statt. Die federführende Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD will diese Lücke jetzt schließen. Schon vor rund zehn Jahren hat sie damit begonnen, die Digitalisierung vorzubereiten.
Interaktion mit Software
Andreas Schleicher ist Chef der OECD-Direktion Bildung und Kompetenz in Paris. Er und seine Kollegen haben Pisa vor fast zwei Jahrzehnten erfunden. Schleicher hat seitdem Schulen in über 60 Ländern besucht. "Durch das neue Verfahren wird der Test authentischer und dynamischer. Wir wollen Kompetenzbereiche erfassen, die man nur sehr schwer mit handschriftlichen Verfahren erreichen kann", sagt er. Ein Teil der Aufgaben stützt sich jetzt auf die Interaktion der Schüler mit der Software, besonders im Bereich Naturwissenschaften, der 2015 den Schwerpunkt des Tests bildete. Die Jugendlichen konnten bei manchen Aufgaben verschiedene Varianten ausprobieren und bekamen vom System eine Reaktion auf ihre Versuche. Daraus konnten sie neue Schlüsse ziehen, um schließlich ihre Antworten zu formulieren.
Durch die Interaktion mit der Software können die Forscher die Schüler künftig auf ihrem Lösungsweg begleiten und dabei besser verstehen, was in deren Köpfen vorgeht und wieso. "Das ist eine ganze neue Welt, die sich da öffnet", sagt Schleicher. Der 52-jährige Hamburger hofft auf die Gewinnung neuer pädagogischer Ansätze durch die Weiterentwicklung des Tests.
Neu ist auch, dass Fragen nicht mehr zurückgestellt werden können. Das System fordert eine sofortige Bearbeitung und registriert, wie lang ein Schüler an einer Aufgabe getüftelt hat. Jeder Mausklick wird vom System gespeichert. Bei einer Pilotstudie 2014 kam beispielsweise heraus, dass amerikanische Schüler ziemlich häufig die Maus bedienten bis zur Problemlösung, während japanische Schüler deutlich weniger klickten. Was das genau bedeutet, weiß noch niemand. Aber es gibt die Hoffnung, auch daraus irgendwann wertvolle Erkenntnisse zu gewinnen. "Es wird noch Zeit brauchen, bis wir das strukturiert verstehen. Wir befinden uns erst am Anfang dieses Weges", sagt Schleicher.
Papier gegen Computer
Im Rahmen dieser Pilotstudie wurde sowohl auf Papier als auch am Computer getestet. Dabei wurden wie übliche alle Inhalte auf ihre Tauglichkeit überprüft, um zu vermeiden, dass in unterschiedlichen Kultur- und Sprachräumen dieselben Fragen anders aufgefasst würden. Außerdem wollten die Organisatoren wissen, ob Schüler in einem bestimmten Teilnehmerland einen signifikanten Nachteil wegen des digitalen Verfahrens erleiden.
Beispielsweise weil die dort eingesetzten Computer und Bildschirme veraltet sind, und die Kinder deswegen schneller an Konzentrationsfähigkeit einbüßen. Oder weil Schüler in manchen Ländern viel weniger Zeit pro Tag in der digitalen Welt verbringen als in anderen Ländern und deshalb mehr Mühe beim Arbeiten am Computer haben oder beim Verstehen von Texten beim Lesen über digitale Medien.
In Entwicklungsländern drohten in manchen Regionen sogar Stromausfälle oder Probleme die Internetleitung stabil zu halten. Um eine Verzerrung der Resultate wegen solch technischer Risiken zu verhindern, beteiligten sich nur 58 der 73 Teilnehmerländer an der digitalen Variante der Erhebung.
Nicht unmittelbar vergleichbar
Fest steht schon vor der Veröffentlichung der Ergebnisse, dass die Studie erneut Realitäten schafft und Bildungspolitik auf der ganzen Welt beeinflussen wird. Doch Experten warnen davor, die neue Rangliste mit der aus dem Jahr 2012 direkt zu vergleichen und aus möglichen Verbesserungen oder Verschlechterungen bei der Platzierung vorschnell Schlussfolgerungen zu ziehen. "Wir müssen nicht alles, was vorher war, auf den Müll werfen. Aber wir können nicht sicher sein, was das neue Medium bewirkt", sagt Professorin Kristina Reiss von der Technischen Universität München. Reiss leitet das Zentrum für Internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB), die in Deutschland für die Durchführung von Pisa verantwortlich ist.
Der Anschluss der neuen Daten mit denen aus dem Jahr 2012 könne nicht reibungslos funktionieren, weil eine neue Form des Arbeitens hinzugefügt worden ist. Dennoch sei die Möglichkeit die Testsituation beeinflussen zu können, "ein großer Schritt nach vorn in der Kompetenzforschung." Auch wenn die Rangliste nicht unmittelbar vergleichbar sei mit der vorangegangenen, so liefert sie doch einen aktuellen Einblick in den Zustand eines nationalen Bildungssystems.
Quelle: ntv.de