"Es hat sich gelohnt" Soldat Mike Mutschke und das Karfreitagsgefecht in Afghanistan
18.04.2025, 04:12 Uhr Artikel anhören
Soldaten der Bundeswehr nehmen in Masar-i-Scharif Abschied von ihren vier gefallenen Kameraden. Mutschke überlebte das Karfreitagsgefecht mit schwersten Verletzungen.
(Foto: picture alliance / APN)
Für die Bundeswehr ist das Kapitel Afghanistan beendet. Den Soldaten Mike Mutschke hat es für immer gezeichnet. Am Karfreitag vor 15 Jahren geraten er und seine Kameraden in einen Hinterhalt, Mutschke geht durch die Hölle. Bei Lanz erzählt er seine Geschichte.
Afghanistan, 2010. Es ist Frühling, aber kein Frühling, wie wir ihn in Deutschland kennen. In den Tälern ist es am Tag selten unter dreißig Grad heiß. Seit Jahren kämpfen deutsche Soldaten in Afghanistan. Sie unterstützen die Truppen aus den USA, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York ihren Krieg gegen den Terror begannen. Damals vermuteten sie den Al-Qaida-Führer Osama bin Laden in Afghanistan.
Mit Wehmut denken viele deutsche Soldaten an das bevorstehende Osterfest. Lieber wären sie bei ihren Familien zu Hause, würden gerne Ostereier verstecken und einfach nur Spaß haben. Spaß ist es nicht, was sie in Afghanistan erleben.
Der 2. April 2010 fällt auf einen Freitag. Karfreitag. Mike Mutschke wird diesen Tag nie vergessen, der sein Leben für immer verändert. Er ist am Donnerstagabend Gast bei Markus Lanz im ZDF. Er will erzählen von dem, was als "Karfreitagsgefecht" in die Geschichte des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan einging.
Mike Mutschke hat sich schon in der Schule für die Bundeswehr interessiert. Er war schon in der 10. Klasse überzeugt: "Da will ich mal hin." Mutschke meldet sich fürs Heer. Dann erfährt er, dass er in Afghanistan eingesetzt werden soll. "Man denkt sich: Das gehört halt dazu", sagt er heute. Doch dort, in Afghanistan, wird er beinahe getötet.
Acht Jahre kämpft die Bundeswehr mittlerweile in Afghanistan. Es gehe um einen "Stabilisierungseinsatz", erfährt Mutschke. Dass in Afghanistan in Wahrheit ein blutiger Krieg tobt, wird in Deutschland lieber verschwiegen. Der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist der Erste, der zumindest von "kriegsähnlichen Zuständen" spricht.
Am Karfreitag 2010 kommt es dann in der Provinz Kundus zu dem folgenschwersten Gefecht in der Geschichte der Bundeswehr. Eigentlich wollten sie nur Minen räumen, auf einer Straße, die im Militärjargon "Little Pluto" genannt wird. 35 Fallschirmjäger, Mike Mutschke gehört zu ihnen. Eine Überwachungsdrohne soll sie dabei unterstützen, in ein Dorf namens Isa Khel hineinschauen, das wie eine Festung aufgebaut ist. Doch sie stürzt ab. Ein Spähtrupp aus vier Soldaten wird losgeschickt. Er soll die Drohne suchen. Mike Mutschke ist einer der vier.
"Da war für mich erstmal Dienstschluss"
Zuerst ist alles ruhig. Gefährlich ruhig, denkt Mutschke. Dann fallen Schüsse. Dutzende Kämpfer der islamistischen Taliban greifen aus einem Hinterhalt an. "Das Feuer kam von drei Seiten", erinnert sich Mike Mutschke. Deckung gibt es kaum. Nur eine Baumgruppe ist da. Die wollen die Soldaten erreichen. Dabei wird ihr Gruppenführer getroffen. Von drei Kugeln. In beide Beine. Er kann nicht mehr laufen.
Mutschke will Hilfe holen, rennt los. Kugeln pfeifen um seinen Kopf. Doch wie durch ein Wunder wird Mutschke nicht getroffen. Nach 300 Metern stößt er auf einen Dingo. Er springt in das Panzerfahrzeug. Dann passiert es. Eine Mine explodiert unter dem Dingo, in dem Mutschke Schutz gesucht hat. Sie war in der Erde vergraben. 40 Kilo Sprengstoff. Mutschke wird schwer verletzt. "Da war für mich erstmal Dienstschluss", sagt er bei Lanz.
Mutschke fällt ins Koma. Vier Wochen später wacht er wieder auf. Da ist er im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz. "Aber ich dachte, ich wäre noch in Afghanistan. Ich dachte, wir haben gerade nicht so viel zu tun, und die Bundeswehr übt eine Verwundetenlage." Erst später erkennt Mutschke die schreckliche Wahrheit: Sein halbes Gesicht ist weg. Von seiner Mundhöhle kann man bis in seine Augenhöhle schauen. Mutschke will etwas sagen. Doch sprechen kann er nicht.
Der Kampf ins Leben
Ein ganzes Jahr braucht er, bis er sich halbwegs erholt hat. "Dann war ich wieder im Dienst", sagt Mutschke. Er fliegt wieder nach Afghanistan, für vier Wochen. Um sich zu verabschieden.
Mutschke war halbseitig gelähmt. Doch er hat gekämpft. Heute kann er wieder laufen. Nur seinen linken Arm kann er nicht bewegen.
Der Einsatz am Karfreitag 2010 dauert acht Stunden. Am Ende sind drei deutsche Soldaten tot. Sechs Soldaten der verbündeten afghanischen Armee werden versehentlich durch deutschen Beschuss getötet. Vier deutsche Soldaten werden verwundet. Insgesamt werden bei dem Einsatz in Afghanistan 60 deutsche Soldaten getötet.
Später kommt ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zu dem Ergebnis: Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr sei ein Fiasko gewesen. Das Ziel der Demokratisierung in Afghanistan konnte nicht erreicht werden. Auch, weil die Politik über zwanzig Jahre falsche Entscheidungen getroffen hat.
Denkt Mutschke heute an den Einsatz, gehen verschiedene Dinge in ihm vor. "Man fragt sich schon mal, wofür", sagt er. Doch er weiß auch: Er hat Menschen helfen können, für eine gewisse Zeit. Er gehört zu denen, die dazu beigetragen haben, dass Mädchen in Afghanistan wenigstens für einige Jahre eine Schule besuchen durften, dass die Menschen in Afghanistan jedenfalls für eine kurze Zeit in Sicherheit leben konnten. Und Mutschke ist sich heute sicher: "Es hat sich gelohnt."
Quelle: ntv.de