Starkes Nachbeben am Mittag Rund 1500 Tote nach Erdbeben in der Türkei und Syrien
06.02.2023, 12:40 UhrAus dem Südosten der Türkei werden am frühen Morgen zwei starke Erdbeben gemeldet. Auch Syrien ist betroffen. Die Zahl der Todesopfer steigt stündlich, das gesamte Ausmaß der Katastrophe ist noch nicht absehbar. Am Mittag erschüttert ein weiteres starkes Beben die Region.
Bei der Erdbeben-Katastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind etwa 1500 Menschen ums Leben gekommen. Tausende weitere wurden verletzt. Ein Beben der Stärke 7,8 erschütterte am frühen Morgen die Südosttürkei. Am Mittag folgte dann eine fast ebenso schwere Erschütterung. In der Türkei wurden bis zum späten Vormittag laut Präsident Recep Tayyip Erdogan mindestens 912 Opfer gezählt. Mehr als 5300 Menschen seien verletzt worden.
In Syrien stieg die Zahl der Toten auf mehr als 590 Tote. Rund 1600 Menschen seien verletzt, berichteten der stellvertretende Gesundheitsminister Ahmed Dhamirijeh und die Hilfsorganisation SAMS, die in von Rebellen kontrollierten Gebieten des Landes arbeitet.
Für das Nachbeben am Mittag gab die US-Erdbebenwarte USGS die Stärke mit 7,5 an, für das erste am Morgen sogar mit 7,8. Dessen Epizentrum lag nach Angaben der örtlichen Katastrophenschutzbehörde AFAD in der Provinz Kahramanmaras nahe der syrischen Grenze. Ein weiteres Beben sei kurz darauf in der Provinz Gaziantep gemessen worden. Die Angaben zur jeweiligen Stärke gehen auseinander. AFAD und das Geoforschungszentrum Potsdam nennen für das erste Beben inzwischen den Wert 7,7. Das dänische geologische Institut teilte mit, die Erschütterungen seien sogar auf Grönland und dem dänischen Festland messbar gewesen.
Tausende Gebäude zerstört
Über 2800 Gebäude in der Türkei wurden laut Erdogan zerstört. Das Beben am Morgen sei in zehn Provinzen zu spüren gewesen, sagte Vizepräsident Fuat Oktay. Unter den eingestürzten Gebäuden sei neben Wohnhäusern auch ein Krankenhaus in der Stadt Iskenderun. In Gaziantep stürzte der Zeitung "Hürriyet" zufolge eine historische Burg ein. In der Provinz Malatya wurde eine berühmte Moschee aus dem 13. Jahrhundert zerstört.
Linken-Chefin Janine Wissler, die sich in Diyarbakir mit Vertretern der pro-kurdischen HDP-Opposition getroffen hatte, berichtete: "Ich bin aus dem Schlaf gerissen worden, es war ein sehr, sehr heftiges und langes Beben." Alle seien auf die Straße gerannt, "überall Menschen, teils nur in Sandalen, bei Minusgraden". Ganze Wohnblöcke seien zusammengestürzt.
66 teils starke Nachbeben
Vielerorts werden weiterhin etliche Menschen unter dem Schutt vermutet. Im Staatssender TRT war zu sehen, wie Menschen bei Schnee in der Stadt Iskenderun aus Trümmern befreit wurden. Auch aus den Städten Gaziantep, Sanliurfa, Osmaniye, Diyarbakir und Adana wurden Bilder gezeigt, auf denen Menschen teilweise in Decken gehüllt abtransportiert wurden.
Laut dem Innenministerium wurden Rettungsteams aus dem ganzen Land zusammengezogen. Man habe die Alarmstufe vier ausgerufen und damit auch um internationale Hilfe gebeten. Die Katastrophenschutzbehörde AFAD meldete 66 teils starke Nachbeben. Erdogan schrieb auf Twitter, "wir hoffen, dass wir diese Katastrophe gemeinsam in kürzester Zeit und mit möglichst geringem Schaden überstehen".
