Neue Spur im Fall Rebecca? Warum der Schwager nicht aus dem Visier der Ermittler gerät
13.04.2023, 16:38 Uhr Artikel anhören
Noch immer fehlt jede Spur von Rebecca Reusch.
(Foto: Christoph Soeder/dpa)
Es ist einer der rätselhaftesten Kriminalfälle Deutschlands: Trotz Tausender Hinweise, intensiver Ermittlungen und großangelegter Suchaktionen fehlt bis heute jede Spur von Rebecca Reusch. Dabei gibt es sogar einen Tatverdächtigen: den Schwager des Mädchens, Florian R. Doch die Beweise fehlen.
Vor vier Jahren verschwindet Rebecca Reusch aus Berlin-Neukölln spurlos. Die damals 15-Jährige kommt nach einer Übernachtung im Haus ihrer Schwester und deren Mann nicht in der Schule an. Schnell gerät Rebeccas Schwager unter Verdacht. Florian R. wird zweimal festgenommen und wieder freigelassen. Die Kriminalpolizei geht davon aus, dass er etwas mit dem Verschwinden des Mädchens zu tun hat. Beweisen können sie es nicht. Auch alle anderen Spuren verlaufen im Sand. Jetzt kommt jedoch wieder Bewegung in den Fall des vermissten Teenagers - und erneut steht der Schwager im Mittelpunkt.
Vor wenigen Wochen nahm die Polizei das Haus von Florian R. abermals unter die Lupe. Die Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte auf Anfrage von RTL, dass eine Durchsuchung bei "dem Beschuldigten, gegen den die Ermittlungen weiterhin andauern", stattgefunden habe. Dabei sei es um die Sicherung möglicher Beweismittel gegangen. Ob es zuletzt möglicherweise einen entscheidenden Tipp gab, verriet eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft nicht. "Es muss sich zumindest ein neuer Anhaltspunkt ergeben, um eine Durchsuchung zu rechtfertigen", sagte sie der Nachrichtenagentur dpa. Weitere Details gab die Staatsanwaltschaft nicht bekannt, um die Ermittlungen der Polizei nicht zu gefährden.
Wie RTL erfuhr, sollen die Ermittler im Haus akustische Messungen durchgeführt haben, wohl um zu testen, welche Geräusche von innen nach draußen dringen. Außerdem soll bei der Durchsuchung ein Bademantel gefunden worden sein, bei dem der Gürtel fehlte. Welche Rolle dieser beim Verschwinden von Rebecca gespielt haben könnte, ist bislang nicht bekannt. Die Kriminalpolizei geht allerdings davon aus, dass das Mädchen im Haus ihrer Schwester getötet wurde. Der mögliche Täter: Florian R. Doch woher kommt dieser Verdacht? Und warum können die Ermittler nichts beweisen?
Der Tag des Verschwindens
Von vorne: Am 17. Februar 2019 verbringt Rebecca die Nacht bei ihrer älteren Schwester Jessica R. und deren Mann Florian R. in Berlin-Britz. Dort soll sie auf dem Sofa im Wohnzimmer geschlafen haben. Am nächsten Morgen habe Rebeccas Handy sich um 7.46 Uhr zum letzten Mal in das WLAN in dem Haus eingeloggt. Das ergab eine eigene Analyse der Familie von Rebecca durch einen IT-Experten. Schwester Jessica R. verlässt bereits gegen 7.00 Uhr mit ihrer Tochter das Haus und gibt an, nicht noch einmal nach Rebecca gesehen zu haben. Diese wollte von dort aus direkt zur Schule aufbrechen, kommt aber nie an. Am Nachmittag melden Rebeccas Eltern ihre Tochter als vermisst.
Gleich zu Beginn interessieren sich die Ermittler sehr für die Rolle von Florian R. Er kehrt nach eigener Aussage erst in den frühen Morgenstunden von einer Feier nach Hause zurück. Somit ist er der Einzige, der nach 7 Uhr mit Rebecca im Haus war. Rebeccas Mutter versucht ihn anzurufen, nachdem sie ihre Tochter bei Anrufen um 7.15 Uhr und 8.25 Uhr nicht erreicht hat. Doch Florian R. drückt sie zunächst weg. Erst später ruft er Rebeccas Mutter zurück und teilt ihr mit, dass das Mädchen sich nicht mehr im Haus befindet.
Verdächtig machen den Schwager auch Teile seiner Aussagen, die den Ermittlungsergebnissen widersprechen. Er gibt beispielsweise an, am Morgen geschlafen zu haben. Die Polizei findet aber heraus, dass er im Internet war. Er soll Chat-Nachrichten geschrieben und empfangen haben.
