"Großes Dunkelfeld" Studie weist zahlreiche Missbrauchstaten bei Pfadfindern nach
29.02.2024, 13:07 Uhr Artikel anhören
Der Bericht ist das Ergebnis eines knapp dreijährigen Forschungsprozesses.
(Foto: dpa)
Pfadfinder, das ist für viele der Inbegriff von Abenteuer, Natur und Gemeinschaft. Nun lässt die Organisation Fälle von sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen untersuchen und wird in erschreckendem Ausmaß fündig.
Eine Studie zum sexuellen Missbrauch bei den Pfadfindern in Deutschland hat 74 Beschuldigte und 149 Betroffene von Missbrauch ermittelt. Es sei aber davon auszugehen, dass es sich bei diesen Zahlen nur um das Hellfeld handle, sagten die Macher der Studie für den "Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder" (BdP) bei der Vorstellung in München. Es sei von einem großen Dunkelfeld nicht bekannt gewordener Taten auszugehen.
Durchgeführt hat die Studie das "Institut für Praxisforschung und Projektberatung" (IPP) München, das unter anderem sexuelle Gewalt in der Odenwaldschule und im oberbayerischen, katholischen Kloster Ettal untersucht hat, gemeinsam mit "Dissens – Institut für Bildung und Forschung" in Berlin. Der Schwerpunkt lag auf den Jahren zwischen 1976 und 2006.
Die Studienmacher untersuchten vor allem Archivbestände. Zudem habe es 74 Meldungen von Betroffenen sexuellen Missbrauchs, Zeitzeugen und Schlüsselpersonen gegeben. Es habe sich innerhalb der Pfadfinderstämme eine hohe emotionale Identifikation in der Studie gezeigt, die ein Benennen von Missbrauch erschwert habe - etwa, weil dies als Verrat verstanden werden konnte. Die Expertinnen und Experten verweisen auf Machtstrukturen, die den Missbrauch ebenfalls möglicherweise begünstigten. Es sei erstaunlich, welchen Kultstatus einzelne Pfadfinder aufgrund bestimmter Fähigkeiten genössen. Dies stärke Machtpositionen.
Schmerzhafter Blick auf Versäumnisse
Die Leitung der Pfadfinderschaft zeigte sich "erschüttert", an wie vielen Stellen es dem BdP in der Vergangenheit nicht gelungen sei, seine Mitglieder vor sexualisierter Gewalt und Missbrauch zu schützen. Oft hätten genau die Dinge, welche die Pfadfinder von anderen Jugendverbänden abheben, Bedingungen geschaffen, die sexualisierte Gewalt möglich gemacht oder ihre Aufdeckung verhindert hätten. "Dies sei schmerzhaft", befand der BdP.
Der "Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder" wurde 1976 gegründet, ist nach eigenen Angaben interkonfessionell und überparteilich und erreicht rund 30.000 Mitglieder. Ziel seiner pädagogischen Arbeit soll es sein, Kindern und Jugendlichen "Gemeinsinn und Verantwortung, Weltoffenheit und Umweltbewusstsein" zu vermitteln. Die Bundesversammlung hatte 2016 beschlossen, ein wissenschaftlich begleitetes Aufarbeitungsprojekt zu beginnen.
Quelle: ntv.de, sba/AFP/dpa