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Lernen für die Welt von morgen So könnte Schule für krisenfeste Kinder aussehen

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Unterricht in der Natur, das ist nur eine Idee für nachhaltiges Lernen.

Unterricht in der Natur, das ist nur eine Idee für nachhaltiges Lernen.

(Foto: picture alliance/dpa/Lehtikuva)

Wie muss Schule sein, um Kinder fürs Leben zu wappnen? Jedenfalls nicht so wie die, die Kinder in deutschen Schulen derzeit besuchen. Dabei gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse und Vorbilder, die die Länder bundesweit nutzen könnten und müssten.

In der Corona-Krise waren Schulen in aller Munde. Müssen sie schließen oder können sie geöffnet bleiben? Wie gut funktioniert das digitale Lernen? Wie lässt es sich benoten? Und was lernen die Kinder überhaupt? Kaum waren die Schulen wieder geöffnet, kam auch die Debatte über Deutschlands Zukunftsfähigkeit im Bildungsbereich weitgehend wieder zum Erliegen.

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Verena Friederike Hasel hat dafür eine Erklärung. "Das Problem ist ein grundsätzliches in Deutschland", sagt sie ntv.de. "Aufgrund der Tatsache, dass wir Bildungsföderalismus haben, wird das Thema nie ganz oben verhandelt." Die Psychologin hat über die Herausforderungen schulischen Lernens gerade das Buch "Das krisenfeste Kind" veröffentlicht. Ihre These: "Die Schulen von heute entscheiden darüber, wie unsere Welt morgen aussieht, und ob unsere Kinder gut durch schwierige Zeiten kommen." Gut aufgestellt ist Deutschland Hasel zufolge dafür nicht. Es gebe 16 unabhängige Systeme in Deutschland, die "nicht voneinander lernen und sich auch nicht gegenseitig unterstützen".

Im Februar ergab eine Umfrage der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass die Zufriedenheit von Eltern mit Schulen in Deutschland im Laufe der Corona-Pandemie deutlich gesunken ist. 2020 waren noch 66 Prozent der Eltern mit der Schule ihres Kindes zufrieden, 2023 nur noch 43 Prozent. Viele Eltern seien ermüdet und froh, wenn es einfach irgendwie weitergehe, meint Hasel.

Von Finnland lernen

Ihr Buch ist ein flammendes Plädoyer für einen mutigen Umbau. Das Vorbild dafür ist Finnland, das bei internationalen Schulvergleichen regelmäßig Bestnoten bekommt. In den 1990er-Jahren veränderten die Finnen ihr Schulsystem radikal. Sie führten ein verbindliches Vorschuljahr ein, es folgen neun Jahre Gemeinschaftsschule, dann entweder Gymnasium mit Abitur oder Berufsfachschule.

Hasel fragte für ihr Buch den finnischen Bildungsforscher Pasi Sahlberg, woher das Land den Mut für diese einschneidenden Veränderungen genommen habe. Sahlberg antwortete, dass Finnland es mit der Angst zu tun bekommen hatte, nachdem mit der Sowjetunion der Haupthandelspartner des Landes zusammengebrochen war. Man habe in Finnland verstanden, sagt Hasel, dass man keine Bodenschätze habe, "nur Menschen". Deshalb habe man beschlossen, in diese zu investieren.

In Deutschland wiege man sich noch zu sehr in Sicherheit, dass das schon irgendwie gutgehen wird, meint die Autorin. Viele Eltern glaubten auch, dass ihre Kinder so lernen müssen, weil sie es selbst nicht anders kennen. "Seit der Schulzeit der heutigen Elterngeneration hat sich ja erschreckend wenig im deutschen Schulsystem verändert", stellt Hasel fest. Oft gebe es auch geradezu eine Gegnerschaft zwischen Eltern und Lehrern. Doch ein Kind verbringt im Schnitt 12.000 Stunden in der Schule. "Ich würde mir wünschen, dass Eltern und Lehrer sagen, wir sind die Menschen, die am dichtesten an den Kindern dran sind. Lasst uns eng zusammenstehen."

Natürlich gibt es auch in Deutschland Schulen und Lehrpersonen, bei denen man Lust aufs Lehren spürt und aufs Lernen bekommt. Am 12. Oktober wurde der Deutsche Schulpreis 2023 verliehen, 15 Schulen hatten es in die Endauswahl geschafft. Der im Mai verliehene Deutsche Lehrkräftepreis zeigt, wie Unterrichtsprojekte, Lehrkräfte oder Schulleitungen Kinder für das Lernen begeistern können.

Toast als Unterrichtsinhalt

Auch Hasel erzählt von einer inspirierenden Unterrichtsstunde. Sie beschäftigte sich mit dem Thema Bakterien. Eine Packung Toastbrot wurde zum Forschungsobjekt. Es wurden Gruppen gebildet, die Kinder fassten das Toastbrot an, mit sehr schmutzigen, normal schmutzigen, sauberen, und desinfizierten Händen. Anschließend kamen die Toastbrotscheiben in durchsichtige Tüten und wurden in der Klasse aufgehängt. "Die Kinder hatten wahnsinnig viel Spaß dabei und haben dann über mehrere Wochen hinweg beobachtet, wie die Brotscheiben nach und nach verschimmeln und welche Farben sich dabei herausbilden." Am Ende stand auch noch ein Kunstprojekt, denn über den Schimmelprozess wurde ein Film gedreht.

