Ermittler rätseln bis heute So kaltblütig mordete die dritte RAF-Generation


Die Leiche von Detlev Rohwedder - der Treuhand-Chef wurde von der RAF erschossen, die Täter jedoch nicht gefasst.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Die verhaftete Daniela Klette und ihre flüchtigen Komplizen gehörten zur dritten Generation der RAF. In dieser Phase professionalisierte sich die Gruppe nicht nur, sie wurde sogar "mörderischer". Noch immer tappen die Ermittler weitestgehend im Dunkeln.
Die vermeintliche Postbotin, die am 1. Februar 1985 bei Ernst Zimmermann klingelt, ist Teil eines Exekutionskommandos. Der Vorstandschef der Motoren- und Turbinen-Union wird von seiner Frau an die Haustür gerufen, als ein Mann mit einer Maschinenpistole hervorspringt. Die beiden Attentäter fesseln das Ehepaar Zimmermann und zerren es ins Schlafzimmer. Dort stirbt der Manager durch Schüsse aus nächster Nähe in den Hinterkopf. Eine Hinrichtung.
Es ist der erste tödliche Anschlag der Roten Armee Fraktion (RAF) seit acht Jahren. Spätestens mit der Ergreifung von Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar im Jahr 1982 schien der Staat über die zweite Generation der Gruppe triumphiert zu haben. Doch plötzlich tritt eine neue Terror-Generation in Erscheinung, und mit ihr eine neue Dimension der Gewalt.
Wann und wie der Übergang von der zweiten RAF-Generation in die Dritte vollzogen wird, lässt sich nicht genau nachzeichnen. Einen strategischen Umbruch jedenfalls markiert das "Mai-Papier" von 1982. Ziel der zweiten Generation war es noch, die Gefangenen der ersten Generation freizupressen - spöttisch sprach man damals von der "Befreit die Guerilla"-Guerilla. Nun heißt es im "Mai-Papier", man wolle "einen neuen Abschnitt in der revolutionären Strategie im imperialistischen Zentrum entfalten". In Taten übersetzt, meint das: gezielter Morden, auch in Abstimmung mit Gesinnungsgenossen aus Frankreich oder Italien.
Kein Porsche 911 mehr
Und man hat aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die RAF scharte für gewöhnlich einen Zirkel aus Mitwissern und Helfershelfern um sich, zog von einer konspirativen Wohnung in die nächste. Die dritte Generation hingegen hinterlässt kaum Spuren, Fingerabdrücke werden etwa nie gefunden. Anders als ein Andreas Baader, der im auberginefarbenen Porsche 911 Targa vor der Polizei davonraste, setzt die dritte Generation auf möglichst unauffällige Fluchtwagen. Von den neun Morden sowie den versuchten Morden und Anschlägen, die ihnen zugerechnet werden, ist kaum eine Tat aufgeklärt.
Selbst die Zahl der Mitglieder liegt im Dunkeln. Die Bundesanwaltschaft geht von etwa 15 Personen aus, der harte Kern dürfte noch komprimierter gewesen sein. An welche Stelle in der Hierarchie die vergangene Woche festgenommene Daniela Klette und ihre flüchtigen Mitstreiter Burkhard Garweg und Ernst-Volker Straub einzuordnen sind, ist nicht abschließend geklärt. Das Kommando haben aber wohl Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld. Sie orchestrieren mutmaßlich eine Mordserie, bei der die Tötung von Ernst Zimmermann nur den blutigen Anfang macht.
Attentat auf US-Stützpunkt
In einer Augustnacht des Jahres 1985 begegnet der US-Soldat Edward Pimental in einer Wiesbadener Bar Birgit Hogefeld. Sie gaukelt dem 20-Jährigen laut Zeugenaussagen sexuelle Avancen vor, sodass er ihr und einem unbekannten männlichen Begleiter in ein Waldstück folgt. Am nächsten Morgen wird dort Pimentals Leiche gefunden - mit einer Kugel im Kopf und ohne Papiere.
