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"Absolut idiotisch" Insiderin: "Titan" wurde mit "handgezeichneter Karte" navigiert

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Eine Ex-Mitarbeiterin wirft Oceangate "idiotische" Navigationsmethoden bei der "Titan" vor.

Eine Ex-Mitarbeiterin wirft Oceangate "idiotische" Navigationsmethoden bei der "Titan" vor.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Im Juni 2023 sterben bei der Implosion der "Titan" alle fünf Insassen. Neue Aussagen einer Ex-Mitarbeiterin über "idiotische" Navigationsmethoden rücken Oceangate-Mitgründer Rush erneut in ein schlechtes Licht. Der habe jedoch beteuert: "Niemand stirbt unter meiner Aufsicht."

Nach der Implosion des Tauchbootes "Titan", bei der im Juni 2023 alle fünf Insassen starben, ermittelt die US-Küstenwache weiterhin zu den Hintergründen des Unglücks. In einer Anhörung der ehemaligen Oceangate-Mitarbeiterin Antonella Wilby kommen nun neue Details zu mangelhaften Sicherheitsstandards der Betreiberfirma ans Licht.

Am vergangenen Freitag sagte Wilby aus, das Navigationssystem der "Titan" habe in erster Linie aus einer "handgezeichneten Karte" und einer "Excel-Tabelle" bestanden. Das Tauchboot habe zwar auch über ein Ortungssystem verfügt, das mithilfe akustischer Signale, sogenannter Pings, die Koordinaten bestimmt. Normalerweise würden die Pings automatisch in eine Software geladen, die dann die Position des Bootes anzeigt. Bei der "Titan" sei dies allerdings anders gewesen.

Wilby erklärte, die Pings seien zunächst an das Begleitboot geschickt worden, wo die Besatzung die Koordinaten dann manuell in ein Notizbuch und anschließend in eine Excel-Tabelle übertragen hätte. Die Tabelle sei dann in eine spezielle Kartierungssoftware importiert worden, die dann die Position der "Titan" angezeigt habe - jedoch nicht auf einer gewöhnlichen Landkarte, sondern auf einer handgezeichneten Karte der Umgebung des "Titanic"-Wracks.

Laut Wilby sei es aufgrund dieses fehleranfälligen manuellen Prozesses immer wieder zu Problemen gekommen. Sie habe ihre Sicherheitsbedenken gegenüber Oceangate geäußert und ausdrücklich den Einsatz einer branchenüblichen Navigationssoftware gefordert. Das Unternehmen habe geantwortet, an einem eigenen System zu arbeiten. Nachdem Wilby ihre Bedenken geteilt hatte, habe Oceangate sie aus der Navigation abgezogen und in andere Bereiche versetzt.

"Ich steige da nicht ein"

Bereits am vergangenen Montag belastete der Chefingenieur der "Titan", Tony Nissen, Oceangate-Mitgründer Stockton Rush schwer. Nissen berichtete gegenüber der US-Küstenwache, er habe sich unter Druck gesetzt gefühlt, das Boot bereit für Tauchgänge zu machen und sich einige Jahre zuvor geweigert, selbst eine Pilotfahrt mit dem Gefährt zu unternehmen. Er habe zu Rush gesagt: "Ich steige da nicht ein."

Rush sei laut Nissen oft sehr auf Kosten und Zeitpläne fokussiert gewesen, weshalb es schwer gewesen sei, für ihn zu arbeiten. Rush sei außerdem impulsiv gewesen. Er habe sehr für seine Pläne und Interessen gekämpft - und die hätten sich manchmal von einem auf den anderen Tag geändert. Auseinandersetzungen mit Mitarbeitenden habe Rush stets versucht, hinter geschlossenen Türen zu halten, damit der Rest des Unternehmens davon nichts mitbekomme.

