Panorama

Papa mit 50+ Väter, lasst euch Zeit!

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Auch Robert De Niro ist ein "junger" Vater": Mit 79 hat er nochmal nachgelegt. Das Foto ist allerdings aus dem Film  "Everybody's Fine".

Auch Robert De Niro ist ein "junger" Vater": Mit 79 hat er nochmal nachgelegt. Das Foto ist allerdings aus dem Film "Everybody's Fine".

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Während seine ersten Freunde und Bekannten Großeltern werden, startet unser Autor in die zweite Lebenshälfte mit einem Baby. Es macht ihm im fortgeschrittenen Alter besondere Freude.

Seit sechs Monaten sind wir wieder voll im Geschäft: als klassische Kleinfamilie mit Vater, Mutter und Kind. Ich wickle, wasche und wiege unseren, zum Glück kerngesunden Jungen - und ich darf es tun! Dabei lasse ich mich (auch für diesen Text) vom Schreiben ablenken, tanze mitten am Tag mit dem Kleinen auf dem Arm und übe mich in Babysprache, was er mit Grunz-, Schnalz- oder Quietschgeräuschen erwidert. Was er übrigens betörend kann, ist, in verschiedenen Tonarten zu lallen. Es zwingt mich, zuzuhören und lässt mich einfühlend staunen: Was will er bloß sagen? Andere auffällige Fertigkeiten, die ich beneide, liegen (sprichwörtlich) darin, nur so viel zu saugen, wie der Hunger verlangt, und überhaupt: sich mit sehr wenig zu begnügen. Eine vorbildliche Bescheidenheit!

Auch ich muss mich bescheiden. Manches verzögert sich, manches bleibt liegen - keine Ahnung, wie lange das meine Arbeitgeber mitmachen. Elternzeit hin oder her. Genauso wenig weiß ich, welche körpereigenen Drogen im Spiel sind. Was ich weiß: Es macht mehr Spaß als beim ersten Mal. Das war vor 19 Jahren, ich war damals 31.

"Ein junger Opa!"

Produktiv bis ins hohe Alter - in jeder Beziehung: Charlie Chaplin und Familie.

Produktiv bis ins hohe Alter - in jeder Beziehung: Charlie Chaplin und Familie.

(Foto: imago/United Archives International)

Die Reaktionen auf das neue Glück sind zahlreich und gelegentlich unfassbar: "Ein junger Opa sind Sie", hörte ich neulich auf der Straße. Es war ein kalter Tag, doch offenbar hatte ich die Mütze nicht weit genug ins Gesicht gezogen, um meine weiß-grauen Schläfen zu verdecken. Oder hatte mich der Bart verraten? Die reifen Falten? Meine Haltung? Meine Motorik? Klar, ich bin kein Ersti mit Säugling. Weiße Turnschuhe, um zu wirken wie ein Mittdreißiger, werde ich trotzdem nicht anziehen.

Gelegentlich liest man von berühmten älteren Männern mit Baby: Robert De Niro, George Clooney, Mick Jagger und 2023 auch Al Pacino. Mit 83 Jahren. Er hat einen Sohn mit einer 54 Jahre jüngeren Frau, die bereits seine Ex-Freundin ist. Das tut mir leid. Meine Freundin ist elf Jahre jünger als ich und ich wurde vor der Geburt unseres Sohns 50. Mit Al Pacino hat das nichts zu tun. 30 Jahre trennen mich von der Lebenswirklichkeit eines 80-Jährigen. Trotzdem scheine ich Vergleiche mit echten Senioren herauszufordern.

Überall Unverständnis

Es ist leicht, Neid und Missgunst zu unterstellen. Wenn ich nur an die vielen Hinweise auf die Unbill frischgebackener Eltern denke - "es frisst besonders an der Substanz älterer Semester". Wie oft wir das so oder so ähnlich im letzten Jahr gehört haben! Das ganze Leid, das ein Neugeborenes unwillkürlich mit sich bringt und vor dem man ungefragt und eindringlich gewarnt wird. Uns könnte es doppelt und dreifach treffen: schlaflose Nächte durch krampfende Koliken und durchstoßende Zähne, auslaufende Windeln, Kotze im Bett, im schlimmsten Fall der plötzliche Kindstod durch eine falsche Schlafposition.

Schon in der Schwangerschaft ging es los: All die komplizierten Vorgänge in einem alten Frauenkörper - wir wurden immer wieder daran erinnert, dass eine 39 Jahre alte Frau "risikoschwanger" ist. Die totale Erschöpfung und der Abschied aus der produktiven Gesellschaft schien für uns programmiert zu sein. Vom freiwilligen Ausstieg aus dem Partyleben und den Verlockungen einer saturierten zweiten Lebenshälfte ganz zu schweigen. Die Konfrontationen waren in Fragen gekleidet wie: "Wie wollt ihr es euch im Alter etwa mit Kind gutgehen lassen?" Als wäre "hedonistisch" für uns ein Fremdwort.

Ach so, und nein, er ist nicht der Opi der kleinen Josephine, er ist ihr Vater. Er war bei ihrer Geburt 60 Jahre alt.

Ach so, und nein, er ist nicht der Opi der kleinen Josephine, er ist ihr Vater. Er war bei ihrer Geburt 60 Jahre alt.

(Foto: imago/ZUMA/Keystone)

Auf der anderen Seite die Leute, die notorisch "Ja zum Leben" sagen: Abtreibungsgegner, die uns begegnen, als hätten wir mit einem späten Kind einen demonstrativen Beitrag zur Verhinderung des von ihnen angeprangerten "Babyholocaust" geleistet. Dass es ganz ohne moralische Abwägungen dazu gekommen ist, erscheint dieser Fraktion unbegreiflich - so unbegreiflich, dass man schnell als gottlos abgestempelt wird, ehe man es ausgesprochen hat: "Wir hatten einfach Lust!"