Bislang ist diese Art von fächerübergreifendem Unterricht in Deutschland jedoch eher die Ausnahme als die Regel. Die Lehrkraft, die die Stunde hielt, die aus Singapur stammt und dort bereits unterrichtet hatte, musste in Deutschland weitere Qualifikationen erwerben, um überhaupt wieder vor einer Klasse stehen zu können. Dabei steht Singapur bei den Bildungsvergleichen ebenfalls deutlich vor Deutschland, was auch daran liegt, dass Lehrende in dem Stadtstaat pro Woche weniger Stunden unterrichten als in vielen anderen Ländern, und dadurch mehr Zeit für Fortbildungen haben.

Auch Singapur ist klein und hat eher wenig Ressourcen, eine Parallele zu Finnland. Und auch in Singapur ist Lehrer ein sehr angesehener Beruf, der Zulauf groß, ebenso wie in Finnland. "Jeder, der nach einem aufwendigen Verfahren, das einem Assessment-Center gleichkommt, einen Studienplatz als Lehrer oder Lehrerin bekommt, wird bewundert, weil es so schwer ist. Das wäre das Ideal, wenn wir dahin kommen würden, dass der Beruf so wertgeschätzt wird, dass die Leute sich darum reißen, Lehrer und Lehrerinnen zu werden", sagt Hasel.

Methoden und Inhalte von gestern?

Vermutlich kommt Deutschland nicht um eine Reform der Lehrerausbildung herum, auch darüber wird schon seit Jahrzehnten gesprochen. Wobei Hasel die Fortbildung fast für noch wichtiger hält, als die Ausbildung. Denn sie mache aus guten bessere Lehrer. "Man könnte nach Lehrern Ausschau halten, die etwas besonders gut können und dann anderen sagen: Geh doch mal da hospitieren." Diese Hospitationen sollten wie Unterrichtsstunden ein vorgeschriebener Teil der Arbeitszeit sein. So könnten andere Lehrer und Lehrerinnen von dieser Expertise profitieren und gute Lehrer zu Bildungsbotschaftern werden.

Hasel beklagt, dass unter Bildungsexperten wenig "pragmatisch und wissenschaftlich" geschaut werde, was anderswo gut funktioniert. Das Gutachten der Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) hatte beispielsweise im vergangenen Jahr klare Vorschläge unterbreitet: multiprofessionelle Teams, Entlastung der Lehrkräfte von fachfremden Aufgaben, intelligente digitale Systeme, ein Vorschuljahr. Umgesetzt werden die Empfehlungen eher zögerlich. Das liegt Hasel zufolge auch daran, dass sich die Zusammensetzung der KMK und ihr Vorsitz zu oft ändern.

Als jüngst der Bundeselternrat die Kleiderordnung an Schulen thematisierte, fand die Bundesschülerkonferenz deutliche Worte. Es gebe doch weit dringlichere Probleme an den Schulen, hieß es. Das sehen offenbar einige Menschen in Deutschland so. Hasels Buch ist Mitte September erschienen. Die erste Auflage wird gerade erst ausgeliefert, doch die zweite ist bereits im Druck. "Offensichtlich trifft es einen Nerv", heißt es aus der Presseabteilung des Kein und Aber-Verlags, bei dem auch schon Hasels Vorgängerbuch "Der tanzende Direktor" erschienen war.

In fast allen Bundesländern habe sich in den letzten zehn Jahren die Bildungsqualität verschlechtert und trotzdem werde noch mit den Methoden und Inhalten von gestern gearbeitet. "Dabei haben wir kein Wissensdefizit, wir scheitern nur an der Umsetzung all dieser Erkenntnisse", sagt Hasel. Wissenschaftlich belegt ist längst auch die Bedeutung von sozial-emotionalem Lernen. "In Finnland ist es Bestandteil des Curriculums, in Deutschland zeigt der Bildungsmonitor, dass die mangelnden sozial-emotionalen Fähigkeiten den Unterricht bereits massiv behindern", so Hasel. Trotzdem halte man hierzulande an dem Glaubenssatz fest: "Schule ist für Bildung zuständig. Die sozio-emotionale Entwicklung muss zu Hause stattfinden." Dahinter steht die Vorstellung, man könne das Lernen auf einen Ort begrenzen. Kinder lernen aber immer, es ist ihnen sozusagen angeboren.

In finnischen Schulen macht man sich das zunutze. Statt als Schülerinnen und Schüler werden die Kinder dort als Lernende gesehen, die Fehler nicht nur machen dürfen, sondern sollen, die Mut und Durchhaltevermögen brauchen, Geduld, Selbstregulation und Empathie. Was für eine wunderschöne Vorstellung, die die wenigsten mit ihrer eigenen Schulerfahrung zusammenbringen werden.

Quelle: ntv.de

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