Panorama

So viel mehr als Bollywood In Indien ist Kunst Frauensache

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Rosige Aussichten für Kunst aus dem Subkontinent, nicht nur in Delhi.

Rosige Aussichten für Kunst aus dem Subkontinent, nicht nur in Delhi.

(Foto: Chemould-CoLab / Courtesy India Art Fair)

Indien steht für Bollywood und Taj Mahal und steckt voller krasser Gegensätze. Dazu wächst die Wirtschaft rasant. Klein ist dagegen die Kunstszene, aber die pulsiert. Und den Ton in dieser dynamischen, neuen Welt geben spannende Frauen an.

In einem aufregend glitzernden Abendkleid empfängt Netflix-Star Shalini Passi internationale Gäste der India Art Fair in ihrem Haus in Delhi. Das zweistöckige Gebäude sieht aus wie ein überdimensionierter Bumerang, bodentiefe Fenster legen den Blick frei auf ihre größte Leidenschaft: Kunst. Überall im Haus hängen Bilder, stehen Skulpturen oder sind kostbare Antiquitäten dekoriert. Selbst im Gästeklo finden sich Videoarbeiten und Designobjekte.

Ohne Kunst könne sie nicht leben, sagt Passi lachend in der Reality-Serie "Fabulous Lives of Bollywod Wives". Und ergänzt: "Das Zwiegespräch mit der Malerei gibt mir mitunter mehr als der Dialog mit Menschen."

Manchmal gibt ihr die Kunst mehr als die Menschen: Shalini Passi.

Manchmal gibt ihr die Kunst mehr als die Menschen: Shalini Passi.

(Foto: imago/Hindustan Times)

Die 49-Jährige kauft neugierig und unersättlich nicht nur sehr viel Kunst, sondern engagiert sich mit echtem Interesse in diesem vielfältigen Biotop. Sie sammelt Geld für Projekte und fördert Künstlerinnen und Künstler und deren Arbeit nicht nur mit Ankäufen für die eigene Sammlung. In Ermangelung staatlicher Unterstützung lebt die indische Kunstwelt von privatem Engagement wie ihrem.

Das Gewissen des Landes

In den Lehrplänen der Schulen ist Kunstunterricht nicht vorgesehen, ein Verständnis für Kunst, die teilweise Jahrtausende alt ist, wird nicht gefördert. Es gibt auf dem Subkontinent mit über 1,4 Milliarden Menschen nur eine Handvoll Museen und Institutionen, die zeigen, was die aktuelle Kunst kann. Zeitgenössische und moderne Kunst haben es demnach schwer. All diesen Widerständen zum Trotz: Die indische Kunstszene ist vital, innovativ und auch so etwas wie das Gewissen des Landes.

Das zahlt sich aus. Gegenwartskunst aus Indien wird international stark wahrgenommen und vor allem weltweit ausgestellt. Der kulturelle Austausch findet seinen Weg auch nach Deutschland. So hat die in Mumbai arbeitende Künstlerin Shilpa Gupta gerade den mit 25.000 Euro dotierten Lübecker Possehl-Preis erhalten. Eine Ausstellung mit ihr wird Ende September in der Kunsthalle St. Annen in Lübeck eröffnen.

Gupta setzt sich, wie viele indische Künstlerinnen und Künstler, mit gesellschaftlichen sowie politischen Zwängen und Entwicklungen ihres Mutterlandes auseinander. Gerne werden dabei persönliche, aber auch territoriale, historische oder Geschlechtergrenzen überschritten. Mit ihren raumgreifenden, immersiven Installationen berührt sie weltweit die Gefühlswelten ihres Publikums. Egal, wo.

Weltweit ausgestellt, wie hier in Basel: Die Lichtinstallation von Shilpa Gupta mit dem Namen "I Live Under Your Sky Too".

Weltweit ausgestellt, wie hier in Basel: Die Lichtinstallation von Shilpa Gupta mit dem Namen "I Live Under Your Sky Too".

(Foto: Sebastiano Pellion di Persano)

Zwischen bitterarm und extrem reich

Indien selbst facht Emotionen an und steckt voller Geschichten. Das Land ist facettenreich. Faszinierend. Es ist die Heimat des berühmtesten Denkmals der Liebe, dem Taj Mahal. Der Subkontinent hat einen speziellen spirituellen Vibe und eine spannungsgeladene Geschichte, beides ist permanent zu spüren. 40 Prozent der rund 1,4 Milliarden Inder sind unter 25 Jahre alt.

Der Unterschied zwischen extrem reich und bitterarm ist riesig. Gleichzeitig erlebt das Industrie- und Schwellenland wirtschaftlich einen rasanten Aufstieg. Es entwickelt sich zur Hightech-Nation und ist für westliche Partner eine starke Alternative zu China.

Unter strahlend blauem Himmel wurden die Messezelte in Delhi für Ayesha Singh zur größten Leinwand Indiens.

Unter strahlend blauem Himmel wurden die Messezelte in Delhi für Ayesha Singh zur größten Leinwand Indiens.