Florian R. wird verhaftet
Im Laufe der Ermittlungen stellt sich zudem heraus, dass Florian R. am Vormittag des 18. Februar und am Abend des 19. Februar auf der Autobahn zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) Richtung Polen unterwegs war. Die Polizei veröffentlicht Bilder des dunkelroten Renault Twingo und bittet die Bevölkerung um Hinweise. Florian R. selbst schweigt zu dem Grund seiner Fahrten. "Zu beiden Fahrten kann er keine Angaben machen", sagte der Leiter der zuständigen Mordkommission im ZDF. "Die Fahrten passen aber überhaupt nicht zu der Version, die er erzählt hat." Nach Informationen der "Bild"-Zeitung soll die Polizei zudem im Kofferraum des Autos Haare von Rebecca und Faserspuren der Decke gefunden haben, die das Mädchen bei seinem Verschwinden dabeigehabt haben soll. Laut RTL hat sich das allerdings nicht bestätigt.
Aufsehen erregt eine Aussage von Rebeccas Vater in einem exklusiven RTL-Interview. Zu den ungeklärten Fahrten kurz nach Rebeccas Verschwinden sagt er: "Die ganze Nummer hängt mit einer anderen Sache zusammen, die ich aber nicht sagen darf." Mit Rebecca habe das überhaupt nichts zu tun. "Florian, rede einfach! Klär das, damit die ganze Suche in die andere Richtung geht, und zwar in die richtige. Wir müssen Becci finden", appelliert Rebeccas Vater an Florian R. Es gibt Gerüchte, der Schwiegersohn sei für Drogengeschäfte unterwegs gewesen. Der Leitende Staatsanwalt Martin Glage hält diese Theorie jedoch für wenig plausibel.
Zu dieser Zeit sitzt Florian R. bereits in Untersuchungshaft - zum zweiten Mal. Bei seiner ersten Festnahme Ende Februar kann ein Ermittlungsrichter keinen dringenden Tatverdacht feststellen. Für einen Haftbefehl reichen die Beweise gegen den Mann offenbar nicht aus. Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin gegen die Freilassung wird der damals 27-Jährige nur wenige Tage später erneut festgenommen.
Nachdem der Fall in der Sendung "Aktenzeichen XY… ungelöst" gezeigt wird, gehen Hunderte Hinweise bei der Mordkommission ein. Einer davon führt die Ermittler in ein Waldgebiet zwischen den Ortschaften Kummersdorf und Wolzig, etwa 50 Kilometer südöstlich von Berlin. Zeugen geben an, am Vormittag des 18. Februar einen Mann mit Baseballkappe gesehen zu haben. Er sei direkt aus dem Wald gekommen und habe sich ständig in alle Richtungen umgesehen. Mit einem Großaufgebot durchkämmen Einsatzkräfte das Gebiet - ohne Erfolg.
Auch die Suche an mehreren brandenburgischen Seen nach Rebecca bleibt ergebnislos, ebenso wie die in der Umgebung der Autobahn zwischen Berlin und Frankfurt (Oder). Florian R. wurde in Frankfurt geboren und hat viele Verwandte in der Gegend, kennt sich somit dort gut aus.
"Wir ermitteln weiter"
Inzwischen hat sich Florian R. eine Anwältin genommen und kommt wegen Mangel an Beweisen am 22. März wieder auf freien Fuß. Für die Kriminalbeamten bleibt er allerdings bis heute der Hauptverdächtige. "Wir ermitteln weiter gegen den Mann", hatte Staatsanwalt Martin Steltner im Februar 2022 gegenüber der "Bild"-Zeitung erklärt. An den Verdachtsmomenten gegen den jungen Mann habe sich nichts geändert.
Rebeccas Familie glaubt währenddessen unermüdlich an die Unschuld von Florian R. Rebeccas zweite Schwester, Vivian Reusch, sagt über ihren Schwager, dass er nicht nur der Mann ihrer Schwester sei, sondern auch ein Freund. "Er hat wirklich ein gutes Herz. Man kann mit ihm über alles reden. Und er ist auch ein sehr lustiger Mensch." Auch Rebeccas Mutter lässt nichts auf den Schwiegersohn kommen: "Für Becci war das ihr großer Bruder. Und das war wunderschön. Auch so herzlich. Ein tolles Verhältnis."
Ein weniger günstiges Licht auf den verdächtigen Schwager werfen Berichte von zwei Ex-Freundinnen im Podcast "Im Dunkeln - Der Fall Rebecca Reusch". Rebeccas Familie und Bekannte hatten ihn immer als liebevollen Familienvater geschildert. Die beiden Frauen, die längst keinen Kontakt mehr zu ihm haben, sagten jedoch unabhängig voneinander, er habe sie damals immer wieder geschlagen, brutal verprügelt und auch mal eingesperrt, wenn es Streit gab. Beweise dafür gibt es nicht. Sie zeigten R. auch nicht an.
Quelle: ntv.de