"Niemand stirbt unter meiner Aufsicht - Punkt"

Von solch einer Auseinandersetzung berichtet nun die BBC, die sich auf die Mitschrift eines Firmentreffens im Jahr 2018 beruft. Bei dem Meeting sei es zu einem hitzigen Gespräch zwischen Rush und seinem ehemaligen Direktor für Schiffsbetrieb, David Lochridge, sowie drei weiteren Mitarbeitern gekommen.

Aus dem Protokoll gehe hervor, dass Lochridge mit Blick auf die "Titan" Sicherheitsbedenken äußerte. Er habe die schlechte Qualität des Tauchboot-Rumpfes bemängelt sowie die Art und Weise, wie es getestet wurde. Doch seine Bedenken seien "von allen abgetan" worden. Rush selbst habe geantwortet: "Ich habe keine Lust zu sterben ... Ich glaube, das ist eine der sichersten Sachen, die ich je tun werde ... Ich sterbe nicht. Niemand stirbt unter meiner Aufsicht - Punkt".

Lochridge sei direkt nach dem Meeting gefeuert worden und habe sich anschließend mit seinen Bedenken an die US-Arbeitsschutzbehörde gewandt. Die habe jedoch nur langsam gehandelt und nach zunehmendem Druck durch die Anwälte von Oceangate habe er die Klage fallen lassen und eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnet.

Als die "Titan" im Juni 2023 implodierte, befand sich auch Rush an Bord des Tauchbootes. Lochridge sagte in einer Anhörung gegenüber der US-Küstenwache aus, die Tragödie hätte verhindert werden können, wenn die Behörden Oceangate ordnungsgemäß untersucht hätten.

Wer Gefahr nicht sah, "hatte Wahnvorstellungen"

Zu den Zeugen im Untersuchungsausschuss der US-Küstenwache gehört auch der ehemalige "Titan"-Passagier Fred Hagen. 2021 nahm er an einer "Titanic"-Mission von Oceangate teil, die jedoch wegen technischer Probleme abgebrochen werden musste.

Im Verlauf des Tauchgangs sei klar geworden, dass die "Titan" das Wrack nicht erreichen werde, beschrieb Hagen seine Erlebnisse. Das Tauchboot schien vom Kurs abzukommen, weshalb die Besatzung beschlossen habe, zusätzliche Düsen einzusetzen. Eine habe jedoch nicht funktioniert. "Wir stellten fest, dass es (das Tauchboot) sich nur im Kreis drehte und Rechtskurven machte", sagte Hagen. "An diesem Punkt waren wir offensichtlich nicht mehr in der Lage, zur 'Titanic' zu navigieren."

Laut Hagen habe die "Titan" Gewichte abgeworfen, um wieder aufzutauchen; die Mission sei abgebrochen worden. Er sei sich der Gefahren einer Fahrt in dem experimentellen Tauchboot bewusst gewesen: "Jeder, der mitfahren wollte, hatte entweder Wahnvorstellungen, wenn er nicht glaubte, dass es gefährlich war, oder er nahm das Risiko in Kauf", sagte er.

"Kann nicht das Ende der Tiefsee-Erkundung sein"

Trotz der vielen Probleme und der tragischen Implosion der "Titan" hofft der Oceangate-Mitgründer Guillermo Söhnlein auf eine Zukunft für Erkundungsmissionen unter Wasser. "Das kann nicht das Ende der Tiefsee-Erkundung sein", sagte der Geschäftsmann am Montag der US-Küstenwache.

Auf die Frage nach dem möglichen Grund für das "Titan"-Unglück weiß auch er keine Antwort: "Ich weiß nicht, wer wann welche Entscheidung auf der Grundlage welcher Informationen getroffen hat. Und ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob einer von uns das jemals wissen wird. Trotz aller Ermittlungsbemühungen Ihres Teams weiß ich nicht, ob wir jemals die Antwort auf all das erfahren werden."

Quelle: ntv.de, mit AP

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