Ehrlichkeit in der Beziehung Wie viel Wahrheit verträgt die Liebe?


Kleine Geheimnisse lassen uns lächeln und träumen - und dürfen manchmal sogar unerzählt bleiben.
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Ehrlichkeit gehört für viele zu den wichtigsten Säulen in einer Beziehung. Trotzdem haben zwei Drittel der Deutschen Geheimnisse vor ihrem Partner. Rund ein Drittel würde dem eigenen Partner hingegen einfach alles erzählen. Aber ist das auch immer so gut für die Beziehung? Oder sollte man manchmal doch lieber zur Notlüge greifen, um den anderen nicht zu verletzen?
Ehrlich währt am längsten. Heißt es zumindest. Fast jeder Vierte sieht das auch so. 24 Prozent werten Ehrlichkeit laut einer Umfrage der Dating-Plattform Parship als Schlüssel für eine glückliche Beziehung. Frauen (29 Prozent) legen sogar noch mehr Wert darauf als Männer (20 Prozent). Allerdings: Zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) würden zumindest ein Geheimnis für sich behalten. Was ist nun besser für eine Partnerschaft? Was sollte man unbedingt erzählen? Wo darf auch mal geschwindelt werden? Und was bedeutet "Ehrlichkeit" überhaupt?
Fängt man mit der letzten Frage an, geht es bei Ehrlichkeit laut KI um das aufrichtige und wahrheitsgemäße Verhalten einer Person. Es bedeutet, offen und transparent zu sein, ohne zu lügen, zu täuschen oder Informationen zu verbergen. Bezogen auf eine Liebesbeziehung würde das bedeuten, dass man alles einfach sagt, ganz gleich, ob einem nur die neue Frisur vom Partner nicht gefällt, man die Schwiegermutter wieder nervig fand oder man mit dem neuen Arbeitskollegen fremdgegangen ist. Auch alles, was bereits in der Vergangenheit liegt. Die frühere Arbeitslosigkeit, ein möglicher Konflikt mit dem Gesetz oder der Fehltritt, den man lieber nicht erzählt, weil dieser Eifersucht schüren könnte. Aber tut das überhaupt etwas zur Sache? Wie wichtig ist die Vergangenheit für eine neue Beziehung? Wie wenig Information ist Unehrlichkeit? Und wie viel Wahrheit verträgt die Liebe überhaupt?
Ehrlichkeit, aber ohne Härte
Paarberaterin Ruth Marquardt sagt ganz klar: "Eine Beziehung braucht Ehrlichkeit." Allerdings sei nicht jede Wahrheit relevant oder hilfreich. "Die Frage ist oft nicht, ob ich ehrlich bin, sondern wie ich ehrlich bin." Marquardt plädiert dabei wie die renommierten Paarforscher John und Julie Gottman für "Sanftmut" in der Kommunikation. Also Ehrlichkeit ohne Härte, Wahrheit ohne Zerstörung. Der Grund: Nicht jede Information sei für die Beziehung förderlich. "Manchmal schützen kleine Notlügen die Intimität oder die Würde des anderen", erklärt die Expertin. Geheimnisse seien nicht immer Verrat, sie können auch ein Schutzraum sein. Eine Frage, die man sich stellen sollte, sei die nach der eigenen Absicht: Will ich ehrlich sein, um Nähe zu schaffen - oder um Druck loszuwerden?
Hat die Partnerin oder der Partner sich beispielsweise sehr viel Mühe bei einem Geschenk gegeben, wie ein selbst gemaltes Bild, das einem aber leider gar nicht gefällt, wäre die brutale Wahrheit, damit herauszuplatzen, dass man es hässlich finde. Das wäre zwar ehrlich, aber sehr verletzend. Die liebevollere Variante: "Ich finde es total schön, wie viel Mühe du dir gemacht hast - das bedeutet mir viel." Das mag eine kleine Notlüge sein, bewahre die Beziehung in dem Moment aber vor unnötigem Schmerz - ohne grundsätzlich unehrlich zu sein. Marquardt rät hier, individuell darauf zu vertrauen, wie viel Ehrlichkeit der andere verträgt und die Wahrheit im Zweifel mit etwas Humor zu verpacken und so die eigene Meinung etwas zu entschärfen.
Die ein oder andere Notlüge ist also in Ordnung. Vor allem bei Themen wie der neuen Frisur, dem Rezept, was neu ausprobiert wurde oder dem Lieblingswitz des Partners, den man schon tausendmal hören musste. Auch mal etwas zu verschweigen, sei der Paarberaterin zufolge völlig okay. "Der kleine Flirt, der im Vorbeigehen so gutgetan hat, das Kompliment - wenn es nicht dauerhaft etwas bedeutet, kann es verschwiegen werden. Nicht jeden Traum und jede Fantasie muss ich teilen."
Nicht bei allen Themen darf geschwindelt werden
Allerdings gebe es auch Themen, bei denen man nicht schwindeln sollte. "Verpflichtet sind wir - je nach individueller Absprache in der Partnerschaft natürlich - zu Ehrlichkeit bei Themen, die das Vertrauen, die gemeinsame Basis oder wichtige Entscheidungen betreffen - etwa Finanzen, Treue, Kinderwunsch, die Gesundheit", sagt Marquardt. "Hier sind Alleingänge nicht ratsam, da sie beide Partner in besonderem Maß betreffen."
Verschweige man dauerhaft oder wiederholt wichtige Dinge, könne dies emotionale Distanz schaffen. Auch wenn es bei manchen schwierigen Themen nicht leicht fällt, mit der Partnerin oder dem Partner zu sprechen, lohnt es sich also, sich zu überwinden. "Komplette liebevolle Ehrlichkeit kann Nähe und Vertrauen fördern - wenn sie mit Respekt und Einfühlungsvermögen geschieht", sagt Marquardt. Die Kunst liege auch hier im Gleichgewicht: Die Expertin rät dazu, authentisch zu sein, ohne den anderen zu überfordern.
Dies könne hingegen bei schonungsloser Ehrlichkeit passieren. Die teilweise verbreitete Einstellung "Ich bin halt ehrlich, damit musst du leben", sei eher ein Deckmantel für Unachtsamkeit und Rücksichtslosigkeit. So solle man Ehrlichkeit aber nicht verstehen, sonst benutze man diese nur als Machtinstrument oder als Mittel, um Druck abzubauen. Schonungslos sollte nicht verletzend sein. Darum rät Marquardt: "Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit sind großartig und führen dazu, dass Partner lernen, sich gegenseitig zu vertrauen, sich aufeinander verlassen zu können." Dennoch sollte Ehrlichkeit Hand in Hand gehen mit Empathie. "Es ist die Kunst, die eigene Wahrheit zu vertreten und in Resonanz mit dem anderen zu bleiben. Das bedeutet: Ich teile, was gerade in mir ist - und ich achte darauf, wie es beim anderen ankommt."
Quelle: ntv.de