Taten auf Campingplatz in NRW Was man über den Missbrauch von Lügde weiß
31.01.2019, 14:25 Uhr
Der Tatort, der Campingplatz "Eichwald".
(Foto: dpa)
Drei Männer sind festgenommen, mehr als 20 kindliche Opfer identifiziert. Doch die Ermittler vermuten, dass der sexuelle Missbrauch auf einem Campingplatz in Lügde noch längst nicht vollkommen aufgeklärt ist. Was bisher bekannt ist:
Wie wurde der Missbrauchsfall aufgedeckt?
Ins Rollen gebracht hat die Ermittlungen eine Zeugin. Sie gab im November 2018 Hinweise auf den sexuellen Missbrauch einer Sechsjährigen. Das betroffene Mädchen ist die Freundin eines Pflegekindes, das der Hauptbeschuldigte seit 2016 betreut.
Seit wann soll es zu Missbrauchstaten gekommen sein?
Die Ermittler gehen laut derzeitigem Stand davon aus, dass es seit 2008 zu mehr als 1000 Fällen von sexuellem Missbrauch kam. Der Tatort ist ein Campingplatz im nordrhein-westfälischen Lügde an der Grenze zu Niedersachsen.
Was weiß man über die Opfer?
Mindestens 23 Kinder fielen den Tätern zum Opfer, darunter zwei Jungen. Die Kinder im Alter von 4 bis 13 Jahren wurden missbraucht und dabei gefilmt. Die Ermittler gehen aber davon aus, dass es noch weitere Opfer gibt. "Wir haben noch einen Haufen Arbeit vor uns", sagte der Leiter der Ermittlungskommission "Camping", Gunnar Weiß. "Wie hoch die Dunkelziffer ist, können wir seriös derzeit nicht sagen." Seitdem die Tatverdächtigen in Untersuchungshaft sitzen, hätten sich schnell viele Betroffene gemeldet. Den Kindern und den betroffenen Angehörigen wurde Hilfe angeboten. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, nannte den Fall "monströs".
Wer sind die mutmaßlichen Täter?
Betroffene oder Menschen, die einen Missbrauch vermuten, können sich kostenfrei und anonym an das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch wenden: 0800-22 55 530. Weitere Infos zu Beratungs- und Hilfeangeboten vor Ort gibt es unter: www.hilfeportal-missbrauch.de
Bisher hat die Staatsanwaltschaft drei Männer identifiziert und festgenommen. Der 56-jährige Hauptbeschuldigte und ein 33-Jähriger sollen die Kinder auf dem Campingplatz im Wechsel gefilmt und missbraucht haben. Kennengelernt hatten sich die beiden Männer den Ermittlern zufolge in einschlägigen Chats im Internet, sie verabredeten sich dann für den Missbrauch auf dem Campingplatz. Ein dritter Mann aus Stade in Niedersachsen soll als Auftraggeber aufgetreten sein. Dem NDR zufolge war der 46-Jährige selbst nie in Lügde, verfolgte die Taten über das Internet, griff aber währenddessen auch selbst aktiv ein und forderte die anderen Männer auf, bestimmte Handlungen an den Kindern vorzunehmen. Er hat ein Teilgeständnis abgelegt. Die Ermittler der neunköpfigen Ermittlungskommission "Camping" gehen von weiteren möglichen Tätern aus. Zumindest sei es eher unwahrscheinlich, dass das Material nicht noch an weitere Personen weitergegeben wurde.
Wie gingen die Männer vor?
Der 56-Jährige ist arbeitslos und lebte seit rund 20 Jahren dauerhaft auf dem Campingplatz. Er war bereits mit seinen Eltern ständig dort Gast. "Es wurden Lebensräume geschaffen, in denen die Kinder sich wohlfühlten, um dann die Straftaten zu machen", sagt Achim Tietz, Leiter des zuständigen Kriminalkommissariats bei der Detmolder Polizei. Der Haupttäter organisierte unter anderem Ausflüge ins Freibad oder in den Freizeitpark.
Wie konnte der Hauptverdächtige ein Pflegekind betreuen?
Die Mutter des Mädchens hatte verfügt, dass ihre damals fünfjährige Tochter bei dem Mann leben soll. Daraufhin prüfte das zuständige Jugendamt Hameln-Pyrmont dessen wirtschaftliche und gesundheitliche Situation und forderte ein erweitertes Führungszeugnis an. Es habe keine Bedenken gegen den Mann gegeben. Das Mädchen ist heute acht Jahre alt. Der Jugendamtsleiter des Kreises Lippe, Karl-Eitel John, sagt jedoch dem WDR, 2016 habe es Hinweise auf eine latente Kindeswohlgefährdung gegeben. Dabei sei es aber eher um Verwahrlosung gegangen, nicht um Missbrauch. Dies habe man an das benachbarte niedersächsische Jugendamt Hameln-Pyrmont weitergegeben, jedoch wegen Nichtzuständigkeit selbst nicht weiter verfolgt. Vom Jugendamt Hameln-Pyrmont heißt es, man habe die Situation vor Ort geprüft, aber keine gravierende Kindeswohlgefährdung feststellen können. Das Jugendamt des Kreises Lippe erfuhr nach eigenen Angaben Ende 2018 von einer Strafanzeige wegen Kindesmissbrauchs. Das Mädchen sei "noch am selben Tag in Obhut genommen" worden, hieß es. Es laufen nun Ermittlungen gegen beide Jugendämter wegen des Verdachts der Fürsorgeverletzung. "Wir überprüfen, ob die Behörden Fehler gemacht haben", sagte der Detmolder Oberstaatsanwalt Ralf Vetter dazu auf einer Pressekonferenz am Mittwoch.
Über welches Beweismaterial verfügen die Ermittler?
Die Polizei stellte bei den Verdächtigen auf zahlreichen Datenträgern Beweismaterial mit einem Datenvolumen von 14 Terabyte sicher. Bei Durchsuchungen wurden insgesamt 10 Computer, 9 Mobiltelefone, 40 Festplatten und mehr als 400 CDs und DVDs beschlagnahmt. Auf den Fotos und Videos hat das Bundeskriminalamt bereits Material aus anderen Fällen identifiziert. Deshalb wird auch wegen der Verbreitung von Kinderpornografie im Internet ermittelt.
Quelle: ntv.de, sba/dpa