Auch in Syrien stürzten laut Sana in zahlreichen Städten Gebäude ein. Fotos zeigten, wie Rettungsteams Menschen auf Tragbahren wegtrugen. Der Leiter des Nationalen Erdbebenzentrums Raed Ahmed sagte laut Sana, das Beben am Morgen sei das stärkste in Syrien seit 1995 gewesen. "Wir reagieren mit allem, was wir können, um diejenigen zu retten, die unter den Trümmern liegen", sagte der Leiter der Rettungsorganisation Weißhelme, Raed Al Saleh.
Zahlreiche Länder sicherten Hilfe zu. Sogar die Ukraine erklärte sich bereit, Rettungskräfte in die Türkei zu schicken. "Eine große Zahl von Rettungskräften" könne bei der Bewältigung der Krise helfen, erklärte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bei Twitter. "Wir arbeiten eng mit der türkischen Seite zusammen, um ihren Einsatz zu koordinieren." Auch Griechenland erklärte sich trotz der schweren Spannungen mit der Türkei umgehend bereit, Rettungsmannschaften in das Erdbebengebiet im Nachbarland zu schicken. "Griechenland wird sofort helfen", kündigte der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis an.
Zehn Rettungsteams aus EU
Von ihren übrigen NATO-Partnern bekommt die Türkei ebenfalls Hilfe. Alliierte seien dabei, Unterstützung zu mobilisieren, schrieb NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Morgen bei Twitter. Er selbst sei in Kontakt mit Erdogan und Außenminister Mevlut Cavusoglu. Die Türkei bat ihre NATO-Partner um medizinische Nothilfeteams, notfallmedizinische Ausrüstung sowie Such- und Rettungsteams, die auch unter schweren Bedingungen arbeiten können. Konkret werden drei für extreme Wetterbedingungen geeignete Feldkrankenhäuser und Personal für deren Einrichtung genannt.
Auch Finnland und Schweden sprachen der Türkei ihre Anteilnahme aus. Trotz der türkischen Blockade der NATO-Anträge ihrer Länder schickten sowohl der finnische Präsident Sauli Niinistö als auch der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson Beileidsbekundungen an Erdogan, wie sie über Twitter mitteilten.
Die Europäische Union entsendet Rettungsteams in die Türkei. Nach Angaben eines Sprechers der EU-Kommission wurden bis zum Mittag mehr als zehn Such- und Rettungsteams mobilisiert, um die Ersthelfer vor Ort zu unterstützen. Sie kommen aus Bulgarien, Kroatien, Frankreich, Griechenland, den Niederlanden, Polen, Rumänien, Ungarn, Malta und Tschechien. Italien, Spanien und die Slowakei stehen zudem bereit, um ebenfalls Rettungsteams zu schicken. Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser kündigte erste Soforthilfen durch das Technische Hilfswerk an. Dazu gehören "Camps mit Notunterkünften und Wasseraufbereitungs-Einheiten", wie Faeser mitteilte.
Auch Libanon, Israel und Zypern betroffen
Im Libanon, in Israel und auf Zypern war das Beben ebenfalls zu spüren. In den libanesischen Städten Beirut und Tripoli flohen die Menschen am Morgen aus Angst vor einem Einsturz aus ihren Wohnhäusern, wie Augenzeugen berichteten. Auch am Mittag bebte in dem Land erneut die Erde.
Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr. Bei einem der folgenschwersten Beben der vergangenen Jahre kamen im Oktober 2020 in Izmir mehr als 100 Menschen ums Leben.
1999 wurde die Türkei von einer der schwersten Naturkatastrophen in ihrer Geschichte getroffen: Ein Beben der Stärke 7,4 in der Region um die nordwestliche Industriestadt Izmit kostete mehr als 17.000 Menschen das Leben. Für die größte türkische Stadt Istanbul erwarten Experten in naher Zukunft ebenfalls ein starkes Beben.
Quelle: ntv.de, ino/chl/dpa/rts/AFP