(Foto: Courtesy India Art Fair)

Dennoch ist die Armut im hektischen Stadtbild Delhis immer wieder sichtbar. Kleinste Kinder spielen im Staub, Frauen hocken perspektivlos am Straßenrand, bettelnde Hände klopfen an die Autoscheiben. Aber unter Premier Narendra Modi wächst auch eine wohlhabende Mittelschicht heran: Bis 2030 könnte sie auf über 600 Millionen Menschen anwachsen, was die Baubranche boomen lässt, den Konsum und die wirtschaftliche Dynamik antreibt.

Die Marktlücke einer Kunstmesse entdeckte die Inderin Neha Kirpal bereits im Jahr 2008. Bunt und knisternd, wie ein Feuerwerk, wurde kürzlich die 16. Ausgabe der India Art Fair (IAF) in Delhi gezündet. Dabei verpufft diese nicht in einigen wenigen Veranstaltungstagen, sondern funkelt weit und lange Zeit über seine kommerzielle Grundidee hinaus im ganzen Land.

Aufregender Hotspot

"365 Tage im Jahr möchten wir den Menschen die Künste nahebringen und für ein florierendes Ökosystem begeistern", sagt Messedirektorin Jaya Asokan ntv.de in Delhi. "Deshalb bieten wir nach der IAF online wie offline viele Workshops und Bildungsprogramme an. Zudem arbeiten wir mit der Regierung an einem Curriculum und fördern Kooperationen mit Institutionen überall im Land."

Messedirektorin Jaya Asokan schafft Raum für Frauen.

Messedirektorin Jaya Asokan schafft Raum für Frauen.

(Foto: Courtesy India Art Fair)

Sie versucht, die Bevölkerung für zeitgenössische und moderne Kunst mit ihren verschiedenen Ebenen und in ihrer Tiefe zu interessieren. Ein Werk soll nicht als Dekoration, sondern in seiner Vielschichtigkeit gesehen werden. Diese in Südasien einzige Plattform ist zu einem aufregenden Hotspot für hochwertige Kunst geworden.

Übrigens wird die IAF seit ihrer Gründung durchwegs von Frauen an ihrer Spitze geführt. Beim Besuch in Delhi fällt auf, dass vor allem Künstlerinnen, Galeristinnen und Sammlerinnen das Geschehen auf dem Messegelände bestimmen. IAF-Chefin Asokan ist sehr stolz darauf, hier so viele Frauen zu sehen. Warum ist das so? "Eigentlich ist das typisch für unser Land", lacht sie. Wenn man in der Geschichte zurückblickt, dann sieht man, dass Frauen nur eine kleine Rolle gespielt haben. Jetzt aber ist es an der Zeit, dass Frauen wahrgenommen werden, und sie erschaffen diesen zusätzlichen Raum.

Königin, Mäzenin, Architektin

Unter strahlend blauem Himmel präsentiert Asokan neu entstandene Skulpturen, Licht- und Videoarbeiten, und der sonst stets allgegenwärtige Smog Dehlis macht offenbar eine kleine Kunstpause. Jedes Jahr werden die Frontseiten der Messezelte zur größten Leinwand des Landes. Dieses Mal hat die Sammlerin Shalini Passi eine Künstlerin finanziell unterstützt, die sich auf die Suche nach vergessenen indischen Architektinnen begeben hat. Auf den streng grafisch anmutenden Fassaden werden fünf Frauen gefeiert. Sie haben in den vergangenen 1000 Jahren als Königinnen, Mäzeninnen oder Architektinnen die Welt gestaltet.

Entdeckerpotential ist nicht nur auf den ersten Blick garantiert. Das Team rund um Asokan achtet darauf, dass 70 Prozent der 120 teilnehmenden Galerien aus Indien stammen. Daher finden sich in Delhi nicht die immer gleichen Künstler, die sonst den weltweit aktiven Messezirkus bespielen. Malerei, Skulpturen oder Videoarbeiten sind weit vom plakativen Kunsthandwerk entfernt, sie sind progressiv, nuanciert und vielschichtig. Das spricht sich herum: Angereiste Kuratoren aus Kassel, Berlin, Amsterdam oder London sind von der Qualität begeistert.

Delhi und die Superreichen

Bei so viel Lob und Aufmerksamkeit wundert es kaum, dass der Hauptsponsor der Messe seit fast einem Jahrzehnt ein Autokonzern aus München ist. "Kulturengagement ist seit über 50 Jahren mit über 100 Initiativen weltweit ein fester Bestandteil unseres gesellschaftlichen Wirkens", erklärt Thomas Girst, Leiter des Kulturengagements von BMW. Gleichzeitig räumt er ein, dass Indien für das Kerngeschäft ein wichtiger Markt sei. Image, Reputation und Visibilität der Marke sollen nicht nur via Ingenieurskunst und gutem Design, sondern auch über nachhaltiges Kulturengagement gestärkt werden.

Mit etwa 150 Milliardären in Delhi und Mumbai liegt die weltweit größte Demokratie ganz vorn im Segment der Superreichen. "Das schafft einen guten Nährboden für das vermehrte Interesse an Kunst aus Indien", so Girst. Er beobachtet seit Jahren eine wachsende indische Sammlerschaft, die zeitgenössische Positionen fördert . Dazu gehört auch Passi, die ihr Haus in Delhi für internationale Kunstinteressierte großzügig öffnet. Dass Kunst dabei frei sein muss, versteht sich für diese private Sponsorin, ebenso wie für die Geldgeber aus Bayern, von selbst.

Quelle: ntv.de

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