Mit dem geraubten Truppenausweis des Soldaten passiert kurz darauf ein ebenfalls unbekanntes RAF-Mitglied in US-Uniform die Tore der Rhein-Main Air Base. Der Mann stellt das Auto auf einem Parkplatz ab, wenig später explodiert im Kofferraum eine Bombe. Zwei Menschen kommen bei dem Anschlag ums Leben, 23 werden verletzt. Wegen Beteiligung an dieser und weiteren Taten müssen Hogefeld und ihre Komplizin Eva Haule später lebenslang ins Gefängnis - es sind die bislang einzigen Verurteilungen im Zusammenhang mit der dritten Generation.
Der kaltblütige Mord an einem einfachen US-Soldaten lässt selbst unter linksradikalen Sympathisanten Zweifel am Vorgehen der RAF aufkommen. Monate später gestehen die Terroristen öffentlich einen Fehler ein - vom Kurs abbringen lassen sie sich nicht. 1986 töten sie Siemens-Vorstandsmitglied Karl Heinz Beckurts und seinen Fahrer durch einen Bombenanschlag. Im selben Jahr erschießen RAF-Mitglieder den Diplomaten Gerold von Braunmühl vor seinem Haus. 1989 reißt eine Explosion den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, in den Tod.
Schütze erschießt Treuhand-Chef
Ihren letzten Mordanschlag verübt die RAF 1991. Detlev Rohwedder, Präsident der Treuhandanstalt und damit der oberste Abwickler der DDR, steht am Fenster seiner Düsseldorfer Villa, als ihn ein Heckenschütze erschießt. Am Tatort finden die Ermittler ein Bekennerschreiben. Der oder die Täter werden, wie auch bei den vorherigen Morden, nie identifiziert.
1992 geht der Staat auf die Terroristen zu. Der damalige FDP-Justizminister Klaus Kinkel stellt etwa Haftentlassungen in Aussicht, sollten sie ihre Aktionen zurückfahren. Tatsächlich erklärt die RAF im April, dass sie ihre "Eskalation zurücknimmt". Einen großen Knall soll es aber doch noch geben: Im März 1993 detonieren 200 Kilogramm Sprengstoff an den Mauern der gerade fertiggestellten JVA Weiterstadt und beschädigen diese schwer. Die Bundesanwaltschaft geht von einer Beteiligung des Trios Klette, Garweg und Straub aus, wobei die Tat inzwischen wohl verjährt ist.
Zugriff am Bahnhof
Im Juni desselben Jahres schlägt die Staatsgewalt noch einmal zurück. Durch einen V-Mann auf die Spur gebracht, erwartet Grams und Hogefeld am Bahnhof des mecklenburgischen Bad-Kleinen die Spezialeinheit GSG9. Es kommt zu einem Schusswechsel. Grams tötet einen GSG9-Beamten und anschließend sich selbst, Hogefeld wird verhaftet. Vor Gericht spricht sie von einem "Irrweg" und fordert die übrigen Mitglieder auf, sich aufzulösen. Tatsächlich dauert es aber noch fünf Jahre, bis bei der Nachrichtenagentur Reuters ein Schreiben eingeht: "Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte", steht darin.
"Die ersten beiden Generationen der RAF waren in der Wahl ihrer Mittel nicht gerade zimperlich. Die dritte Generation der RAF ist wohl die mörderischste gewesen", bilanziert der Politologe Wolfgang Kraushaar in der "Zeit". "Sie hatte einen strikt antiimperialistischen Kurs verfolgt und dabei Repräsentanten verschiedener Machteliten aus dem Weg zu räumen versucht. Seien es Personen aus der Wirtschaft, der Politik, der Finanzwelt oder dem US-Militär."
Ihr bedachtes und professionelles Vorgehen birgt indes Raum für wilde Spekulationen. Haben Geheimdienste hinter den Anschlägen gesteckt? War gar die Stasi an der Rohwedder-Ermordung beteiligt? Stichhaltige Belege für diese Behauptungen gibt es keine. Vielmehr treibt die Ermittler bis heute um, wer von den damaligen Terroristen die Attentate ausgeführt hat - Mord verjährt schließlich nicht. Bei der Aufklärung behilflich sein könnte die jüngst verhaftete Daniela Klette. Fraglich nur, ob sie das auch möchte.
Quelle: ntv.de