Alles fing im Lockdown an

Keine der Unterstellungen trifft zu und keiner der Schrecken ist bisher eingetreten. Toi, toi, toi, hätte meine Oma aus der Kriegsgeneration gesagt. Im Gegenteil, sage ich! Das Baby war ein wunderbares, vielleicht das schönste Geschenk zum Fünfzigsten. Und das nicht etwa, weil ich nichts Besseres mehr vorhatte. Sondern weil ich entschieden zu viel gemacht habe und wohl auch weggerannt bin. Jetzt spüre ich, dass es genau das Richtige ist, mich zu reduzieren, mehr zu Hause zu sein, um mich dem noch einmal zu widmen, statt meine großen Kinder schon bald mit dem Enkelwunsch zu nerven. Ein Freund, der selbst mit 51 noch einmal Vater wurde, hat es mir genauso vorausgesagt: "Ihr werdet glücklich sein!" Es lag eine angenehme Betonung auf "ihr" - nicht auf "du".

Man mag mich einen "Spätzünder" nennen: Zu einem harmonischen "Ihr" zu gelangen, also eine Frau zu finden, mit der sich die Aussicht auf eine Familie seit dem zweiten Strich auf dem Schwangerschaftstest wirklich partnerschaftlich anfühlt, hat gedauert. Ich sollte darüber 46 werden. Und Covid hat ein wenig geholfen: Der Lockdown schuf Nähe und Exklusivität. Danach wollten wir, dass es so weitergeht.

Aktive Vaterschaft ohne Schwiegermutter im Nacken

Bleibt unser "Wir" im Lot, wäre es ein spätes und doch noch rechtzeitiges Lebensglück. Ich war stets überzeugt, dass dieses "Wir" die natürliche Voraussetzung ist. Und mit etwas politischer Überwindung schreibe ich auch, dass es "die Normalität" sein sollte - nicht für ein spätes Kind, sondern überhaupt für Kinder, damit sie nicht mit Loyalitätskonflikten groß werden und schwer an ihnen zu tragen haben.

Auch mir ist das in den Jahren zuvor nicht gelungen. Das ist ein sehr wichtiges, aber ein anderes Thema. Mein Fazit dazu lautet: Wer in der Partnerwahl nachlässig war, sollte nach einer Trennung mit Kindern unbedingt gelassen bleiben! Das heißt, einen höchst ambivalenten Zustand zu dulden und bestmöglich zu gestalten - auch an Geburts- und anderen Festtagen. Ideologie, Separatismus und Besitzansprüche schaden dem "Kindeswohl" - egal, wie groß und laut Mütter oder Väter es vor sich hertragen. Im Rückblick erscheint mir "das Kindeswohl" wie die Tarnung erwachsener Selbstsucht. Zukünftigen Generationen wünsche ich, dass getrennte Eltern - die es immer geben wird - trotzdem eine Familie haben können. Die Voraussetzung ist, dass das Recht keine Anreize für die Zerrissenheit schafft.

Unterdessen ist die aktive Vaterschaft für mich nicht nur ohne die Abschiede, Unterbrechungen und Trennungen der Patchwork-Realität ein besonderer Genuss. Ich genieße sie auch und ausdrücklich im fortgeschrittenen Alter, mit viel Lebenserfahrung - und ohne Schwiegermutter im Nacken. Ich denke an die unbeschreiblich warmen und innigen Momente - die stillen, wenn mein Sohn auf meiner Brust schläft. Es ist der pure Luxus, nach dem wir uns alle sehnen. Ich denke an die kontemplativen Momente, wenn wir uns anschauen und gegenseitig Mienen und Mimik studieren - die pure Aufmerksamkeit, nach der wir uns alle sehnen. Und ich denke an die lauten Momente, wenn wir unsere Fantasiesprache sprechen und uns schallend anlachen - der pure Spaß. Ich fühle mich dann nicht wirklich jünger, aber ich empfinde mich als alterslos.

Das Baby hält mir ständig einen Spiegel vor

Nach fünf eigenen Lebensjahrzehnten darf ich noch einmal beobachten, wie sich ein Mensch "entwickelt" - ein Begriff, der auch ohne Philosophiestudium zum Nachdenken anregt: über das Älterwerden und über das Menschsein im Großen und Ganzen. Dabei spüre ich, wie mir meine Erfahrung hilft. Dabei habe ich nicht den typischen Druck jüngerer Eltern; ich fühle mich viel geduldiger. Es ist mir egal, ob irgendwo Partys steigen oder eine noch bessere Frau wartet. Außerdem lebe ich nicht mit der Angst, dass meine eigene Entwicklung durch ein Kind auf der Strecke bleibt.

Aus diesen Gründen fällt mir vieles im Umgang mit einem Kind leichter: eine Windel mehr zu wechseln. Das Schreien zu ertragen. Oder mich schon wieder bücken zu müssen. Die unzähligen Übungswürfe oder das Ablutschen von Gegenständen betrachte ich als ebenso erforderlich wie das Strecken, Räkeln und Drehen danach. Ich erkenne mich und uns Menschen im Baby wieder: Schließlich streben wir alle ständig nach irgendetwas, um es dann wieder fallenzulassen, wenn wir es erreicht haben. Und das ist nur ein Beispiel. Mit 50 lasse ich zu, dass das Baby mir einen Spiegel vorhält. Ich schreibe es, ohne mich selbst zu räkeln - nach einer vergeistigten Interpretation. Ich betreibe keine Babyhermeneutik, sondern freue mich über die wahre und ursprüngliche Präsenz eines kleinen Menschen! Dies erleben zu können, ist das größte Geschenk.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen