Panorama

Kultgetränk mit Ekelfaktor Sake oder das Aroma von Wolle, Kuhstall und Kellerkühle

30.12.2025, 17:12 Uhr 17A119C6-1D71-418A-B7BE-7A88F701AADE-1Von Peter Littger
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Robert De Niro kürzlich bei einer Sake-Zeremonie in Rom. Was will uns sein Gesichtsausdruck sagen? (Foto: IMAGO/Avalon.red)

Japan und seine Kultur werden immer beliebter. Nur mit dem alkoholischen Sake tun sich viele schwer - auch der Autor. Eine Annäherung an ein gewöhnungsbedürftiges, manchmal abstoßendes Nationalgetränk. Ein Tipp vorab: Man muss ihn "saken" lassen!

Japan und seine jahrtausendealte Kultur stehen hoch im Kurs. Das zeigen allein die Reisen aus Deutschland ins ferne Kaiserreich. Im letzten Jahr sind sie um ein Drittel gestiegen: auf 375.000 Besucherinnen und Besucher. Aus der gesamten Welt waren es 35 Millionen - gut fünf Millionen mehr als im Vorjahr.

Ein wichtiger Faktor für den Trend ist der schwache Yen, der Japan - bis auf viele Hotels - erschwinglich macht. Attraktiv ist außerdem die japanische Ästhetik mit ihren Formen und Farben. Dazu zählt auch die Art, wie Materialien eingesetzt und Gegenstände hergestellt und arrangiert werden. Kurz: mit japanischer Perfektion. Wer sich davon in Deutschland ein Bild machen will, sollte das Japan Museum im mecklenburgischen Schloss Mitsuko besuchen, den japanischen Garten in Leverkusen oder - Düsseldorf! Dort lebt die drittgrößte japanische Gemeinde in Europa, mit eigenen Hotels, Restaurants, Geschäften und sogar Straßenschildern.

Passt Sake zur japanischen Perfektion?

Mitten in dieser angenehm fremden, scheinbar perfekten Welt stößt man früher oder später auf ein alkoholisches Getränk, das viele schon in der Nase stört, weil es ungewohnt, manchmal regelrecht muffig riecht und das dann, nach dem ersten Schluck, am Gaumen zu brennen scheint. Wer nicht in Japan groß geworden ist, kann es leicht als sensorische Irritation empfinden. Man nippt - höflich und erwartungsvoll -, doch statt des fruchtig-sauren Trinkflusses eines Weißweins kommt etwas völlig anderes: ein strenges Aroma von heißer Wolle, Kuhstall und Kellerkühle. Dazu Umami-Noten - also etwas, das man vielleicht essen würde, aber nicht trinken.

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Wie bitte? Das ist eher Bier als Wein? Yoshiko Ueno-Müller kennt sich aus, wenn es um Sake geht. (Foto: privat)

Die Rede ist von Sake, einem oft fälschlich als "Reiswein" bezeichneten Gebräu aus Reis. Es ist nicht übertrieben, vom japanischen Nationalgetränk zu sprechen - ein Status, den selbst nüchterne Japaner noch als "Geschenk Gottes" oder "Göttertrunk" überhöhen.

Gebräu aus Schimmelpilz

Die Fremdheit macht Sake zur eigentlichen Prüfung der japanischen Genusswelt und Gastfreundschaft. Unweigerlich drängen sich Fragen auf: Wie viel Ungewohntes muss man ertragen? Baut Genuss auf Bekanntem auf oder ist er besonders groß, wenn Erwartungen gerade nicht erfüllt werden? Und warum setzt Japan, wo sogar makellose Bananen kultiviert werden, ausgerechnet mit seinem Nationalgetränk auf einen Ekelfaktor? Sake ist schließlich eine Art Bier, das mit einem gezüchteten Schimmelpilz gebraut wird. Er heißt "Koji".

Die Japanerin Yoshiko Ueno-Müller, eine ausgebildete "Master of Sake", kann (fast) alles erklären und hat zu einer "Sake Master Class" eingeladen. Gemeinsam mit ihrem deutschen Mann betreibt sie ein Handelsunternehmen für japanische Getränke. Obwohl der Absatz von Spirituosen, Wein und Bier deutlich sinkt, zeigt ihre Statistik, dass sich Sake auch in Deutschland immer besser verkauft - wohl auch aus Neugier, nachdem Sake 2024 zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

Auf die Atmosphäre kommt es an

Yoshiko begrüßt den ebenso neugierigen wie skeptischen Reporter im Hinterzimmer eines luxuriösen Berliner Restaurants. Der Krach der Straße dringt kaum durch und klingt gedämpft und leise. Die Wintersonne scheint durchs Fenster und erzeugt weiche, warme Konturen auf dem Parkett und dem Holz der Wände. Das passt zum Programm der Gastgeberin, das sie als "Sake Genuss ohne Hektik" beschreibt. Um Sake genießen zu können, komme es auf die Atmosphäre an, stellt Yoshiko klar und verspricht: "Genuss als bewusstes Erlebnis".

Das sind schöne Worte. Doch auch die harten Fakten will Yoshiko erklären: Welche Aromen entstehen durch den "Koji"-Pilz? Welche Rolle spielt das Wasser für den Geschmack? Oder warum müssen die Reiskörner zuerst abgeschliffen werden, bevor sie feucht in Koji eingelegt und später fermentiert werden? Aus ihren Antworten spricht die japanische Perfektion. Zum Beispiel: "Die Haut eines Reiskorns enthält Eiweiß und Verunreinigungen, die den Geschmack beeinträchtigen. Im Kern des Reiskorns liegt die Stärke, die sich in Zucker umwandelt, damit Alkohol entstehen kann."

Zwischen 25 und 590 Euro

In einer großen, mit Eis gefüllten Schale sind sieben Flaschen kaltgestellt. Langsam nimmt Yohsiko die erste heraus: Ein halber Liter für 23 Euro. Der Inhalt sprudelt - in der geschätzt 2000 Jahre alten Geschichte von Sake ein junger Trend: "Sparkling Sake" gibt es (wie auch Rosé Sake) erst seit 30 Jahren. Er besitzt sechs Prozent Alkohol, was wenig ist. Im Durchschnitt hat Sake 15, maximal 22 Prozent.

Was in die Nase steigt, ist unverkennbar aus einer anderen Welt. Welcher Fizz riecht schon nach Käse? Da das noch kein Genuss ist, muss es die Überwindung davor sein. Auf dem Gaumen dann Aromen von Nuss und Banane, dazu ein Litschi- und Himbeergeschmack. Und: saure Fritten von Haribo!

Es folgen sechs klassische Sake ohne Blubber. Mit unterschiedlichen Poliergraden der Reiskörner, unterschiedlichen Alkoholgraden (meistens 16 Prozent) und unterschiedlichen Preisen - von 25 bis 590 Euro pro Flasche.

Zur Pizza macht Sake viel Spaß

Der Geruch der meisten Sake bleibt fremd und gewöhnungsbedürftig, beinahe wie eine wattige Barriere, durch die man sich kämpfen muss. In den teuren Fällen setzen sich erfreulich blumige und fruchtige Aromen durch. Der teuerste Sake "Katsuyama Diamond" duftet nur noch, statt irgendwie zu müffeln, nach Rosen und Kräutern.

Am Gaumen dann ein breites Geschmacksbild, das je nach Art zwischen Obst und Umami variiert, mit Noten von Honig und Pfeffer. Das Mundgefühl ist warm und erinnert fast durchgehend an Gin, im Fall des "Masiuzumi Junmai Daigingo Special" ist es besonders cremig. Manchmal mischen sich auch Bitternoten unter die Frucht und erinnern an Wermut. Richtig gut schmecken Yoshikos Kostproben, nachdem der Kellner eine italienische Pizza mit Schinken und Rucola gebracht hat. Auf einmal trifft Japan Europa - und das Zusammenspiel ist köstlich.

Der Höhepunkt ist ohne Zweifel der Abschluss: Je mehr man schluckt, desto sanfter hüllt der Sake den Rachen ein wie eine frische, leicht salzige Spülung. Das ist ein neues Trinkgefühl!

Das Fazit: Sake entwickelt sich Schluck für Schluck. Man muss ihn vorne reinlassen, damit er hinten langsam die Kehle hinunterfließen und ihr schmeicheln kann. Nennen wir es ab sofort einfach "Sakenlassen"! Danach begleitet einen der warme Göttertrunk noch Stunden in den kalten Winternachmittag. So schmeckt japanische Gastfreundschaft.

Quelle: ntv.de

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